Im Januar 2023 war das kleine deutsche Dorf in aller Munde. Lützerath als internationales Symbol im Kampf für mehr Klimaschutz. Doch was, außer dem Meme eines Mönchs, der Polizist*innen in den Schlamm schubst, ist wirklich geblieben?

UnAuf: Wie bist du zu Fridays for Future gekommen und welche Aufgaben übernimmst du dort als Aktivist?

Jonathan Auer: Danke für die Einladung, schön, dass ich hier sein kann. Ich bin Jonathan Auer, 22 Jahre alt und kümmere mich bei Fridays for Future um die Pressekoordination sowie die Öffentlichkeitsarbeit. Das bedeutet, ich bin für die Pressemitteilungen und die Narrative, die wir erzählen möchten, zuständig. Ich bin schon seit 2019, also von Anfang an, bei Fridays for Future. Zu Beginn habe ich eine Ortsgruppe in meinem Heimatort in Bayern gegründet. Schnell bin ich auf Bundesebene aufgestiegen und seit einem dreiviertel Jahr mache ich Pressearbeit in Berlin.

Während der Proteste gegen die Braunkohleförderung vor Ort war die mediale Aufmerksamkeit in Lützerath sehr hoch, doch jetzt, wo das Dorf abgebaggert wird, ist es still geworden. Wie viel Raum nimmt das Thema aktuell bei Fridays for Future ein?

Es ist total toll und wichtig, dass so viel Aufmerksamkeit auf Lützerath lag. Ganz Deutschland hat darüber gesprochen. Dabei haben sehr viele Menschen gezeigt, dass sie auf unserer Seite stehen und Klimaaktivismus, Umweltschutz, aber vor allem Klimagerechtigkeit unterstützen. Gleichzeitig ist es natürlich schade, dass sich weniger Leute dafür interessieren, nachdem die Entscheidung gefallen ist, Lützerath abzubaggern. Unser Kampf geht trotzdem weiter. Wir werden weiter unsere Meinung kundtun. Daher halten wir gemeinsam mit Initiativen wie “Lützerath lebt” oder “Alle Dörfer bleiben” immer noch Mahnwachen, also eine dauerhafte Form der Demonstration.  In Ostdeutschland läuft zum Beispiel gerade eine große Kampagne für einen früheren Kohleausstieg. Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Auch wenn auf Lützerath gerade kein medialer Fokus liegt, bleibt die politische Forderung dahinter ein Herzensthema für uns als Fridays for Future.

Welche Bedeutung hat Lützerath für Deutschlands Klimapolitik?

Dabei sind zwei verschiedene Ebenen wichtig. Auf der klimapolitischen ist ganz klar: Lützerath ist die 1,5 Grad Grenze für Deutschland. Wenn wir sie einhalten wollten, dürfte die Kohle unter dem Dorf nicht abgebaggert werden. Wir bewerten das als eine fatale Fehlentscheidung in der Politik, denn für Deutschlands Energiesicherheit ist sie nicht notwendig. Seit Beginn des Jahres steht uns noch ein CO2 Budget von 25 Millionen Tonnen allein in Garzweiler II zur Verfügung, das entspricht derselben Menge an Braunkohle. Nach den aktuell umgesetzten Plänen werden wir das Zehnfache abbauen. Klima- sowie energiepolitisch ist das völliger Unsinn und das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die 1,5 Grad Grenze, deutlich in Gefahr. Daran merkt man sehr klar, dass Klimapolitik nicht für die Menschen vor Ort, sondern für Konzerninteressen, wie die von RWE, gemacht wird.

Auf bewegungspolitischer Ebene war Lützerath ein Ort der Utopie: Gelebte Klimagerechtigkeit als das gute Leben für alle durch Solidarität statt Ausschluss. Emotional hat das eine große Bedeutung für die Klimabewegung.

Trotz der enormen Mobilisierung steht der Deal der Bundesregierung mit dem Energiekonzern RWE. Was für eine Bilanz zieht ihr aus Lützerath und wie geht es jetzt weiter?

Es ist auf jeden Fall ein harter Schlag für die Klimabewegung, dass unser massiver, gesamtgesellschaftlicher Protest nicht in der gewünschten Form gewirkt hat. Dennoch haben wir nicht verloren. Gerade für uns als Klimabewegung war es ein Kampf, aus dem wir Kraft geschöpft und uns weiterentwickelt haben. Wir konnten neue Bündnisse schließen und verschiedene politische Kräfte an einem Ort bündeln. Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft sind für einen gemeinsamen Zweck zusammengekommen. Privatpersonen, antikoloniale und radikalere aktivistische Gruppen, haben gemeinsam mit prominenten Menschen ein starkes Statement gesetzt. Jede*r konnte mitwirken, ohne etwas leisten und sich einem kapitalistischen Unterdrückungssystem unterwerfen zu müssen. Diese wertvolle Vernetzung und das symbolische Momentum betrachten wir als einen großen Gewinn. Als neu entstandenes Bündnis aus FFF, Ende Gelände und Lützerath lebt, haben wir vor Kurzem auf Rügen gegen den geplanten Bau einer Flüssiggasanlage mobilisiert, so konnten wir unsere Kraft für ein gemeinsames Ziel nutzen. Auch uns als Aktivist*innen im Allgemeinen hat es uns in unserem Kampf und die Legitimität von konsequenteren Protestformen bestärkt. 

Die Landstraße L12 zwischen Keyenberg und Holzweiler soll ebenfalls abgebaggert werden. Wie steht ihr dazu?

Wir haben das auf jeden Fall mitbekommen und haben zusammen mit “Alle Dörfer bleiben” zu einer Mahnwache aufgerufen, um dies zu verhindern. Auch dieser Fall ist wieder so sinnbildlich für die Klimapolitik in Deutschland und die Konzernpolitik von RWE. Menschen vor Ort werden aktiv blockiert und eingeschränkt. Dadurch, dass die Straße jetzt zerstört wird, müssten die Anwohner 14 Kilometer Umweg fahren, um eine Distanz zurückzulegen, die man in einer halben Stunde laufen könnte. Das ist also völlig absurd. Ich persönlich glaube auch, dass es sich um eine Abschreckungsstrategie von RWE handelt, um den Protestler*innen möglichst viele Steine in den Weg zu legen. Andererseits ist es nochmals sinnbildlich dafür, wie unnötig dieser Kohleabbau ist und dass einfach nur eine Zerstörung vorangetrieben wird, die einfach nicht notwendig ist. Daher sind wir natürlich solidarisch mit den Leuten vor Ort. Es ist trotzdem krass zu sehen, wie gering das mediale Interesse in diesem Fall ist, obwohl auch diese Zerstörung verhindert werden muss.

Wo liegt euer Fokus aktuell?

Wir fahren sehr vielgleisig zur Zeit. Einerseits fokussieren wir uns weiterhin auf den Kohleausstieg, auch auf den in Ostdeutschland. Auf Bundesebene gilt dasselbe wie im rheinischen Braunkohlerevier: Wir müssen deutlich vorher aus der Kohle raus, um unsere Klimaschutzziele noch einhalten zu können. Das bedeutet eine massive Reduktion von Kohleabbau, mindestens vor 2030. Dieser Prozess muss vor allem in Ostdeutschland sozial gerecht gestaltet sein und , die Menschen vor Ort dürfen nicht alleine gelassen werden. Andererseits steht die Flüssiggasdebatte gerade im Vordergrund. Wir versuchen zu zeigen, wie unsinnig es ist, aus der einen fossilen Abhängigkeit eines autoritären Staates in die nächste zu schlittern. Dazu haben wir kürzlich groß auf Rügen in Form eines Sommercamps mit Demonstrationen mobilisiert. Darüber hinaus beschäftigt uns die grundlegende Entkernung des Klimaschutzgesetzes, wodurch 1,5 Grad konforme Klimapolitik so gut wie unmöglich wird. 

Außerdem bereiten wir uns gerade auf den globalen Klimastreik vor, der am 15. September stattfinden wird. Kommt alle und streikt mit uns!


Illustration: Luzie Fuhrmann