Der rege Verkehr auf der A100 weicht am Sonntag, den 21. April 2024 für eineinhalb Stunden einer Demo von hunderten Fußgänger*innen. 

Die Demonstrierenden, ein Bündnis aus Bürger*inneninitiativen, Umweltaktivist*innen und Verbänden, füllen den für die Demo freigegebenen Autobahnstreifen mit bunten Bannern, Musik und Sprechchören, um ein Zeichen gegen den Weiterbau der A100 zu setzen. Die UnAuf hat mit Tobias Trommer, einem Mitgründer der Initiative A100 stoppen gesprochen.

Die A100: Ein Projekt der Vergangenheit, nicht der Zukunft

Die Stadtautobahn ist ein Projekt, das in den 1950er Jahren als Autobahnring geplant und nach dem Mauerbau zunächst nur im Westteil der Stadt umgesetzt wurde: „Westberlin wurde zur autogerechten Stadt umgebaut und als die Mauer fiel, gab es zwei Verkehrssysteme: Einmal die ringförmige Autobahn im Westteil und dann die ganzen Tangenten im Ostteil“, erklärt Tobias Trommer, der sich seit über zehn Jahren gegen den Ausbau der A100 einsetzt. „Kurz nach der Wende – Berlin, Weltstadt, 6 Millionen Einwohner – hat man die Planungen des Autobahnrings von früher wieder aufgenommen.“ Nach rund zwei Dekaden der Planung, begann im Jahr 2013 der Bau des 16. Abschnitts, der von Neukölln nach Treptow führt. Anlass für die Demo am 21. April ist das Vorhaben, die Autobahn nochmals zu erweitern: Der 17. Bauabschnitt soll vom Treptower Park durch Friedrichshain bis zur Storkower Straße verlaufen.

 Bündnis A100 stoppen

„Das Aktionsbündnis A100 stoppen! ist ein Netzwerk aus Berliner Initiativen und Aktiven, die sich für eine nachhaltige, menschengerechte und ökologische Stadtentwicklung und Verkehrspolitik einsetzen“, heißt es auf der Website. Das oberste Ziel sei es, den Ausbau der Berliner Stadtautobahn A100 – einem „Relikt der Vergangenheit“ – zu verhindern. Mitgründer der Initiative ist Tobias Trommer: „Es gibt inzwischen viele verschiedene Initiativen, die gegen die Autobahn kämpfen. Ich kam mir vor wie der Zauberlehrling, der das losgetreten hat, jetzt hat sich die Bewegung ziemlich verselbstständigt. Doch der Protest muss immer breiter werden.“ Das Aktionsbündnis A100 stoppen stehe für friedlichen und gewaltlosen Protest. Die erste Protestaktion der Initiative war ein Flashmob an der Oberbaumbrücke im Jahr 2010: Diese symbolische Besetzung, bei der sich Menschen mit Transparenten oder mit blutigen Bandagen verkleidet auf die Kreuzung legten, sollte auf die Konsequenzen und Problematiken der A100 aufmerksam machen. Weitere Aktionen folgten, wie zum Beispiel ein Protestgrillen unter dem Motto „Die A100 stinkt, wir stinken zurück“ oder die Aktion „Fallobst gegen faule Politik“, bei der faules Obst, als Zeichen des Protests, vor das Rote Rathaus gelegt wurde.

Eine Katastrophe für das Stadtklima

Die Effekte des Klimawandels sind in dicht bebauten Großstädten besonders sichtbar: „An heißen Sommertagen ist es am Nachmittag und Abend in der Innenstadt viel wärmer als im Umland. Das nennt sich Urban Heat Island Effect. Das Wissen darüber, diese Daten, gibt es schon seit über 50 Jahren“, so Tobias Trommer. Durch die Versiegelung riesiger Flächen und die Bebauung von Grünflächen, im Zuge des Ausbaus der A100, heize sich die Stadt im Sommer auf. Das heißt, dass die Autobahn enorm dazu beiträgt, Hitzeperioden und Feinstaubbelastung in Berlin zu verschärfen. Anstatt einer vielbehaupteten Entlastung des Verkehrs bedeuten mehr Straßen „mehr Verkehr und mehr Emissionen“, so das Bündnis A100 stoppen.

Mehr Verkehr bedeutet auch mehr Lärm: Die A100 sei, laut der Initiative, „die bedeutendste Lärmquelle in Berlin”. Sie beeinträchtige die Lebensqualität der Anwohner*innen massiv. Trommer zieht einen Vergleich zur Frankfurter Allee, einer Straße, mit viel Verkehrsaufkommen, die jedoch inklusiver sei als eine Autobahn: „Die Frankfurter Allee sorgt natürlich auch für Lärm und Feinstaub in der Luft. Aber was ist die Wirkung der Frankfurter Allee auf die Stadtgesellschaft? Es gibt dort Geschäfte und Cafés, da kommen Leute zusammen. Du kannst mit dem Kinderwagen entlang fahren, mit Inlineskates oder mit dem Fahrrad. Das hat eher einen positiven Effekt auf das Zusammenleben der Menschen. Die Autobahn, die trennt. Sie trennt Kieze und ist diskriminierend, weil nur ein Drittel der Menschen in Berlin ein Auto hat. Nur diese Leute können dort fahren.“

Auto-Normativität

In unserer Gesellschaft herrscht eine unhinterfragte Norm der Automobilität, hinter der alternative Verkehrs- und Fortbewegungsmittel verschwinden. Das zeigt sich zum Beispiel in der ungleichen Verteilung finanzieller Ressourcen: „Die Regierung investiert weiterhin Milliarden in den Ausbau von Autobahnen. Der 17. Bauabschnitt der Bundesautobahn 100 soll für über 1 Milliarde Euro betoniert werden, während das Budget für den Ausbau des Schienenverkehrs immer weiter schrumpft“, heißt es vonseiten der Initiative A100 stoppen. Autobahnen, Schnellstraßen, enge, abrupt endende oder nicht existierende Rad- sowie Gehwege: Das Verkehrssystem und der gesamte öffentliche Raum sind weitestgehend auf das Auto als Standard-Fortbewegungsmittel ausgelegt.

Autofrei zu leben, sei vielen Menschen unter jetzigen Umständen gar nicht möglich. „Die meisten fahren nicht aus Jux und Tollerei mit dem Auto, sondern weil sie es müssen“, meint Tobias Trommer. „Was schafft man für Alternativen? Man könnte den Autoverkehr verbieten. Die coolere Variante wäre natürlich, die Leute bräuchten das Auto gar nicht mehr.“
Um an diesen Punkt zu gelangen, reiche es nicht, Alternativen für den Autoverkehr zu schaffen: „Die meisten denken, wir müssen nur den ÖPNV ausbauen und dann ist alles schick, aber so einfach ist es nicht“, führt Tobias Trommler an: Viele Menschen könnten sich keine Wohnung mehr in Berlin, geschwiege denn innerhalb des Rings leisten und seien gezwungen, täglich von den Außenbezirken, oder gar aus Brandenburg, für ihren Job nach Berlin zu gelangen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei das oft nicht so leicht möglich. Die Verkehrsdebatte gehe über den Ausbau des ÖPNV hinaus und knüpfe, als eins von vielen Beispielen, auch an Probleme der Wohnungspolitik an.

„Die Leute werden aktiv, wenn die Bagger rollen, aber dann ist es zu spät“

„Wir zerstören für Sie Friedrichshain – Autobahn A100: 17. BA“ prangt auf  einem satirischen Sticker des „Bundesministerium für mehr Autoverkehr“. Darunter: #A100NichtMitUns. 

„Wir konnten den 16. Bauabschnitt leider nicht verhindern, aber wir haben den Bau verzögert und Diskussionen angestoßen“, sagt Tobias Trommer. Er ist optimistisch, in der Verhinderung des 17. Bauabschnitts bessere Karten zu haben. „Die Politik behauptet zwar, der neue Abschnitt ist schon geplant und in Sack und Tüten – ist er aber noch nicht. Eigentlich ist die Trasse noch gar nicht klar. Beim 16. Bauabschnitt hat es 17 Jahre von der Planung bis zum ersten Spatenstich gebraucht – das wird also noch ziemlich lange dauern. Wir müssen möglichst frühzeitig eine Beteiligung an unserem Protest organisieren. Die Leute werden aktiv, wenn die Bagger rollen, aber dann ist es zu spät.“ Rückblickend sei es ein sehr langer Prozess gewesen, in die Politik einzuwirken: „Ich hätte mir damals gedacht, es geht viel schneller, aber da braucht man langen Atem.“ Und den hat Tobias Trommer: Der Protest werde weitergehen und schon bald die nächsten Straßen lahmlegen.


Illustration: Luzie Fuhrmann

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