Seit April können Besucher*innen die Sonderausstellung zu Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag erleben. Dabei fällt besonders die lange Schlange vor der alten Nationalgalerie auf. Aber was genau zieht die Menschen fast drei Jahrhunderte nach Caspar David Friedrichs Leben noch immer zu seiner Malerei?
Caspar David Friedrich galt lange Zeit als vergessen. Erst im 20. Jahrhundert wurde er allmählich wiederentdeckt: Die sogenannte „Jahrhundertausstellung”, die 1906 einen Überblick über die Deutsche Kunst von 1775 bis 1875 geben sollte, war in der Hinsicht ein Triumph für Friedrich. Unter den Maler*innen die damals ausgestellt wurden, blieb er den Besucher*innen am stärksten im Gedächtnis.
Seine Gemälde zeigen meist Abbildungen der Natur, die eine Stille im Kopf des Betrachters auslösen und ihn auf das Wesentliche zurückkommen lassen. Das Gefühl, wenn man sich wirklich bewusst wird, dass man am Leben ist. Genau in diesem Moment. Wenn Uni, Alltag und Beziehungen für einen Augenblick in den Hintergrund rücken. Durch eine Reihe an tragischen Todesfällen von Menschen, die ihm sehr nahe standen, trug Friedrich Zeit seines Lebens tiefe Traurigkeit in sich, die auch seine Bilder durchdringt. Doch die Melancholie, die sie ausstrahlen, kann erlebt werden, ohne in ihr zu versinken.
Steht man vor dem „Mönch am Meer”, blickt man auf grenzenlose Natur, die durch verschwommene Konturen und Nebel nicht vollständig zu fassen ist. Der Blick auf das Gemälde löst einen Schauer aus, der fesselt. “Der Mondaufgang im Meer” hingegen vermittelt eine tröstliche Stimmung. Drei Personen sitzen auf einem Stein und beobachten ein einfahrendes Schiff im Sonnenuntergang. Es löst eine Geborgenheit, ein Gefühl der Heimkehr aus.
Bei „Klosterfriedhof im Schnee” handelt es sich wohl um eines der eindrucksvollsten Gemälde der Ausstellung. In einer Szenerie von grellem Schnee und umliegenden Gräbern wird ein Sarg in ein Kloster getragen. Erst beim zweiten Hinsehen fällt auf: Das Dach des Klosters ist vollkommen zerstört. Die Prozession der Beerdigung bewegt sich in eine Ruine. Im Sarg, den sie tragen, soll es sich um Caspar David Friedrichs Bruder Johann Cristoffer handeln. Er starb beim Versuch, seinen Bruder Friedrich zu retten. Als Kind war er beim Schlittschuhlaufen ins Eis eingebrochen, Johann eilte zur Hilfe, doch überlebte selbst nicht. Das Wasser als Motiv zieht sich durch die gesamte Ausstellung, mal mit beruhigender, mal mit beängstigender Wirkung. In Form des Meeres kann das Wasser in Friedrichs Gemälden genauso zu neuen Ufern und Horizonten führen, wie durch seine Erbarmungslosigkeit in den Tod.
Im Jahr 2024 bringen Caspar David Friedrichs Gemälde eine Ruhe und zugleich eine Existenzialität mit, die einen Gegenentwurf zu unserer reizüberfluteten Welt bieten. Sie lassen für einen kurzen Moment aus ihr entfliehen und erinnern, in einer Zeit voller Zerstörung und Unachtsamkeit, an die zum einen grenzenlose und zum anderen aber so zerbrechliche Natur, die es zu schützen gilt. Damit lassen sich die langen Schlangen vor der alten Nationalgalerie zumindest ein bisschen erklären.
Die Ausstellung „Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften“ ist noch bis zum 04. August in der Alten Nationalgalerie zu sehen.
Bilder: Hannah Isabella Schlünder