Orchideenfächer der Uni: Die Japanologie

1887 wurde das Institut für Japanologie an der Humboldt-Universität gegründet, und ist somit die älteste Japanologie in Deutschland überhaupt.

Bis 1989 gliederte sich das Studium in zwei Richtungen. Man konnte sowohl als Sprachmittler als auch als Regionalwissenschaftler, sprich Japanologe abschließen. Die Immatrikulationszahlen orientierten sich am Bedarf der DDR und waren somit sehr gering. Eine Seminargruppe umfasste im Durchschnitt 6 bis 15 Hauptfach(!)studenten. Immatrikuliert wurde nur alle zwei Jahre, Bedingung der Immatrikulation war eine bestandene Eignungsprüfung. Es wurde ein gutes, auch international anerkanntes Ausbildungsniveau erreicht.

Ein besonders auch von mir geschätzter Vorzug der Japanologie an der HUB ist die Vielzahl der am Institut beschäftigten Fachwissenschaftler. Neben der Sprachausbildung werden Geistes- und Kulturwissenschaft, Geschichte, Ökonomie und Literatur Japans gelesen.

Mit der jetzigen Situation haben sich auch einige Bedingungen am Institut für Japanologie verändert. Angefangen von jährlichen Immatrikulationen, die entsprechend hohe Studentenzahlen mit sich bringen, wächst die Belastung der ohnehin schon geringen Lehrkräfte.

Die Ansprüche an das Leistungsniveau zeichnen sich sehr unterschiedlich ab, da nun neben Nebenfachstudenten auch Hauptfachstudenten und Gasthörer sitzen. Dies alles kulminiert in der Gefahr, das Ausbildungsniveau nicht aufrecht erhalten zu können. Die größere Sorge allerdings ist der Fortbestand des Institutes überhaupt.

Schmücken kann sich das Institut mit seinen zwei Studiengängen, dem Magisterstudiengang Japanologie sowie dem Diplomstudium Dolmetscher/Übersetzer für Japanisch, denn der Dolmetscherstudiengang ist der einzige in ganz Deutschland.

Alexandra Hennig in der UnAuf Nr. 36 vom 30. April 1992.


Fernab vom Schatten des Orchideenfachs

1992 berichtete unsere Autorin über ihr exotisches Studium an der HU. Doch längst ist Japanisch kein Orchideenfach mehr. An der HU werden neben dem Schwerpunkt Japanisch in der Spezialisierung Ostasienstudien am Institut für Afrika- und Asienwissenschaften auch regelmäßig Sprachkurse für Studierende anderer Fachrichtungen angeboten, das Interesse ist groß.

„Konnichiwa!“ Mit der altbekannten Grußformel beginnt Jutta Borchert den Japanischkurs, die Studierenden antworten im Chor. Im Sprachunterricht lernt man einige dieser Formeln, die wie automatisch gesagt, angehängt, geantwortet werden. Sprachkenntnisse für den Alltag werden in kurzen Hörstücken und Videos vorgeführt und in Übungen erprobt, bald schon kann man jemanden zu einem Ausflug einladen oder nach dem Weg fragen.

Etwas anders war das, als Jutta Borchert ihr Studium an der HU begann: In der DDR der 1980er Jahre wurde der sprachinteressierten Studienanwärterin Japanisch als eine Sprache vorgeschlagen, für die der Staat Dolmetscher brauchte. Auf das Zurechtfinden im Alltag waren die Lektionen nicht ausgelegt: „Als ich nach fünf Jahren Studium nach Tokyo ins Auslandsjahr ging, war ich sprachlich gut vorbereitet, nur das Alltagswissen fehlte“, erinnert sich Jutta Borchert an die erste Zeit in Japan. „Wir konnten nicht mal nach dem nächsten Mülleimer fragen.“

Insgesamt hat Jutta Borchert zwei Studienaufenthalte in Japan absolviert und das Land immer wieder besucht. Die Sprachmittlerin lehrt seit 1985 an der HU und hat seither einige Veränderungen des Lehrbetriebs miterlebt: Nach der Wende begeisterten sich viele Studierende aus dem ehemaligen Osten wie Westen für Japanisch, während die Lehre in der wiedervereinten Bundesrepublik erst einmal zusammengeführt werden musste. Seit 2005 gibt es im Zuge der Streichung von Professuren keinen eigenständigen japanologischen Studiengang mehr. Mit der Bologna-Reform wurden die asien- und afrikawissenschaftlichen Fächer im BA-Studiengang Regionalstudien Asien/Afrika zusammengefasst, innerhalb dessen sich die Studierenden auf eine Region spezialisieren können. Dabei hat die Wahl der Sprache eine entscheidende Bedeutung. Die Sprachkurse stehen aber auch Fachfremden offen.

Mit der Organisation hat sich auch die Motivation der Studierenden verändert, das weiß Jutta Borchert aus Erfahrung. Um die Jahrtausendwende wären viele Lernwillige über japanische Kampfsportarten zur Sprache gekommen, über den japanischen Film und ein generelles Interesse an der uralten Kultur. „Heute kommen sie eher aus der Manga-Ecke“, sagt die Sprachmittlerin mit einem Schmunzeln. „Die anderen Seiten der Kultur müssen sie oft erst noch entdecken.“

Was zum Image als Orchideenfach beiträgt, ist das besonders schwierige Element der japanischen Sprache: die Kanji, chinesische Schriftzeichen, die auch in Japan benutzt werden. Dass viele Studierende damit Probleme haben, weiß Jutta Borchert aus ihren Kursen. Doch stecke bei vielen ein anderes Problem dahinter: die Unterschiedlichkeit der Sprachsysteme, in denen Gedanken ganz anders verarbeitet würden. Man müsse lernen, japanisch zu denken, erklärt Borchert. Wer das System nicht durchschaue, habe vielleicht Schwierigkeiten beim Lernen.

Gegen das Image als exotische Sprache wehrt sich Jutta Borchert aber entschieden. „Japanisch ist schon lange kein Orchideenfach mehr!“ An der HU lernten etwa gleich viele Studierende Japanisch wie Chinesisch, zudem gebe es deutschlandweit viele Studienmöglichkeiten für Japanologie, Sprachkurse an Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen. „Japan ist für mich auch kein exotisches Land, dafür ist es zu offen, zu westlich und nicht undurchdringlich.“

Besonders schätzt die Dozentin an Japan dabei die Kommunikationskultur. Die Menschen begegneten sich mit viel mehr Respekt, wenn auch auf hierarchischen Ebenen. „Die Ausdrücke dieses Respekts fehlen einem dann, wenn man wieder da ist“, erinnert sie sich. „Man will ständig an die Sätze noch etwas dranhängen, was es aber im Deutschen nicht gibt.“ Doch auch umgekehrt gibt es manchmal Wortfelder, die das Japanische nicht kennt – zum Beispiel das deutsche Adjektiv „gemütlich“, das im Japanischen nur umschrieben werden kann.

Zudem setzen sich manche Bedeutungen aus mehreren Zeichen zusammen, die einzeln viel über die dahintersteckende Intention verraten. Ein Beispiel ist das Wort für Neugier, 好奇心  (kôkishin). Es setzt sich aus 好 (kô) für mögen/lieben zusammen, das wiederum aus dem Zeichen für Frau und Kind besteht; dazu kommen 奇 (ki) für ungewöhnlich und 心 (shin) für Herz: Neugierde ist ein Herz, das Ungewöhnliches mag.

Wer Japanisch lernt, bewegt sich in anderen sprachlichen Dimensionen als im Deutschen und erfährt bald, dass „aoi“ nicht nur grün, sondern auch blau bedeuten kann, weil traditionell die Farben nicht getrennt betrachtet wurden. Oder dass man sich „sabishii“ fühlen kann, also traurig, weil man an etwas denkt, das man einmal hatte und jetzt fehlt. Wie viele andere Sprachen bringt auch Japanisch eine ganz neue Sichtweise auf die Welt mit sich – ein Gewinn auch für fachfremde Studierende. „Japanisch erweitert die Gedanken- und Kommunikationswelt und den Horizont“, sagt auch Jutta Borchert. „Und jeder ist hier im Unterricht willkommen.“

Maria-Mercedes Hering, 24, Sozialwissenschaften