Vor einem Jahr wurden in Hanau neun Menschen von einem rechtsextremen Attentäter erschossen. Sofort sprachen wieder viele von einer „fremdenfeindlichen“ Tat. Doch dieser Begriff verschleiert, um was es wirklich geht.
Sprache ist mitunter ein politisches Schlachtfeld. Ein Wort kann ausreichen, um ein Weltbild und die implizite Positionierung dahinter zu offenbaren. Das zeigte zum Beispiel der sprachliche Umgang von Politik und Medien mit dem rassistischen Terroranschlag in Hanau. Am 19. Februar 2020 erschoss der Täter neun Menschen in und vor einer Shisha-Bar, sowie die eigene Mutter und sich selbst.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) reagierte kurz darauf mit dem Statement, dass sich ein „fremdenfeindliches Motiv“ vermuten lasse. Auch die Bundesanwaltschaft ermittelte wegen „Anhaltspunkten für eine fremdenfeindliche Motivation“. Das „fremdenfeindliche Motiv“ übernahmen daraufhin viele Medien, zum Beispiel die Deutsche Presseagentur. Trotzdem lobte das Netzwerk Deutsche Medienmacher die Berichterstattung über den Terroranschlag in Hanau. Es sei viel schneller als sonst von „Rassismus“ und nicht von „Fremdenfeindlichkeit“ die Rede gewesen, so die Geschäftsführerin im Deutschlandfunk.
Diese Formulierung, „viel schneller als sonst“, zeigt das Problem auf. Dass der Reflex einer strukturell rassistischen Gesellschaft eben der ist, Personen, die als kulturell ‚anders‘ gelesen werden, als ‚Fremde‘ einzuordnen, die nicht Teil, oder zumindest ein fundamental ‚anderer‘ Teil einer ‚deutschen‘ Bevölkerung sind. Dass ‚Fremdenfeindlichkeit‘ seltsamerweise nicht als Begriff auftaucht, wenn es um Personen geht, die vielleicht eher die eigene Religion oder Hautfarbe teilen. Gemeint ist hier nicht ‚fremd‘, sondern ‚zu fremd‘ und damit begibt sich der Begriff ins hässliche Fahrwasser vom rassistischen Begriff der ‚Überfremdung‘. ‚Fremdenfeindlichkeit‘ entpuppe sich also als Euphemismus und übernehme damit die Sicht von Täter:innen, also Rassist:innen, erläutert die Journalistin Ferda Ataman, Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher, in der Zeit. Der Reflex zum Euphemismus zeugt von dem Wunsch, sich von den ‚fremden‘ Opfern zu distanzieren und wirkt damit zugleich vertuschend. Denn eine Tat als rassistisch zu bezeichnen würde bedeuten, den strukturellen Rassismus in Deutschland und seinen staatlichen Apparaten anzuerkennen. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Fatima El-Tayeb spricht in ihrem Buch Undeutsch von „Rassismusamnesie“. Denn, so El-Tayeb, „Rassismus braucht keine Fremden, um zu existieren, er produziert sie“.
Es ist schön, dass die deutschen Medien für ihr schnelles Umschalten von ‚fremdenfeindlich‘ auf ‚rassistisch‘ gelobt werden konnten. Umso wichtiger bleibt es, zu fragen, warum es überhaupt ein Umschalten geben muss und es zum Beispiel in der Politik noch immer nicht geschieht. Als weiße Deutsche weiß ich nicht, wie es sich anfühlt, Rassismus zu erfahren. Aber ich weiß, dass es nur eines Willens bedarf, den strukturellen Rassismus in Deutschland zu sehen und zu benennen.
Dieser Beitrag ist der Teil des Inlandprojektes 2020 der UnAufgefordert, das sich mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzt.
Dieses Projekt wird gefördert durch die Humboldt-Universitäts-Gesellschaft.