Eine Stärke der Berliner Kulturlandschaft ist zweifelsohne ihre Vielfalt. Wo in anderen Städten die großen staatlichen Museen den Ton des Kunst-Diskurses angeben, gibt es in Berlin Kunst auch in vielen anderen und unterschiedlichen Konstellationen zu sehen. In der dieswöchigen Kulturkolumne geht es um Kunst, genauer um drei verschiedene Ausstellungen, die mindestens eins miteinander gemeinsam haben: alle drei fangen mit ‚G‘ an.

Grisebach – Vorbesichtigung zur Sommerauktion in Berlins berühmtesten Kunstauktionshaus

Zweimal im Jahr öffnen sich an der Fasanenstraße die Türen der Villa Grisebach, die Architekt Hans Grisebach im ausgehenden 19. Jahrhundert für sich errichten ließ. Heute residiert dort allerdings kein Architekt mehr, sondern das Auktionshaus Grisebach, das im Winter sowie im Frühsommer in großen ,,Vorbesichtigungen‘‘ zeigt, was in den Tagen nach dem Ende der Ausstellung unter den Hammer kommt. Dass Grisebach schon seit mehreren Jahrzehnten eins der umsatzstärksten Auktionshäuser Deutschlands ist, Büros in ganz Europa betreibt und auf dem Gebiet der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts sogar Marktführer ist, kommt nicht von ungefähr. Auf drei Etagen zeigt das Auktionshaus Schmuckstücke, die man sich nur zu gerne selber an die Wand hängen würde. Allein, es fehlt das nötige Kleingeld. Dabei sind die Mindestpreise, die bei den Auktionen ganz zu Beginn aufgerufen und dann überboten werden, zuweilen fast im ,,günstigen‘‘ Segment.

Beim Durchwandern der Etagen der Villa fallen immer wieder einzelne Werke besonders ins Auge. Im dritten Geschoss sticht etwa ein Gemälde von Franz Stegmann hervor, das den Innenraum des Kölner Doms zeigt. Stegmann – ein Meister der Abbildung von Architektur – schafft es, die Riesenhaftigkeit der Hohen Domkirche darzustellen, ohne dass die Leichtigkeit der gotischen Architektur von der Imposanz überdeckt wird. Der von Stegmann intelligent konzipierte Einfall des Lichtes zieht eine*n in den Bann. Gerade die Darstellung des Innenraums ohne Bänke aber mit einer Gruppe von Klerikern und Gottesdienstbesuchern ist ein ungewohnter, aber sehr aparter Anblick.

Wie sehr die Malerei des 19. Jahrhunderts berühren kann, zeigt sich in einer Kundin, die sogleich verkündet: ,,Da biete ich mit! Das kommt in mein Schlafzimmer!‘‘. Doch es ist nicht nur der Kölner Dom von Stegmann, der überzeugt. Aus fast allen Epochen werden künstlerische Delikatessen zur Auktion angeboten: Foto-Arbeiten von Thomas Ruff, sympathische und handliche Plastiken von Beuys-Lehrer Ewald Mataré und sogar der ein oder andere Nolde oder Kandinsky. Interessant zu sehen sind auch die vielen verschiedenen Rahmen, die die Werke mal vorteilhaft, mal weniger vorteilhaft erscheinen lassen. Es wird gemunkelt, dass Grisebach seit Jahren ein gut sortiertes Lager an ,,Leih-Rahmen‘‘ vorhält, um bei Einlieferungen von Bildern aus Privatsammlungen, die zwar wertvoll aber ungünstig berahmt sind, sogleich Abhilfe schaffen zu können.

Die Vorbesichtigungen zu den Auktionen bei Grisebach sollte jede und jeder Kunstinteressierte im Kalender haben, die nächste Auktion findet (wie oft in den letzten Jahren) wahrscheinlich Mitte November statt, die Vorbesichtigung ist zumeist in der Woche davor.

Gauguin – Betrachtung einer überschätzten Ausstellung

Ein Umstand, an dem die Berliner Kulturlandschaft zuweilen krankt, ist, dass bestimmte Veranstaltungen mit ganz besonders dick aufgeblasenen Backen beworben werden, sich am Ende aber eher als eine Luftnummer und Enttäuschung herausstellen. Um dies zu entlarven, gibt es die Kritik, für die die neue Gauguin-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie ein gefundenes Fressen ist. Rein von der Menge der ausgestellten Objekte ist diese Ausstellung wirklich eher dürftig. Es gelingt dem Besuchenden überhaupt nicht richtig in das Werk, den Duktus des Malers einzutauchen, weil er oder sie kurzer Hand schon wieder am Ausstellungende angekommen ist. ,,Huch, schon vorbei?‘‘, will man da ausrufen und hätte sich gewünscht, mehr von Gauguin zu sehen. Wenngleich es sich bei der Ausstellung ganz besonders um eine kritische Perspektive (das Lieblingswort aller Kunst- und Kulturwissenschaftler*innen) auf Gauguins Werke aus seiner Zeit auf Tahiti handelt, wirkt alles ein wenig dünn und laff. Der ein oder andere Holzschnitt, der deswegen interessant ist, weil so Gauguin-untypisch, natürlich – der Fixpunkt der Ausstellung, die ,,Tahitianischen Fischerinnen‘‘, der ein oder andere Blumenstrauß, einige Keramikarbeiten. Alles nicht wirklich anregend.

Was der Ausstellung allerdings zu Gute zu halten ist: Hier gelingt etwas, woran gegenwärtig viele deutsche Museen phänomenal scheitern, nämlich die Aufarbeitung des kolonialistischen Denkens, von dem viele ach so hoch-gelobte Künstler*innen ganz entscheidend geprägt waren. Einerseits zeigt die Ausstellung schonungslos auf, wie Gauguin gedacht hat und in ausgestellten Briefen ist nachzulesen, wie er überlegt, eine Tahitianische Eingeborenenhütte samt Eingeborenen zu kaufen, um sie sich als Anschauungsobjekt zu halten. Augenscheinlich ist er von den Völkerschauen des ausgehenden 19. Jahrhunderts geprägt und lag so schrecklich schön daneben, als er meinte, Tahitisch sei eine unglaublich einfache Sprache und viele seiner Gemälde auf Tahitisch benannte, dabei aber mehr grammatikalische Fehler einbaute als ein unterdurchschnittlich begabter Sprachanfänger. Das ist brisant.

Gauguin, “The Amusement of the Evil Spirit”

Neben der Entzauberung Gauguins – und das ist ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung – kommen auch die Einheimischen der Insel Tahiti zu Wort, wo Gauguin fast eine Dekade lebte. Es sind ihre Vorfahren, die Gauguin malte. Es ist ihr Vaterland, in das Gauguin wie ein Influencer auf Asien-Urlaub von heute reiste. Nach außen gab er vor, Teil der Gemeinschaften der Eingeborenen und dort anerkannt zu sein, in Wahrheit residierte er komfortabel zusammen mit der kolonialen Elite. Das alles kommt durchsichtig und transparent zur Sprache und macht die Ausstellung zu einem Anschauungsobjekt einer fortschrittlichen Kurationsarbeit, die zeigt, wie reflektiert, kritisch aber trotzdem konstruktiv (und nicht etwa wie in Köln, wo man koloniale Kunstwerke ganz ohne Kontext ausstellt) mit der kolonialen Vergangenheit eines Künstlers umgehen kann.

Die Gauguin-Ausstellung (Titel: ,,Paul Gauguin – Why Are You Angry?‘‘) läuft noch bis zum 10.07.2022 in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel. Ermäßigte Studierendentickets sind für 6 Euro zu haben.

Grosz – Kennenlernen einer neuen Berliner Institution: Das Kleine Grosz-Museum an der Bülowstraße

Bei einem Blick in die Instagram-Feeds und Storys der  der künstlerisch-intellektuellen Hautevolee Berlins taucht in den letzten Wochen immer mal wieder die Vorderansicht einer einer kleinen ehemaligen Tankstelle an der Bülowstraße auf. 50er-Jahre-Design, runde Scheiben, ein kleines Wasserbassin – doch was steckt hinter diesem kleinen Schmuckstück, dieser innerstädtischen Oase an der Bülowstraße? Nun, es ist ein Beispiel für privaten Einsatz rund um die Kunst. Ein Verein namens ,,George Grosz in Berlin e.V.’’ setzt sich hier in beeindruckendem Maß für das Erbe ein und hat dazu das Kleine Grosz Museum ins Leben gerufen.

Verantwortlich dafür ist unter anderem Ralph Jentsch, der Verwalter des privaten Grosz-Nachlasses und Herausgebers eines ersten Werkverzeichnisses, sowie einige begeisterte Kompliz*innen. Kombiniert mit einem gar nicht so kleinen Fundus an Grosz-Werken, manche im privaten Nachlass verbliebene Werke, einige dem Museums-Projekt zugewandte Privatsammlungen und der weitgestreute Bestand an Werken in deutschen Museen, der hier zu großen Teilen zusammengeführt wird, ergibt das einen ansehnlichen und nicht zu unterschätzenden Faktor der Berliner Kulturlandschaft. Der Galerist Juerg Judin hatte bis vor kurzem in der Tankstelle gewohnt, nun macht er Platz für die Zusammenführung der Werke von George Grosz, der seiner Zeit ebenfalls in der Gegend rund um den Nollendorfplatz lebte und Bühnenbilder für die ,,Piscator-Bühne‘‘ im Metropol-Theater entwarf. Doch was geben die Werke, die hier ausgestellt werden tatsächlich her? Es ist in erster Linie schon eine Errungenschaft, eine verhältnismäßig große Zusammenschau von Werken des George Grosz, der seinen deutschen Namen nach den Erfahrungen des 1. Weltkrieges anglisierte, zu sehen. Denn üblicherweise stellen die großen Museen und Galerien dieses Landes immer nur sehr vereinzelte Werke aus. Für viele ist da wohl ,,Stützen der Gesellschaft‘‘ ein Begriff. Das von Grosz gezeichnete Sittenbild der Weimarer Republik ist in der Neuen Nationalgalerie zu bestaunen. Doch im Kleinen Grosz Museum geht es nicht um das Prahlen mit großen Stücken, sondern vielmehr um das Kennenlernen der Details, der Feinheiten, des Genies im Kleinen.

Es sind beeindruckende Stücke, die eine*n erschaudern lassen, wie etwa die schwarz-weiße Tuschzeichnung „Nächtlicher Überfall“ aus dem Jahre 1912, die halb abstrakt und trotzdem mit einer entlarvenden Ausdruckskraft die Kampfhandlungen des Krieges darstellt. Zu sehen sind aber auch – und das macht diese Museum besonders – selten gezeigte Werke aus Grosz‘ Jugend. Straßenszenen aus den Zwanzigern und die Darstellung Hitlers als Monster, fast schemenhaft, als Aquarell, wie ein böser Geist, der die Welt umfasst hält. Grosz als politischer Mensch, als Beobachter, als messerscharfer Analyst seiner Zeit – kaum verwunderlich, dass ihn die Nazis als einen der ersten Künstler*innen verboten und verfremdeten. Umso interessanter scheint sein Werk für die Gegenwart und es ist ein Segen, dass es nun eine neue Heimstatt an der Bülowstraße gefunden hat.

Das Kleine Grosz Museum befindet sich an der Bülowstraße 18, 10783 Berlin (nahe U Bülowstraße) und hat Montags und Donnerstags von 11 – 18:00 Uhr, Freitags von 11 – 20:00 Uhr und Samstags sowie Sonntags von 11 – 18:00 Uhr geöffnet. Tickets müssen online erworben werden. 

Die Kulturlandschaft Berlins – Vielfalt und Brillanz

Am Ende sind in diesen Tagen drei ganz unterschiedliche Berliner Ausstellungen nicht nur geladen, um die Vielfalt der Berliner Kulturlandschaft zu bezeugen. Sie zeigen auch, dass es nicht immer die großen Häuser sein müssen, die bereichernde Begegnungen mit der Kunst ermöglichen. Ein Kunstdiskurs gerade in einer Stadt wie Berlin lebt von privaten Engagement, von Menschen die Kunst zeigen. Egal, ob dies zum Zwecke des Verkaufs geschieht oder, um der Stadt einen neuen Kunstort zu schenken. Wie sooft im Leben ist es hier die berühmte Mischung, die es macht, und so will ich einmal mehr dazu anregen, beim Kunstgenuss die Augen in alle Richtungen offen zu halten.


Foto: Grosz Museum