Paula ist Mitgründerin der Initiative #nichtnuronline. Zusammen mit ihren Mitstreiter*innen setzt sie sich für eine schrittweise Rückkehr zur Präsenzlehre ein. Die UnAufgefordert hat mit ihr darüber gesprochen, wie schwierig das Studium nach fast vier Semestern im Lockdown ist und warum es gerade jetzt wichtig ist, ein Signal für Audimax und Seminarraum zu setzen.

UnAufgefordert: Wir sind jetzt seit 15 Monaten Online-Studierende. Wie läuft dein Studium?

Paula: Für mich persönlich ist es gerade sehr schwierig. Ich fühle mich kaum so, als würde ich aktiv studieren. Ich befinde mich jetzt eigentlich schon in der Endphase meines Bachelors und für die B.A.-Arbeit fehlt mir gerade die Motivation und die Antriebskraft. Da bin ich sicherlich nicht die Einzige.

UnAufgefordert: Liegt das auch daran, dass das Studium gerade online stattfindet?

Paula: Genau. Jetzt macht die Bibliothek die Arbeitsplätze auf und da hege ich große Hoffnungen, dass das mein Arbeitsverhalten wieder verbessert, weil beim Zuhause-am-Schreibtisch-sitzen, an dem Ort wo noch so viel anderes passiert, eben nicht diese konzentrierte Arbeitsatmosphäre herrscht, die ich eigentlich bräuchte. Doch diese Maßnahme alleine ist natürlich nicht genug. Vor allem fehlt es an Austausch und sozialer Interaktion, aus der man Inspiration und Motivation schöpft.

UnAufgefordert: Was führte zur Gründung der Initiative #nichtnuronline?

Paula: Wir haben uns in den Semesterferien kurz vor dem jetzigen Sommersemester gegründet und da sind eben Studierende aus ganz unterschiedlichen Hochschulen zusammengekommen, durch verschiedene Zufälle. Ich studiere an der HU Geschichte und Philosophie. Und die Philosophie-Fachschaft hat ein digitales Treffen angeboten, wo Studierende sich austauschen konnten. Daraus ist dann auch eine anonyme Möglichkeit entstanden, eigene Erfahrungen einzureichen. Dort war zu beobachten, dass es sehr vielen von uns nicht gut geht – und zwar akut nicht gut geht, dass Handlungsbedarf besteht. Währenddessen wurde von einer Gruppe von Studierenden an der FU der offene Brief verfasst, in dem bereits für dieses Sommersemester bestimmte Forderungen gestellt wurden. So haben wir zusammengefunden und daraus ist #nichtnuronline entstanden.

UnAufgefordert: Der Tagesspiegel hat geschrieben, dass auf die Perspektivlosigkeit der Studierenden häufig auch der Motivationsverlust folgt. Gibt es noch mehr Punkte, die man anführen könnte?

Paula: In einer repräsentativen Studie der Donau-Uni Krems, die Anfang diesen Jahres durchgeführt wurde, zeigte sich, dass von den 18- bis 24-Jährigen über die Hälfte Symptome einer Depression aufweisen. Darin sind natürlich auch viele Studierende enthalten, bei denen das unter anderem die Folgen davon sind, allein Zuhause isoliert zu sein, diesen Rhythmus nicht mehr zu haben, keinen Grund mehr zu haben, morgens aufzustehen. Das Studium war für viele ein sehr strukturgebendes Element. Für mich ist Studieren auch meine Haupttätigkeit, selbst wenn ich nebenbei arbeite. Studieren ist ein Lebensabschnitt. Ich identifiziere mich damit, ich bin in erster Linie Studentin und dieses Gefühl ist weggebrochen. Es bleibt der psychische Druck, den man sich entweder selbst macht oder dem einen das Umfeld auferlegt.

Die Forderung nach sofortigen und kopflosen Öffnungen haben wir nie gestellt.

UnAufgefordert: Es gibt Stimmen, die meinen, ihr verharmlost durch eure Aktion die Auswirkungen der Pandemie.

Paula: Wir haben immer versucht zu betonen und machen das auch jetzt noch, dass wir vorausschauendes Handeln und Planen einfordern und gerade im Winter war uns sehr bewusst, dass es nicht um sofortige Öffnungen gehen kann und darf. Alles, was wir eingefordert haben, war, aus den vergangenen Monaten zu lernen und vorausschauende Konzepte zu entwickeln, um dann für das nächste Semester besser aufgestellt zu sein und den Studierenden wieder mehr Möglichkeiten zu bieten. Ich hatte das Gefühl, dass wir zum Teil missverstanden wurden und uns die Forderung nach sofortigen und kopflosen Öffnungen unterstellt wurde. Diese Forderungen haben wir aber nie gestellt.

UnAufgefordert: Politiker*innen wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier loben das Durchhaltevermögen der Studierenden in der Pandemie. Wie empfindet ihr das?

Paula: Ich muss schon sagen, es tat mir persönlich gut diese Rede von Steinmeier zu hören, denn ich habe mich in dieser Pandemie zum ersten Mal auf bundespolitischer Ebene wahrgenommen gefühlt. Natürlich ändert das aber nichts an der derzeitigen Lebens- und Studiensituation selbst. Diese warmen Worte allein nützen uns eigentlich nichts, solange wir in Wirklichkeit noch weiter zuhause sitzen und uns keine Perspektiven geboten werden.
Was jetzt tatsächlich passiert, ist, dass Bürgermeister Michael Müller und der Berliner Senat Öffnungsstrategien für die Berliner Hochschulen angekündigt haben. Wenn man sich jetzt aber genauer anschaut, was davon auch an den Unis und Hochschulen umgesetzt wird, dann bleibt nur sehr wenig davon übrig.

UnAufgefordert: Wie viel genau?

Paula: Erst kürzlich wurde das Konzept für die Planung des Wintersemesters an der HU veröffentlicht. Da wird von einem Mindestangebot an Präsenzkursen von 20 bis 30 Prozent fürs Wintersemester gesprochen. In der Fußnote sieht man dann genauer, dass zu diesem Präsenzanteil auch schon blended learning-Formate gehören, die keine reine Präsenzveranstaltung sind. Es sind Veranstaltungen, die auf eine Präsenzform umgestellt werden könnten. Hinzu kommt, dass Studierende, die am Anfang und Ende ihres Studiums stehen, besonders berücksichtigt werden. Das ist gut, bedeutet aber, dass für die meisten restlichen Studierenden kaum Präsenzformate „übrig bleiben“ werden.

Was das aktuelle Semester angeht, werden jetzt überhaupt nur diese blended learning-Formate wieder potentiell in Präsenz umgestellt. Davon gibt es im Vorlesungsverzeichnis aber nur sehr wenige. In meinen Fächern gibt es im Bachelorprogramm keine einzige Veranstaltung, die jetzt umgestellt wird.

In den letzten 15 Monaten hätte man für die Situation des Übergangs planen können, indem man im Sommer sowohl eine digitale und eine Teilnahme vor Ort ermöglicht.

UnAufgefordert: Was glaubt ihr woran das liegen könnte?

Paula: Die Uni stellt die Bedingung auf, dass Kurse, die jetzt umgestellt werden, parallel noch online zur Verfügung gestellt, also als Hybridformate angeboten werden müssen. Dafür wiederum verfügt sie nicht über die ausreichenden technischen Mittel. Unsere Präsidentin Frau Kunst sagt, man hätte etwa nicht genug Kameras für die Vorlesungssäle. Dabei wäre so etwas eine Form der Digitalisierung, die uns wirklich nützen würde. In den letzten 15 Monaten hätte man für genau diese jetzt stattfindende Situation des Übergangs planen können, indem man im Sommer sowohl eine digitale und eine Teilnahme vor Ort ermöglicht. Die Präsenzlehre ist kein Luxusgut, sondern ist für viele Studierende inzwischen auch zu einem essenziellen Bedürfnis geworden.

UnAufgefordert: Zumindest in den Biergärten kehrt wieder ein Stück Normalität zurück. Könnte man da nicht optimistisch auf die baldige Öffnung der Universitäten blicken?

Paula: Mich macht es gerade eher stutzig, dass wir wirklich bereits in so vielen Bereichen diese Öffnungen sehen und die Hochschulen die letzten Institutionen sind, in denen Schritte eingeleitet werden. Das lässt mich schon sehr darüber nachdenken, welchen Stellenwert unsere Bildung in der Gesellschaft hat. Es ist uns sehr bewusst, dass Schulen und die Bildung von Schüler*innen Priorität haben und von uns Studierenden mehr Selbstorganisation eingefordert werden kann. Aber wenn wir jetzt auf die Bereiche schauen, in den wieder Freizeitgestaltung möglich ist, sind das für mich eigentlich immer mehr Gründe zu sagen, dass es auch an den Universitäten mit den passenden Konzepten möglich wäre, mehr Präsenzlehre umzusetzen. Für mich wird es immer mehr zum Indiz, dass der politische Wille dafür offensichtlich nicht groß genug ist.

Ich habe die Sorge, dass die Situation genutzt werden könnte, um eine Form der Digitalisierung an den Hochschulen voranzubringen, die nicht mit den Studierenden gemeinsam gestaltet wird.

UnAufgefordert: Wie akut schätzt eure Initiative die Situation für die Präsenzlehre ein?

Paula: Ich habe die Sorge, dass die Situation, die ja eigentlich eine absolute Ausnahme darstellt, genutzt werden könnte, um eine Form der Digitalisierung an den Hochschulen voranzubringen, die nicht mit den Studierenden gemeinsam gestaltet wird. Ich glaube es gibt auf jeden Fall kluge Lösungen, um digitale Elemente als Ergänzung der Präsenzlehre in unsere Hochschulen zu integrieren, aber aktuell werden die Studierenden nicht gefragt, welche das sein könnten. Nehmen wir als Beispiel die Aufzeichnung von Vorlesungen, dann sehe ich da viele Möglichkeiten. Was aber aktuell gerade passiert, ist, dass man so tut, als könnte man Präsenzformate einfach ersetzen und in den digitalen Raum verlagern. Man blendet damit aus, was dadurch verloren geht.

UnAufgefordert: Etwa 200.000 Studierende sind derzeit an den Berliner Hochschulen immatrikuliert. Selbst jetzt, trotz sinkender Inzidenz und steigender Impfquoten, ganz schön viel, um eine fast vollumfängliche Präsenzlehre zu fordern, oder?

Paula: Auch der Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, hat die Zahl genutzt, um zu sagen, diese 200.000 Studierenden würden sich noch zusätzlich durch die Stadt bewegen. Dazu muss man sagen, dass sehr viele Menschen momentan täglich ins Büro pendeln. Die ganze Pandemie über hat man Arbeitgeber*innen da wenig in die Pflicht genommen. Im Gegensatz dazu saßen Studierende 15 Monate zuhause. Ich finde, man muss das in Relation zueinander sehen. Hinzu kommt noch, dass Studierende ganz unterschiedliche Stundenpläne haben und nicht alle gleichzeitig durch diese Stadt fahren. Und auch jetzt bewegen sich Menschen wieder verstärkt in ihrer Freizeit. Das ist also kein Grund die Universitäten weiterhin geschlossen zu lassen.

Eigentlich ist unsere Initiative darauf ausgelegt, dass wir uns irgendwann selbst auflösen.

UnAufgefordert: Was wären eure Vorschläge?

Paula: Universitäten haben den Vorteil, sehr große Räume zur Verfügung zu stellen, in denen kleinere Veranstaltungen unter Einhaltung der Abstandsreglungen stattfinden könnten. Über die Rückverlagerung von Vorlesungen reden wir ja erst einmal gar nicht. Es geht uns verstärkt um die kleineren Tutorien und Seminare. Die Universitäten hätten ihrer Verantwortung auch besser gerecht werden können, indem sie externe Räumlichkeiten anbieten könnten. Es gab zwischenzeitlich lange Zeiträume, in denen viele Räume, die normalerweise von der Kulturbranche genutzt werden, leer standen. Es gab Geld, um Zoom-Lizenzen zu kaufen und so müsste es auch möglich sein, die Mittel bereit zu stellen, um mehr Raum für Studierende zu schaffen.

UnAufgefordert: Sind Aktionen geplant, um auf die Situation der Studierenden aufmerksam zu machen?

Paula: Das nächste anstehende Projekt ist die sogenannte Summer-School am 12. und 13. Juni. Diese wird im ExRotaprint stattfinden, dem ehemaligen Produktionsgelände der Druckmaschinenfabrik im Wedding. Es gibt an beiden Tagen ein super diverses Programm. Wir haben nicht nur Dozierende und Professor*Innen eingeladen, sondern werden auch Inputs von Studierenden hören. So wird zum Beispiel Professor Axel Metzger einen Vortrag zur Rolle von Patentrechten bei Impfstoffen geben, es wird aber auch einen Tanzworkshop und einen Dirigier-Kurs geben.

UnAufgefordert: Also interessieren sich auch Professor*innen für die Initiative?

Paula: Ja! Es tut uns gut und ist wichtig zu wissen, dass auch Dozierende und Professor*innen die Präsenzlehre vermissen. Ich kann auch sehr gut nachvollziehen, dass es keinen Spaß mehr macht, auf schwarze Kacheln im Zoom-Call zu starren.
Forschung und Lehre greifen eben ineinander und ich glaube, vielen wird jetzt auch schmerzlich bewusst, dass dahingehend ein großer Teil weggebrochen ist. Es zeigt uns, dass es nicht darum geht, Dozierende und Studierenden gegeneinander auszuspielen oder Interessen gegeneinander zu stellen, sondern gemeinsam zu schauen, wie wir wieder zur Präsenzlehre zurückkehren.

UnAufgefordert: Eine Rückkehr zur Präsenzlehre ist so schnell nicht abzusehen. Wie geht’s für euch im kommenden Wintersemester weiter?

Paula: Das ist eine gute Frage (lacht). Eigentlich ist unsere Initiative darauf ausgelegt, dass wir uns irgendwann selbst auflösen. Das ist die Hoffnung, die wir alle haben, dass es uns gar nicht mehr so lange geben muss. Im Moment sieht es leider so aus, als würde es kein klares Bekenntnis zur Präsenzlehre im Wintersemester geben und ich denke wir werden uns weitere kreative Aktionsformen ausdenken und überlegen, wie wir uns weiter für unser Anliegen stark machen können. Dafür müssen wir noch mehr werden. Denn feststeht: So wie jetzt kann es nicht weitergehen.


Die Summer School von #nichtnuronline findet am 12. und 13. Juni auf der Freifläche von ExRotaprint statt. Das Programm findet ihr hier.