Auch für Studierende wird es zunehmend schwieriger in Berlin bezahlbare Wohnungen zu finden. 350.000 Stimmen konnte die Initiative Deutsche Wohnen und Co Enteignen in den letzten Monaten für einen Volksentscheid sammeln. Am 26. September können die Berliner*innen nun über die Enteignung großer Immobilienunternehmen abstimmen. UnAuf hat mit Ina über die Kampagne, ihre Ziele und den Mietenmarkt in Berlin gesprochen.
UnAuf: Wer seid ihr und was fordert ihr?
Ina: Die Kampagne “Deutsche Wohnen und Co enteignen” setzt sich für die Vergesellschaftung der Wohnungen von Immobilienkonzernen, die mehr als 3000 Wohnungen in der Hauptstadt besitzen, ein. Ich muss dazu gleich am Anfang sagen: Es handelt sich wirklich nur um Immobilienkonzerne, die profitorientiert arbeiten. Es geht nicht um Genossenschaften, denn diese sind ja nicht profit- sondern gemeinwohlorientiert. Unser Interesse ist, dass der Wohnraum mehr in Richtung Gemeinwohlorientierung geht und die Mieten stabil gehalten werden. Das ist der Grund unserer Kampagne, weil es sehr viele junge und alte Menschen in der Stadt gibt, die mittlerweile doch richtig große Probleme haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Leute, die nicht im oberen Einkommenssegment sind, zahlen die Hälfte oder mehr von ihrem Gehalt für die Miete. Das ist auch der Grund, warum wir eine unheimliche Solidarität bekommen und 350.000 Unterschriften in der relativ kurzen Zeit von sechs Monaten gesammelt haben. 175.000 waren nötig, um bei den Wahlen den Volksentscheid durchzuführen, und die haben wir ohne Probleme erreicht.
UnAuf: Was läuft denn aktuell in der Berliner Mietenpolitik schief, dass es so weit gekommen ist?
Ina: Ich denke es war ein Fehler, den kommunalen Wohnungsbau abzuschaffen. Das waren Wohnungen von der Stadt verwaltet, die bezahlbar waren. Die waren jetzt nicht top, aber auch nicht viel schlechter als jetzt. Der Zustand hat sich meiner Meinung nach nicht wahnsinnig verbessert. Die Häuser wurden verkauft, das war ein Fehler, nicht nur der damals regierenden Parteien.
Durch den Bankenskandal des CDU-Senats (Anm. d. Red: 2001) war Berlin sehr verschuldet und hat viele Häuser verkauft. Mit dieser Privatisierung durch gewinnmaximierend agierende Immobilienkonzerne sind die Preise extrem gestiegen. Diese Entwicklung geht seit zwanzig Jahren und es ist bisher kein Einhalt geboten worden. Der Mietendeckel ist ja leider vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden. Wir haben diese Initiative vor mehr als zwei Jahren gegründet und sind jetzt soweit gekommen, dass wir den Volksentscheid machen können. Es geht darum, 240.000 Wohnungen in ganz Berlin mit auf Dauer stabilen Mieten auszurichten. Denn das würde passieren, wenn sie den Immobilienkonzernen entzogen werden. Weil die Mieten nicht mehr maximal gewinnorientiert sein müssen, kann das Geld das eingenommen wird, in der Stadt bleiben und für die Instandhaltung genutzt werden.
UnAuf: Du hast es gerade angesprochen: Der Mietendeckel wurde gekippt. Wie schätzt du das Risiko ein, dass die Enteignung ebenfalls vom Verfassungsgericht verhindert wird?
Ina: Das ist eine ganz andere Sache. Im Grundgesetz gibt es einen Paragraphen, nach dem enteignet werden kann. Und es gibt in Deutschland sogar eine Enteignungsbehörde. Mit dieser werden jedes Jahr Eigentümer*innen enteignet. Aber es handelt sich dabei natürlich nicht um Immobilienkonzerne, sondern um Privateigentümer*innen. Beispielsweise hat man ein Haus an einer Straße, wo die Autobahn vergrößert werden soll. Dann kann es einem passieren, dass man enteignet wird und eine Entschädigungssumme für die Enteignung bekommt. Diese ist jedoch nicht der markthöchste Wertanteil, sondern eher ein Mittelwert. Enteignungen gibt es also schon in Deutschland. Es ist nur noch nicht mit einer Reihe von Immobilienkonzernen passiert, das ist die Neuerung daran. Nach dem Grundgesetz ist dieser Paragraph aber schon mal vorhanden.
UnAuf: Wie genau stellt ihr euch die Refinanzierung von den Entschädigungen vor, die gezahlt werden müssen?
Ina: Die Idee ist, dass wird ein Kredit aufgenommen wird. Man zahlt ja momentan fast keine Zinsen, deswegen macht es auch nicht solche Schwierigkeiten, diese Summe innerhalb von vierzig Jahren zurückzuzahlen. Wir kalkulieren nämlich, dass die Kredite in etwa 40 Jahren abbezahlt sein werden. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn jemand ein Grundstück kauft, darauf baut, und dafür einen Kredit mit ganz niedrigen Zinsen aufnimmt. Und wenn der Kredit abgezahlt ist, dann sollen die Mieteinnahmen in eine Anstalt öffentlichen Rechts, nicht den Senat fließen. Dadurch wäre gewährleistet, dass nicht wieder verkauft werden kann. Anstalten öffentlichen Rechts sind in Berlin zum Beispiel die Müllabfuhr und Wasserwerke.
UnAuf: Aktuell gehen die Meinungen der Pressestelle von Deutsche Wohnen Enteignen und des Senats ja noch auseinander – der Senat veröffentlicht jetzt eine amtliche Mitteilung, in der er seine eigene Summe zur Kostenschätzung aufsetzen wird. Das ist mit 28,8 bis 36 Milliarden Euro von einer Menge Geld die Rede. Wird das die Menschen nicht davon abhalten, für den Volksentscheid zu stimmen?
Ina: Es ist ja so, dass die Mieteinnahmen nicht nur von den Mietern bezahlt werden. Dadurch, dass die Mieten für einzelne so wahnsinnig hoch sind, für Leute, die jetzt nicht Lehrer oder Arzt und ähnliches sind, sondern eher Verkäuferin, Friseur, oder Familien mit niedrigem Einkommen – die können ja die Mieten teilweise gar nicht zahlen. Und die kriegen ergänzende Leistungen vom Staat. Mit diesen ergänzenden Leistungen werden dann ja auch die Mieten finanziert. Das würde komplett wegfallen.
UnAuf: Werden die Berliner*innen bei dem Volksentscheid also für die Enteignung stimmen und was würdest du dir daran anschließend von der Politik erhoffen?
Ina: Also ich glaube wir gewinnen den und dann geht es natürlich weiter. Wir werden dranbleiben nach dem Volksentscheid. Auch die restlichen Mieter der Stadt müssen dranbleiben und sagen: wir können so nicht weitermachen. Es kann nicht sein, dass Wohnen zu einem profitorientierten Gut wird. Der Volksentscheid ist natürlich erstmal nur eine Empfehlung an den Senat, es ist noch kein Gesetz effektiv ausgearbeitet. Das ist von uns bewusst nicht so gemacht worden. Man kann den Senat nicht dazu zwingen, dieses Gesetz auszuarbeiten und die Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne vorzunehmen. Aber: wenn sehr viele Menschen bei dem Volksentscheid mit dem Ja ihr klares Signal setzen, dass es so nicht weitergeht, dass wir nicht diese Preisspirale, die sich immer mehr in Richtung München oder London bewegt, nicht so weiterführen können, weil die Menschen es einfach nicht mehr bezahlen können, dann kommt das an bei der Politik.
Man merkt jetzt schon, dass das Thema in die Medien gekommen ist. Bevor diese Kampagne begonnen hat – 2018, 2019 – ist dieses Thema Mieten nie so diskutiert worden. Und das ist seitdem angekommen, das ist oben in der Politik angekommen, das ist sogar – sehr scheinheilig – in der Werbung der CDU angekommen. Sie tun jetzt auch so, als ob sie was für die Mieter tun wollen, obwohl sie gegen den Mietendeckel geklagt, und damit ganz klar gegen die Interessen der Mieter*innen reagiert haben. Also ich glaube, dass die Parteien da nicht wegschauen können und sich darauf einlassen müssen, große Veränderungen zu machen.
Wenn Wohnungen den Immobilienkonzerne entzogen werden, ist das Signal an die ausländischen Investoren: Es lohnt sich nicht, hierher zu kommen und aufgrund von Gewinnmaximierung zu kaufen, kaufen, kaufen. Denn es sind ja nicht nur Deutsche Wohnen, nicht nur Vonovia, Akelius. Wenn die Vergesellschaftung kommt, ist das Signal: es lohnt sich nicht, das in unserer Stadt zu machen. Und ich fände es total wichtig, dieses Signal zu setzen: es darf nicht mehr mit Wohnraum spekuliert werden.
UnAuf: Aber würdest du es nicht auch als Risiko betrachten, wenn dann keine Investoren in die Stadt kommen würden? Denn früher oder später werden wir ja auch mehr Wohnraum brauchen.
Ina: Ja, aber die meisten Konzerne bauen ja keinen bezahlbaren Wohnraum, sondern im Luxussegment, womit sie die meisten Profite erwirtschaften können. Und das nützt uns nichts. Und da komme ich nochmal auf das Thema Bauen: Es wird immer argumentiert, dass gebaut werden muss. Natürlich muss gebaut werden. Aber wenn gebaut wird, dann werden die Mieten nicht günstiger. Das meiste, was jetzt gebaut wird, ist teuer. Wenn es finanziert wird, dann vorübergehend, denn sozial finanzierter Wohnungsbau ist immer zeitlich begrenzt. Das heißt nach fünf oder zehn Jahren wird es normaler, teurer Wohnraum. Wenn sie bauen – und sie bauen nicht viel – dann bauen sie im hohen Segment. Welcher durchschnittliche Mieter in der Stadt kommt denn in so eine Wohnung? Da muss man schon das ausreichende Einkommen haben. Aber es soll ja Wohnraum für alle da sein, nicht nur für Menschen, die sich Eigenheime leisten können.
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Foto: Jonas Denil/ unsplash.com