Zum letzten Vorlesungstag des Semesters lädt die Initiative #nichtnuronline zum Protest vor das Hauptgebäude der HU. Unter dem Motto „Macht kaputt was euch kaputt macht“ veranstalten die Organisator*innen eine Kunstperformance.

Das Wetter hätte nicht schlechter sein können: Es regnet an diesem letzten Tag in der Vorlesungszeit. Während hinter dem großen Gitterzaun vor dem Hauptgebäude die Hermann von Helmholtz-Statue Richtung Bebelplatz blickt, versammeln sich vor den schweren Eisengittern Studierende, die 16 Monate nicht mehr ihre Universität betreten haben.

Kaum hat es aufgehört zu regnen, enthüllen Mitglieder der Initiative #nichtnuronline ihre Banner. Auf einem steht „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Es ist das eindrücklichste Lied der Band Ton, Steine, Scherben mit der kratzigen Stimme Rio Reisers. Die Band, die wie keine andere das kapitalistische System kritisierte, nehmen die Mitglieder der Initiative #nichtnuronline als O-Ton ihres Protests auf.

Protest mit Happening-Charakter

Die Aktion startet mit einem nachgespielten Zoom-Call. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich ein solches Gespräch vor Augen zu führen. Die Teilnehmer*innen tragen schwarz bemalte Pappkartons auf den Schultern. Manche von ihnen schauen durch eingeschnittene Fenster, andere nicht. Studierende mit den Profilnamen Klaus Trophie, Anoymous und Rudi Mentär kommen zu Wort, während Reiner Wein und Hella Wahnsinn mit stummen Mikrophonen schweigen.

Die Veranstalter*innen wollen so auf die beengten Zustände aufmerksam machen, unter denen Studierende derzeit arbeiten. Eine Situation, die scheinbar so arg ist, dass sie die Sehnsucht nach einem Ausbruch sinnbildlich erzwingt. Nicht nur deshalb entledigen sich die Teilnehmer*innen der Pappkartons und zerreißen diese öffentlichkeitswirksam. Rio Reisers Lied läuft und am Ende werden zwei Bildschirme und ein Laptop mit Baseballschlägern zerschlagen.

Angst vor einer entsinnlichten Lehre

Einmal mehr zeigen die Mitglieder von #nichtnuronline, dass sie der vollständigen Online-Lehre, wie sie in diesem Sommersemester fortgesetzt wurde, kritisch gegenüberstehen. Vor allem mit Hinblick auf die gerade erst zu Ende gegangene Fußball-EM fragen sich viele, warum Stadien teils mit Zehntausenden Menschen gefüllt werden, während die Universitäten geschlossen bleiben.

Einer der Teilnehmer*innen spricht in seinem Redebeitrag von einer „Absolutierung des Zoom-Porn“. So wird der Online-Lehre dieselbe befriedigende Wirkung wie der Pornographie zugeschrieben. Dem entsprechend verspräche die Online-Lehre zwar eine Art Befriedigung (in diesem Fall die akademische), die sie jedoch ebenso wenig wie die Pornographie einhalten könne. Von einer Kommerzialisierung der Universitäten ist die Rede und von einer voranschreitenden Entsinnlichung des akademischen Betriebes.

Befürchtung einer anhaltenden Online-Lehre

Dass die Online-Lehre nur eine obszöne Abbildung des vorpandemischen Lehrbetriebes darstellt, ist vielleicht zu weit gegriffen. Die Initiative betont zwar immer wieder keine komplette Öffnung für das kommende Wintersemester zu verlangen und die geltenden Corona-Bestimmungen zu respektieren. Sie kritisiert jedoch, dass die Universitätsleitung keine Möglichkeiten in Erwägung gezogen habe, um die Präsenzlehre im größtmöglichen Rahmen durchzusetzen.

Für die Initiator*innen von #nichtnuronline scheint die Online-Lehre ein fragwürdiges, technisiertes Heilsversprechen zu sein. Zwar nehme man die Pandemie ernst, befürchte aber auch, dass das Konzept eines digitalen Lehrangebotes die Präsenzlehre auch nach der Pandemie verdrängen könne. Das Misstrauen gegenüber der Universitätsleitung ist dementsprechend groß. Initiativen-Mitbegründer Benedict Gehlken warnt vor einer anhaltenden Online-Lehre: „Mit der Digitalisierung ist es ein bisschen wie mit dem Buchdruck. Wir wissen noch nicht, was das mit uns macht. Und wir wissen, dass die Universität als Institution bereits über eintausend Jahre ohne Notebooks funktioniert hat“, sagt Gehlken. Und so habe man sich unter dem Motto „Macht kaputt was euch kaputt macht“ dazu entschieden, die für die Online-Lehre notwendigen Notebooks in einem symbolischen Akt zu zerschlagen.

Entscheidungsträger*innen planen Rückkehr zur Präsenzlehre

Währenddessen arbeitet die Leitung der Humboldt-Universität an Konzepten, wie man trotz Pandemie ein hybrides Semester ermöglichen könne. Der von der Vizepräsidentin für Lehre und Studium Prof. Dr. Obergfell vorgelegte Plan zur Lehre im Wintersemester sieht vor, klassische Präsenzformate „in kleinen bis mittelgroßen Lehrveranstaltungen“ zu ermöglichen, wie Obergfell im Presseportal der HU bekanntgab. In welcher Anzahl und in welchem Referenzplan Präsenzveranstaltungen wieder stattfinden werden, wurde nicht genannt.

Wichtig ist laut Obergfell vor allem die Wiederaufnahme des Präsenzbetriebes in „essentiellen“ Fällen. So solle es etwa Forschungskolloquien als Präsenzveranstaltung für diejenigen Studierenden ermöglichen, die vor dem Hochschulabschluss stehen. Für jene Studierenden, die ihre ersten drei Hochschulsemester außerhalb der Universität studieren mussten, soll es ebenfalls ein Präsenzangebot geben. Am 1. August sollen genauere Pläne zum geplanten Semesterbeginn im Oktober vorgelegt werden. Ob damit für die meisten Studierenden der Berliner Hochschulen eine Rückkehr zum normalen Universitätsbetrieb möglich wird, ist jedoch unklar.

 


Fotos: Nils Katzur