Die Zweigbibliothek Campus Nord hat ein paar volle Wochen hinter sich. Das liegt vermutlich an einer ganz bestimmten Veränderung in der Schließfachpolitik besagter Bibliothek. Der Beginn der neuen Ära wird als „Pilotprojekt“ deklariert: Taschen, Winterjacken, Flaschen – alles darf jetzt mit in die Lesesäle der „Nord Bib“.

Damit bietet die Bibliothek den Studierenden einen Gegenpol zu den konsequenten Regeln und Türkontrollen im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum. Leider mit Erfolg, denn die Bib ist nun gut gefüllt: Mit haufenweise Studis und allem möglichen Kram. Vorbei sind die Zeiten, in denen im Foyer diskutiert wurde, ob man sich wohl ein Vorhängeschloss für die Schließfächer an der Theke leihen könne (zur Aufklärung für alle einmal: ja – kann man!). Jetzt scheint die Zeit gekommen, in der sich die Gespräche mit einem Anflug von Panik in den Augen darum drehen, ob wohl auf der anderen Seite des Gebäudes auch schon alle Plätze besetzt sind. Auf der Suche kommt man ins Schwitzen – denn auch Schals und Winterjacken wird Zutritt in die heiligen Hallen gewährt.

Ist die Bib so voll, weil wieder Semesterabschlussprüfungen an der Charité anstehen oder könnte es sein, dass das „Pilotprojekt“ tatsächlich neue Stammgäste in die Idylle des Campus Nord gelockt hat? In ein paar Wochen wird sich zeigen, ob die gestiegene Beliebtheit der Nord nur ein temporäres Phänomen ist. Das Schild am Eingang, mit der Bitte, andere Lernorte aufzusuchen, wird kollektiv ignoriert, denn schnell ist klar: Weder das Grimm-Zentrum noch die Staatsbibliotheken sind um diese Uhrzeit leerer. Die Staatsbibliothek Unter den Linden verhängte in der Prüfungszeit sogar einen Einlass-Stopp und auch die bis Anfang März andauernden Zugangsbeschränkungen für Nicht-HU-Angehörige im Grimm-Zentrum verschärften die Situation. 

Wer schließlich doch einen Platz findet (Geheimtipp: die Lernempore im Lesesaal B), dem wird hier ebenfalls keine Ruhe gegönnt. Nicht nur verströmt am Nachbartisch nun des Öfteren eine Dose Energydrink ihren Duft, sondern auch raschelnde Pufferjacken oder die Plastikverpackung von Müsliriegeln stören die konzentrierte Stimmung. Technisch gesehen ist Essen nur in der Lounge des Erdgeschosses erlaubt. Da sich daran verständlicherweise nur teilweise gehalten wird (bei Klausurenstress kommt natürlich jede*r in Versuchung eines kleinen Snacks), bekommt die neugewonnene Freiheit sofort wieder einen Dämpfer: Jetzt streift Personal auf der Suche nach Spuren von Proviant in regelmäßigen Kontrollgängen durch die Lesesäle. Und wenn der Verdacht besteht, dass Plätze reserviert werden, wird ein Zettel hinterlassen. Tolle neue Freiheit.

Loyale Bib-Gänger*innen streiten sich mit erhitzten Gemütern über die Folgen des Pilotprojekts. Beim Mittagessen in der Mensa Nord (heute stehen wieder Kurkumasoße und Bratkartoffeln auf dem Speiseplan) werden geheime Pläne geschmiedet: Ob ein paar gezielt verteilte Krümel oder klebrige Spuren wohl zum Abbruch des Pilotprojekts führen würden? Scheinbar teilen mehrere Studierende die Angst vor Veränderung. Befürworter des Pilotprojekts halten dagegen, verurteilen diese Antipathie teils als reaktionäre Position. Ist die Idylle unter Studierenden in der Nord gebrochen?

Zurück im Lesesaal hat die Laptoptasche zuverlässig den Platz am überfüllten Tisch freigehalten. Und jetzt, wo die Mensa in der vorlesungsfreien Zeit schon um 14:30 Uhr schließt, ist der Kaffee oder Tee in der Thermoskanne doch irgendwie ganz nett. Alles ist vielleicht nicht schlecht am Pilotprojekt. Und dass in der Nord Bib auf Studierendeninteressen reagiert werden soll, lässt sich auf gute Intentionen schließen. Die Winterjacken könnt ihr bitte trotzdem eingeschlossen lassen. Und Müsliriegel draußen zu essen würde uns allen unangenehme Kaugeräusche ersparen. 

 


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