Wir befinden uns im Superwahljahr 2021. Themen, welche die Gesellschaft in den letzten Monaten immer wieder beschäftigt haben, sind Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden sowie das Erstarken der Neuen Rechten. Was für Konzepte die einzelnen Parteien erarbeitet haben, um dem entgegenzuwirken, soll diese kurze Analyse der Wahlprogramme unter dem Schwerpunkt „Rechtsextremismus“ zeigen.

CDU/CSU:

In dem 140-seitigen Wahlprogramm der Union kommt das Wort „Rechtsextremismus“ ein einziges Mal vor: „Der Rechtsextremismus bleibt die größte Bedrohung für unsere offene Gesellschaft und freiheitlich-demokratische Grundordnung“, heißt es hier. Weiter wird die Zunahme rechtsextremer, ausländerfeindlicher und antisemitischer Straftaten als besorgniserregend eingeschätzt. Doch was soll seitens der Politik nun gegen solch eine Bedrohung unternommen werden? Zum einen möchte die Union sogenannte „Cold Cases“ wieder aufrollen lassen, also ungeklärte Fälle, die womöglich rechtsextremistischen Ursprung hatten. Da bleibt doch aber die Frage offen: Was ist mit den aktuellen Fällen, die ebenfalls potentiell rechtsextremistisch motiviert waren?

Zum anderen hat die Partei generell vor, die Polizeipräsenz zu erhöhen – sowohl in der Stadt als auf dem Land, in Zügen, auf Bahnhöfen und an Flughäfen. Diese Forderung ist jedoch nicht ganz unproblematisch aufgrund von auch hierzulande stattfindendem Racial Profiling, also der Befragung und Verfolgung von Personen wegen ihrer Herkunft oder ihres Aussehens, welches auf eine bestimmte Herkunft hindeutet, seitens der Behörden, in diesem Fall seitens der Polizei. Weiter will die Union den Videoschutz an öffentlichen „Gefahrenorten” ausbauen, etwa vor und in Fußballstadien, an Bahnhöfen und weiteren Verkehrsknotenpunkten sowie in Bussen und Bahnen.

SPD:


Die SPD hat in ihrem Wahlprogramm zunächst einmal ein paar Grundsätze formuliert: Es wird unter anderem davon gesprochen, dass alle Bürger*innen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben sollten, egal welcher Herkunft, Religion oder Orientierung sie sind. Fakt ist, dass das aktuell nicht überall der Fall ist. Wie also will die sozialdemokratische Partei das ändern? Die Antwort: Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle soll gestärkt und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz modernisiert werden. Mit welchen Maßnahmen genau erfahren wir nicht.

Weiter heißt es im Wahlprogramm: „Gleichzeitig werden wir nachdrücklich gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit, Antifeminismus, Sexismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit vorgehen”. Auch hier wird die Partei nicht konkreter, so dass sich die Frage aufwirft: Was möchte die SPD gegen diese großen gesellschaftlichen, strukturellen Probleme unternehmen?
Im Gegensatz zu der Union haben die Sozialdemokraten einen eigenen Absatz zum Thema „Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“. Auch wenn dieser ähnlich knapp ausfällt wie der Rest, so wird die Partei hier doch etwas konkreter: Sie will mit mehr Supervisionen, Fort- und Weiterbildungen sowie guten Arbeitsbedingungen (in welcher Form auch immer) der Entstehung rassistischer Denkmuster in der Polizei entgegenwirken. Weiterhin unterstützen sie die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Verfolgung von Antisemitismus und Rassismus.

AfD:

Im Wahlprogramm der AfD findet sich keine konkrete Strategie zur Bekämpfung von Rechtsextremismus.

FDP:

Unter dem Themenpunkt „Tolerante und weltoffene Gesellschaft“ ihres Wahlprogramms haben die Freien Demokraten einige Grundsätze formuliert. Unter anderem wurde dort festgehalten, dass sie sich als Partei für eine freiheitliche Gesellschaft und gegen Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Homophobie einsetzen. Doch was genau hat die FDP denn jetzt zur Umsetzung dieser noch recht allgemeinen Ziele geplant?

Leider wird das Wahlprogramm mit fortschreitenden Kapiteln und Unterkapiteln nicht unbedingt konkreter: Die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus wird etwa als besondere Herausforderung anerkannt. Allerdings wird kein Konzept vorgestellt, wie sich diese Herausforderung meistern ließe. Rechtsextreme Vereinigungen sollten künftig konsequent verboten werden, die Beobachtung rechtsextremer Gefährder*innen müsste intensiviert werden und die Sicherheitsbehörden sollten sich besser um den Schutz besonders gefährdeter Gruppen kümmern. Darauf, dass aber die Sicherheitsbehörden, wie der Verfassungsschutz oder die Polizei, Teil des Problems sind, wird kaum eingegangen: „Für Menschen mit gefährlichen rechtsextremen Einstellungen ist im öffentlichen Dienst kein Platz“, lautet das einzige Statement dazu.

Die Linke:

Über acht Seiten hat die Linke ihr Programm zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus erarbeitet. Damit hat sich die Partei im Vergleich zu allen anderen Parteien am ausführlichsten mit der Thematik beschäftigt.

Sie setzt dabei statt auf Integration auf Teilhabe. Laut der Partei setzt eine Demokratie Teilhabe im Alltag voraus. Es wird gefordert, dass alle Menschen im Rahmen einer Teilhabeagenda rechtlich, politisch und sozial gleichgestellt werden. Die Partei möchte Antirassismus in Gesetzesform festhalten: Dazu soll erstmal klar definiert werden, was institutioneller und was struktureller Rassismus ist. Weiter soll das Allgemeine Geichbehandlungsgesetz reformiert (wie wird nicht erläutert) und ein Verbandsklagerecht geschaffen werden. Darüber hinaus werden ein Bundesantidiskriminierungsgesetz und eine*n Antirassismus-Beauftragte*n mit Befugnissen gefordert. Weiterhin sollen institutionalisierte Hilfs- und Beratungsstrukturen für Menschen mit Rassismuserfahrungen geschaffen werden. In Artikel drei des Grundgesetzes soll eine Schutz- und Förderklausel gegen rassistische Diskriminierungen aufgenommen werden.

Im Kampf gegen den Rechtsextremismus fordert die Linke die Entkriminalisierung von Protesten und Aufklärung gegen rechts und daraus folgend ein Demokratiefördergesetz, sodass Projekte der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, Opferberatungen und zivile Demokratiebündnisse langfristig finanziell unterstützt werden können.
Weiterhin möchte die Partei den Verfassungsschutz durch eine unabhängige „Beobachtungsstelle Autoritarismus und Menschenfeindlichkeit“ ersetzen, die Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus beobachten und darüber aufklären soll. Dazu müsste zuerst das V-Leute-System beendet werden.
Zudem soll den Rechten „der soziale Nährboden“ entzogen werden, indem bezahlbarer Wohnraum für alle geschaffen wird sowie kostenfreier ÖPNV, eine gute Gesundheitsversorgung, Arbeit und Bildung. Reichsbürgern und Neonazis soll außerdem die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen werden.

Zu rechten Einstellungen und Rassismus in Polizei und Bundeswehr sollen eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle auf Bundesebene und eine Kennzeichnungspflicht eingeführt werden. Außerdem sollen die Ausbildungen der Polizist*innen überarbeitet sowie Rotationsmodelle für geschlossene Einheiten entwickelt werden. Durch anonymisierte Bewerbungsverfahren oder Quoten soll eine Vielfalt auch in der Polizei garantiert werden. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Rechtsterrorismus soll weitere Aufklärung betreiben sowie Aufarbeitung hinsichtlich der Geschichte rechtsterroristischer Strukturen in Deutschland und der Verantwortung staatlicher Stellen leisten.

Die Akten der Geheimdienste, zum Beispiel zum NSU-Komplex, sollen freigegeben und militante, bewaffnete, neonazistische Organisationen verboten werden.
Die Linke will den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus als bundesweiten Feiertag einführen sowie die politische Bildung an den Schulen und Hochschulen stärken.

Bündnis 90/Die Grünen:

Die Grünen haben ebenfalls konkrete Vorstellungen und Forderungen, was Rassismus und Rechtsextremismus angeht, die sie in ihrem Wahlprogramm formuliert haben. Zunächst einmal wird über knapp drei Seiten beschrieben, was Diskriminierung mit unserer Gesellschaft macht und warum Vielfalt so wichtig in einer Demokratie ist.

Weiter findet sich im Wahlprogramm der Partei ein ganzer Abschnitt mit dem Titel „Konsequent gegen Rassismus“. Dieser macht deutlich, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Rassismus immer noch ist und wie uns das Thema alle betrifft, auch wenn wir nicht alle von Ausgrenzung betroffen sind. Die Grünen wollen mit einem staatlichen Gewährleistungsanspruch, der in der Verfassung festgeschrieben sein soll, Diskriminierungen und strukturellem sowie institutionellem Rassismus entgegenwirken. Weiterhin soll der Begriff „Rasse“ ersetzt werden.

In einem weiteren Abschnitt des Wahlprogramms wird auf die besondere Verantwortung der Polizei hingewiesen: Diese muss sich auf das Vertrauen der gesamten Bevölkerung verlassen können. Um dort hinzukommen, wollen die Grünen die Kontrollbefugnisse der Bundespolizei verändern, so dass Racial Profiling nicht mehr möglich sein wird. Wie genau sie sich das vorstellen, erfahren wir nicht. Weiterhin sollen Ticketsysteme erprobt werden, um mehr Transparenz für Betroffene in polizeiliche Kontrollen zu bringen. Zudem fordert die Partei verpflichtende Fortbildungen für Polizist*innen auch nach der Ausbildung sowie eine unabhängige Studie zu Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus in den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden.

Der Verfassungsschutz, der durch den NSU-Komplex in die Kritik geraten ist, soll neu reformiert werden – zum einen durch ein unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung und zum anderen durch ein verkleinertes Bundesamt für Gefahrenerkennung und Spionageabwehr, das klar getrennt von polizeilichen Aufgaben agiert.

Allerdings sind die Forderungen der Grünen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus weniger konkret formuliert: Man brauche ein „Bündel aus Prävention, Schutz- und Sanktionsmaßnahmen“, heißt es hierzu im Wahlprogramm. Auch wird nicht nochmal explizit auf rechtsextreme Strukturen in den Sicherheitsbehörden eingegangen. Diese werden zwar erwähnt, allerdings nur in einem Nebensatz. Zivilgesellschaftliche Gruppen wollen die Grünen langfristig durch ein Demokratiefördergesetz unterstützen.

Anm. d. Red.: Die Reihenfolge der Parteien sagt nichts über die politische Einstellung der Redaktion oder der Autorin aus. Sie orientiert sich an den Wahlergebnissen der Bundestagswahl 2017.


Alles Neu? Das haben sich die Redaktionen des Campusradio couchFM und der UnAufgefordert zum Wahljahr 2021 gefragt. Die beiden gemeinsam produzierten Fernsehsendungen zur Bundestagswahl und zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses gibt es bei Alex Berlin zu sehen.

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Symbolbild: Mika Baumeister/ unsplash.com