Die Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Polizei steht schon seit längerem in der Kritik. Jetzt haben Netzaktivist*innen im Rahmen eines Hackathons das Twitter-Verhalten, die Verwendung von Hashtags und Netzwerke zwischen den verschiedenen Polizei-Accounts analysiert. Am Ende ist klar: Es gibt noch viel zu tun. Aber es gibt auch viele Ideen und engagierte Aktivist*innen.

In der Öffentlichkeit und auch nach wie vor bei einigen Medienhäusern genießt die Polizei eine besondere Glaubwürdigkeit. Viele Polizeimeldungen und Tweets werden ohne Gegenrecherche in die Berichterstattung eingebunden. Und auch sonst nutzt die Polizei zunehmend Social Media-Plattformen wie Twitter, um die Deutungshoheit über ihre Einsätze zu gewinnen und eine klare Imagekampagne zu betreiben. Dabei ist die Polizei mit ihren laut einem NDR-Bericht 333 Social-Media-Profilen, davon 159 offizielle Twitter-Accounts (Stand: 2018) durchaus mitteilsam im Netz.

Das ist nicht immer unproblematisch, wie die Studierendengruppe AG Link der Universität Leipzig in ihrem Projekt Copbird zeigt. Bei diesem haben die Mitglieder der AG, die sich „kritisch mit den Wechselprozessen zwischen IT und Gesellschaft beschäftigten“, Tweets und Metadaten deutscher Polizei-Accounts gesammelt. Insgesamt umfasst der Datensatz alle Tweets von offiziellen deutschen Polizei-Accounts seit Herbst 2020. Das entspricht etwa 45.000 Tweets und dazugehörigen Metadaten.

Während eines Hackathons vom 21. bis 23. Mai arbeiteten über 20 Kleingruppen an diesen Daten. Per Sprach-, Netzwerk- und Metadatenanalysen versuchten die Teilnehmer*innen Regelmäßigkeiten und Auffälligkeiten im Twitter-Verhalten der Polizeibehörden zu finden. „Die verschiedenen Perspektiven, die jede*r einzelne Teilnehmer*in zu unserem Copbird Hackathon mitgebracht hat, hat dazu geführt, dass wir nun viele verschiedene Ansätze haben, um mit diesem Datensatz umzugehen“, sagt Rosa Beck, Pressesprecherin des Hackathons.

Polizei inszeniert sich auf Twitter als “Freund und Helfer”

Zum Auftakt des Hackathon-Wochenende erklärt der Soziologe und Kulturwissenschaftler Peter Ullrich warum dieses Projekt so wichtig ist. Denn immer wieder stoßen die Polizei-Beamt*innen auf Social Media an verfassungsrechtliche Grenzen: Die Polizei verwendet Twitter nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie um die Öffentlichkeit über Einsätze und Demonstrationen zu informieren oder als Ermittlungsinstrument. Mit Katzenfotos und witzigen Clips inszeniert sie sich als „Freund und Helfer“ und tritt, indem sie Geschehnisse kommentiert, als politischer Akteur auf.

So nutzt die Polizei ihre Deutungshoheit im Netz um Proteste und Bewegungen, wie Blockupy und Black Lives Matter, zu delegitimieren und Menschen vor einer Teilnahme abzuschrecken.

Auch verbreitet die Polizei immer wieder fehlerhafte Tweets die – unkritisch übernommen – zu einem verzerrten öffentlichen Bild eines Polizeieinsatzes, einer Demonstration oder anderer Ereignisse führen können.

Es existieren etliche Belege für polizeiliche Tweets, die sich später als in Teilen oder komplett falsch herausgestellt haben. Oftmals haben diese Fehlinformationen Eingang in die Berichterstattung von Massenmedien gefunden. Nachgeschobene Richtigstellungen erreichen in der Regel eine wesentlich kleinere Leser*innenschaft.

Zu den populärsten Beispielen getwitteter Fehlinformationen gehört der vermeintlich unter Strom gesetzte Türknauf eines Berliner Hausprojekts in der Friedelstraße 54. An dem auf Holz geschraubten Türknauf wollen die Beamt*innen Strom gemessen haben, was auch prompt so getwittert wurde.

Obwohl die Polizei sich später berichtigen musste, fand sich der „unter Strom gesetzte Türknauf“ und „Beamte unter Lebensgefahr“ in diversen Überschriften wieder – wie etwa bei der Welt wieder – und beeinflusste so die öffentliche Wahrnehmung des Polizeieinsatzes.

Falsche Meldungen über verletzte Beamte beim G20-Gipfel

Besonders deutlich wurde der mediale Einfluss von Polizeimeldungen während des G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Die Berichterstattung war voll von, mit Eisenstangen und Molotow-Cocktails bewaffneten Autonomen, für die allerdings jegliche Beweise fehlten.

Die Meldungen von Hunderten verletzten Polizeibeamt*innen dominierten die öffentliche Wahrnehmung. Nach diversen Recherchen und Studien etwa durch das von kritischen Sozialwissenschaftler*innen gegründete Protestinstitut, ergibt sich ein etwas anderes Bild: Die Zahlen beziehen sich auf einen „erweiterten Einsatzzeitraum“, einige der Beamt*innen haben sich also bereits vor Beginn der Proteste verletzt oder krankgemeldet. Zudem stellen Atemwegsreizungen einen beträchtlichen Anteil der Verletzungen dar. Da das eingesetzte Pfefferspray und Tränengas überwiegend von der Polizei stammte, kann davon ausgegangen werden, dass die Polizei selbst Hauptverursacher dieser Verletzungen ist. Die während der G20-Tage und kurz danach von der Polizei veröffentlichten Zahlen differenzierten außerdem nicht zwischen Polizist*innen, die von Protestierenden verletzt wurden und solchen die aufgrund von Überlastung und Dehydrierung ihren Dienst vorübergehend aussetzen mussten. Am Ende waren es neun Beamt*innen, die stationär behandelt werden mussten.

Der Twitter-Auftritt der Polizei ist allerdings nicht nur wegen seiner Fehlerdichte bedenklich. Die Analysen des Hackathons haben deutlich gezeigt, in welchem Maße die Polizei Twitter für ihre Imagekampagne verwendet. Tierbilder machen einen beträchtlichen Anteil der getwitterten Bilder aus, es wird viel mit Emojis gearbeitet und im Vergleich zu Pressemitteilungen, ist die Sprache positiver und weniger deskriptiv. Die Leser*innen werden direkt adressiert.

Polizei geht auf Twitter weit über ihre eigentliche Informationsaufgabe hinaus

Entgegen dem eigentlichen Auftrag der Polizei, die Öffentlichkeit zu informieren, benutzt sie Twitter zur Selbstdarstellung. Die Organisator*innen von Copbird sehen darin eine problematische Einflussnahme auf die freie Willensbildung der Zivilgesellschaft. Die Selbstinszenierung der Polizei als „bürgernah“, mit dem Ziel möglichst viele Follower*innen zu sammeln, ginge, so die Aktivist*innen weiter, weit über ihre eigentliche Informationsaufgabe hinaus. Auch Peter Ullrich sieht einen Konflikt zwischen dem Twitter-Verhalten der Polizei und dem „Gebot der Richtigkeit, Sachlichkeit und Neutralität der Verwaltung“.

Während des Wochenendes wurden in diesem Zusammenhang viele spannende Fragen aufgeworfen. Wen retweetet eigentlich die Polizei, von welchen Accounts wird die Polizei retweetet und geliked, wie reagiert die Polizei auf kritische Kommentare, stellt die Polizei Fehlinformationen richtig und in welchen zeitlichen Abständen?
Natürlich können an einem Wochenende nicht alle, häufig datenanalytisch sehr anspruchsvollen Fragen beantwortet werden. Aber es wurden Lösungsansätze überlegt und, wie Rosa Beck erklärt, soll Hackathon in erster Linie als Ausgangspunkt einer Vernetzung verstanden werden.

Die Twitter-IDs der gesammelten Polizei-Tweets und eine Anleitung, wie mit ihnen gearbeitet werden kann, soll die kommenden Wochen veröffentlicht werden. So soll das Projekt „kontinuierlich weiterwachsen“.


Mehr Informationen zum Projekt Copbird findet ihr hier.

Foto: Thomas Kuhnert/https://commons.wikimedia.org