Drei Berliner Hochschulen haben kein Semesterticket mehr. An der HU läuft der Vertrag mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) dieses Semester aus und ein mögliches Ende aller Semestertickets in Berlin steht im Raum. Wie steht es um das ÖPNV-Angebot für Student*innen in Berlin?

Seit diesem Semester haben die HTW, TU und UdK kein Semesterticket mehr. Laut Tagesspiegel sind insgesamt circa 53.000 Student*innen von dem Wegfall des Semestertickets betroffen. In einer Rundmail des Referent*innenrats (RefRats) der HU vom vorletzten Freitag wird eine Kampagne für den Erhalt des Tickets ausgerufen, da es wahrscheinlich ab nächstem Semester auch an der HU kein Semesterticket mehr geben wird.

Das Ticket ermöglicht es Student*innen durch ein Solidarmodell mit S-/U-Bahn, Bus und Tram im Tarifbereich ABC unterwegs zu sein (inklusive Regionalzügen innerhalb Berlins und Fahrradmitnahme). Jede Hochschule handelt separat alle drei Jahre mit dem VBB einen Semesterticketvertrag aus. Der Vertrag regelt die Ticketgebühr und Konditionen und muss von den Student*innen der Hochschule per Urabstimmung bestätigt werden. Damit der Vertrag unterzeichnet werden darf, müssen mindestens 10% der eingeschriebenen Student*innen mit „Ja“ abgestimmt haben und die „Ja“-Stimmen müssen die Mehrheit bilden. Von der Semesterticketgebühr kann man sich nur unter bestimmten Umständen freistellen lassen (beispielsweise bei einem Auslandssemester). Nach dem Solidarmodell muss die Gebühr nämlich prinzipiell von allen Student*innen bezahlt werden. Der Semesterbeitrag an der HU beträgt für dieses Semester 315,64 Euro, davon fallen 201,80 Euro für das Semesterticket an, was 33,63 Euro monatlich ergibt.

Keine fairen Alternativen, Parteilichkeit zugunsten des VBB

Am 23. Mai 2023 teilt der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der HTW mit: „Die Semesterticketverhandlungen sind gescheitert. Kein Semesterticket ab Wintersemester.“ und begründete dies mit der fehlenden Legitimität für ein Semesterticket im Solidarmodell. Der AStA der UdK schreibt dazu in einem Statement: „Laut dem letzten vorhandenen juristischen Gutachten zum Semesterticket, ist ein Solidarmodell nur dann legitim, sofern der Preis ca. 50%, höchstens 60% von einem vergleichbaren ÖPNV-Ticket kostet. Dies ist mit dem D-Ticket [Deutschlandticket] schon nicht mehr der Fall. Ohne die juristische Legitimität besteht die Möglichkeit, dass Student*innen gegen das Solidarmodell Semesterticket klagen. Die entstehenden Kosten würde der AStA tragen. Diesem Risiko hätten wir uns in jedem Fall nicht ausgesetzt.“ Mit ähnlichen Gründen beschlossen schließlich der AStA der TU und der AStA der UdK am 08. Juni 2023 das Ende des Semestertickets. Auch der RefRat der HU kündigt an, dass sie unter diesen Umständen keinen neuen Vertrag unterschreiben werden.

In der Pressemitteilung kritisiert der AStA der HTW das Verhalten der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verkehr und Klima und des VBB bezüglich der Gespräche und Verhandlungen zum Semesterticket. Auch die Landes-Asten-Konferenz (LAK) wirft dem VBB in einer Pressemeldung unkooperatives Verhalten und zeitliche Verzögerung trotz Inkenntnissetzung notwendiger Fristen vor. Bei der Senatsverwaltung sieht die LAK Parteilichkeit zugunsten des VBB. Bereits bei den Zuschuss-Verträgen zum Sommersemester habe sich die Senatsverwaltung verantwortungslos gezeigt: „Diese Verträge wurden nicht vorrangig mit uns als Studierendenschaften, sondern mit den Hochschulen verhandelt. Änderungswünsche einzelner Studierendenschaften am Vertrag wurden erst nach mehreren Wochen, Gesprächen und Schreiben von Anwälten übernommen. Gleichzeitig wurde uns die Verantwortung zugeschoben, dass die Verträge so kurzfristig zustande kamen, dass das Semesterticket für das Sommersemester fast nicht mehr abschließbar war.“

Der VBB möchte sich zu diesem Zeitpunkt weder zu den gescheiterten Semesterticketverträgen, noch zu den zukünftigen Verhandlungen äußern.
Die Senatsverwaltung teilte der UnAuf auf Anfrage mit, dass die Entscheidung, ob für die Studierenden einer Hochschule ein Semesterticket angeboten werde, nicht von der Senatsverwaltung, dem VBB oder einem Verkehrsunternehmen getroffen werde, sondern von der Studierendenschaft der Hochschule. Zudem betonte sie in ihrer Antwort die Zuschüsse von 16,50 Euro pro Semesterticket/Semester durch das Land Berlin. Die Möglichkeit einer Erhöhung dieser Zuschüsse werde aber aktuell nicht gesehen. Zu der Frage, in welcher Verantwortung sich die Senatsverwaltung bei der Finanzierung des Semestertickets sehe, erläuterte diese “das Prinzip des Solidarmodells”. Sie fügte hinzu, dass das Land Berlin in die Finanzierung dieser Vereinbarung nicht involviert sei.

Ist ein deutschlandweites Semesterticket die Lösung?

Die Student*innen, die jetzt kein Semesterticket mehr gestellt bekommen, können auch keine Anträge auf Zuschuss mehr stellen. Die Wichtigkeit eines bezahlbaren ÖPNV-Angebots zeigt sich hierbei besonders. Der Paritätische Gesamtverband nennt Student*innen mit BAföG-Bezug als überproportional stark von Armut betroffen, insgesamt seien 30% aller Student*innen in einer solchen Situation. Das Statistische Bundesamt stellte außerdem fest, dass 37,9% der Student*innen im Jahr 2021 von Armut gefährdet waren. Das Berlin-Ticket-S (Sozialticket) für den AB-Bereich kostet zwar nur 9 Euro monatlich, aber es ist nicht erhältlich für BAföG-Empfänger*innen. Das Deutschlandticket kostet 49 Euro monatlich, beinhaltet aber keine Fahrradmitnahme. Die Einführung des 29-Euro-Tickets für den Tarifbereich AB wurde am 10. Oktober 2023 beschlossen. Im Gegensatz zum bisherigen Semesterticket beinhaltet dieses aber keine Fahrradmitnahme, schließt den C-Bereich nicht mit ein und ist nur im Jahresabo verfügbar. Die voraussichtliche Verfügbarkeit des Angebots wird für die erste Hälfte des Jahres 2024 angekündigt.

Der RefRat der HU sieht zwei Auswege, um das Semesterticket zu retten: Die Senatsverwaltung müsste den Zuschuss zum Semesterticket erhöhen oder der VBB müsste den Semesterticketpreis senken. Deshalb kündigt der RefRat eine Kampagne an, um Druck auf die Senatsverwaltung auszuüben. Alle Student*innen können sich beteiligen, indem sie Plakate aufhängen oder eine Mail an die Senatsverwaltung schicken. Der AStA der TU fordert die Aufnahme aller BAföG-Empfänger*innen in das Sozialticket, die Ausweitung auf den C-Bereich und betont ebenfalls die prekäre Lage der internationalen Student*innen, da diese keinen Anspruch auf Sozialleistungen erheben können. Auch die Senatsverwaltung sieht Handlungsbedarf und bestätigt, dass sich die Länder für die Einführung eines bundesweiten Semestertickets auf Basis des Deutschlandtickets einsetzen. Ein Preis von 29,40 Euro monatlich sei momentan im Gespräch. Ab dem 01. Januar 2024 sei ein weiteres Angebot das VBB-Ausbildungsabo (Bereich AB, mit Fahrradmitnahme) für monatlich 48,50 Euro.

„Ich hoffe, dass das Semesterticket bleibt“

Werden die HU und andere Hochschulen bald auch kein Semesterticket mehr anbieten? An der HU läuft der aktuelle Vertrag mit dem VBB zwar noch bis zum Ende des Wintersemesters 2023/24, wie es danach weitergeht, ist allerdings unklar. Wie reagieren die Student*innen auf den drohenden Wegfall?

Lea und Zainab studieren an der HU und wirken verwundert über ein mögliches Ende des Semestertickets. Lea sagt, dass es für sie persönlich keine große Umstellung wäre, wenn es das Semesterticket nicht mehr gäbe. Zainab schüttelt den Kopf und sagt empört: „Ich wohne im C-Bereich, in Schönefeld. Ich fahre jeden Tag 1,5 Stunden zur Uni und habe jetzt nicht noch den Kopf für eine nächste Sorge, dass ich noch mehr zahlen müsste. Es reicht mir schon, dass ich einen langen Weg habe. Ich hoffe, dass das Semesterticket bleibt.“

Bei den Fahrradständern stehen Vivian und Jermaine, die ebenfalls an der HU studieren. Jermaine lehnt an einem grün-blauen Rennrad. Er würde wahrscheinlich nur noch Fahrrad fahren, wenn es kein Semesterticket mehr gäbe. Vivian findet das Semesterticket gut, aber benutzt es kaum. Wenn es das Ticket nicht mehr gäbe, würde Vivian ebenfalls meistens Fahrrad fahren. „Und wenn ich dann U-Bahn fahre, würde ich wahrscheinlich schwarzfahren.“


Foto: Amelie Gante

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