Klimapolitik war lange nur ein Randthema in Wahlkämpfen. Die Zeiten sind vorbei. Es ist diese Bundestagswahlen eines der Themen, an denen sich alle Parteien messen lassen müssen. Dementsprechend sind auch die klimapolitischen Passagen der Wahlprogramme länger geworden. Während die Grünen das detaillierteste Klimaschutz-Programm vorlegen, hält die Linke mit den ehrgeizigsten Zielen dagegen.

Zwei Monate vor der Bundestagswahl katapultiert das schwerste Unwetter der letzten Jahrzehnte die Klimapolitik wieder ins Scheinwerferlicht der politischen Bühne. 
Klimapolitik zählt zu den dominierenden Themen dieser Bundestagswahlen.
 Dafür ist der steigende Druck auf den Straßen, durch etwa Fridays for Future oder Ende Gelände, verantwortlich, aber auch die immer sichtbarer werdenden Folgen des Klimawandels: Brennende Wälder in Südost-Europa, Rekordtemperaturen in Nord-Amerika und eben Unwetter-Katastrophen vor der eigenen Haustür.
 Natürlich kommt auch kein Wahlprogramm der demokratischen Parteien mehr ohne zumindest ein bisschen Klimapolitik aus.

Abgesehen von der AfD bekennen sich alle Parteien zu dem Pariser Klimaabkommen und damit auch zu einer Deckelung der Erderwärmung auf möglichst 1.5°C. Wirklich konform mit dem 1,5°C-Ziel ist das vorgelegte Wahlprogramm allerdings bei kaum einer Partei. Auf der Suche nach dem tiefgreifensten Klimaprogramm trennen sich schnell die hohlen Phrasen von wirksamen politischen Maßnahmen. Eine Verschärfung des aktuellen Klimaschutzgesetzes lässt sich nur bei den Grünen und der Linken finden.

Die FDP will Klimaneutralität bis 2050 und hinkt damit sogar der gegenwärtigen Regierung, die Mai diesen Jahres Klimaneutralität bis 2045 beschlossen hat, hinterher. Auch sonst machen die Liberalen keine großen Sprünge und setzen auf den Markt und die deutsche Innovationskraft. Die FDP will den Emissionshandel ausweiten. Allerdings definiert Sie in ihrem Wahlprogramm kein CO2-Budget, ohne dem der Emissionshandel unwirksam bleibt. Der Markt soll außerdem den Ausbau von Erneuerbaren regulieren und einer politisch gelenkten Verkehrswende wird mit „Technologieoffenheit“ entgegnet. Die FDP fischt nach den Wähler*innen, die möglichst nichts an ihrem jetzigen Lebensstil ändern wollen und rechtfertigt das mit der Hoffnung auf eine ominöse Zukunftstechnologie, die schon alles richten wird.

Weder Union noch SPD trauen sich über das gemeinsam beschlossene neue Klimaschutzgesetz hinaus. Das Gesetz geht mit Klimaneutralität bis 2045 zwar weiter als das Vorherige, ist allerdings, laut dem Climate Action Tracker, noch nicht 1,5°C-kompatibel. Gerade der definierte Reduktionspfad, die Treibhausgasemissionen sollen bis 2030 um 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent gegenüber 1990 sinken, greift dem Climate Action Tracker zu kurz. Und obwohl es schon Berechnungen über das verbleibende deutsche CO2-Budget gibt, taucht auch ein Solches nicht in dem Gesetz auf.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat für Deutschland ab dem Jahr 2020 ein Restbudget von 4,2 beziehungsweise 6,7 Gigatonnen CO2 errechnet. Mit 4,2 Gigatonnen ließe sich die Erderwärmung zu 50 Prozent unter 1,5°C halten, bei einem Budget von 6,7 Gigatonnen mit lediglich einer 33-prozentigen Wahrscheinlichkeit. Der Thintank Agora Energiewende hat in einem Eckpapier ein Sofortprogramm vorgelegt, mit dem Deutschland die neuen Klimaziele erreichen könnte. Allerdings werden selbst nach dem dort vorgeschlagenen Emissionspfad 8,8 Gigatonnen CO2 verbraucht und damit weit mehr, als das deutsche Budget zulässt.

Die Wahlprogramme beider Parteien bieten keine Strategien, mit denen ihre eigenen Klimaziele und Deutschlands eigentliches CO2 Budget erreicht werden könnten. Insbesondere die Union liefert statt eines klaren Fahrplans ein großes Loch im Wahlprogramm. Klar definierte CO2-Preise, Ausbauziele für Erneuerbare Energien oder Maßnahmen für eine rapide Verkehrswende sucht man auf den 139 Seiten vergeblich. Sogar die parteiinterne KlimaUnion kritisiert das Wahlprogramm als weder „Paris-konform“, noch ausreichend, um den Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes zu erfüllen.
Die Union hält zudem an dem vielfach kritisierten Kohleausstieg 2038 fest.

Auch die SPD traut sich keinen ambitionierteren Kohleausstieg zu. Dennoch schafft sie es, in ihrem – mit 65 Seiten sehr schmalen – Wahlprogramm, deutlich konkreter als ihr Koalitionspartner zu werden. Bis 2040 soll die komplette Stromversorgung von regenerativen Energien stammen, bis 2030 sollen fünf Millionen Häuser mit energieeffizienten Wärmepumpen versorgt werden und 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert sein. Im Gegensatz zu den Christdemokraten und der FDP baut die SPD stärker auf Regulierungen und nicht alleine auf den Marktmechanismus als neoliberales Allheilmittel. 
Dennoch bleiben auch hier viele Fragen auf der Strecke: Was sind die jährlichen Ausbauziele für Erneuerbare? Was ist die Haltung zu Erdgas? Und einiges mehr.

Einen Schritt nach vorne machen die Grünen mit dem wohl detailliertesten klimapolitischen Programm. In 20 Jahren möchten sie die Bundesrepublik klimaneutral machen, der Kohleausstieg wird um acht Jahre vor, auf 2030 verlegt und bereits 2035 soll die Energieversorgung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Quellen stammen. Für die verschiedene Sektoren sind Zwischenziele formuliert und auch beim CO2 Preis für Wärme und Verkehr winden sich die Grünen nicht raus, sondern geben mit 60 Euro ab 2023 einen klaren Wert an. Trotz des konkreten Maßnahmenkatalogs aus politischen Vorgaben und marktwirtschaftlichen Instrumenten, merkt man dem Wahlprogramm an, dass es Resultat eines Balance-Aktes ist.

Die Grünen wollen progressive Klimapolitik betreiben, damit aber auch die konservativeren Wähler*innen nicht abschrecken. Der CO2 Preis etwa, der außerdem sofort als Pro-Kopf Energiegeld an die Menschen zurückgezahlt werden soll, ist mit 60 Euro noch deutlich zu gering um eine tatsächliche Lenkwirkung zu erzielen. In ihrem „Klimaschutz-Sofortprogramm“ legen die Grünen für Deutschland ein seit 2020 verbleibendes CO2-Budget von 6,7 Gigatonnen fest. 
Tatsächlich schreiben die Grünen von 6,6 Gigatonnen, beziehen sich allerdings auf den Sachverständigenrat für Umweltfragen, weshalb von einem einfachen (Tipp-)Fehler ausgegangen werden kann. Irritierender ist die Behauptung im Wahlprogramm, dass ein CO2-Budget von 6,6 Gigatonnen mit einer 67-prozentigen Wahrscheinlichkeit das 1,5°C erreicht. Das ist fachlich inkorrekt. Das angegebene CO2-Budget entspricht lediglich einer ein-Drittel Wahrscheinlichkeit, die Erderwärmung bei 1,5°C zu halten.

Das Wahlprogramm geht, trotz dieser Ungereimtheiten, ausführlich auf verschiedene notwendige klimapolitischen Schritte ein, bleibt aber an vielen Stellen sehr vorsichtig. Konzepte wie Suffizienz, also im Gegensatz zu Effizienz das tatsächliche Einsparen von Energie und Ressourcen, werden kurz eingestreut, aber nicht ausgeführt und bleiben so als leere Worthülse im Fließtext stecken. Die Grünen wollen eine höhere Bürgerbeteiligung an kritischer Infrastruktur, wägen dabei aber jedes Wort vorsichtig ab.

Wo es bei den Linken heißt „Entmachtung der Energiekonzerne“ steht bei den Grünen „mehr staatliche Anteile“. Wo die Linken Flüge von unter 500 Kilometer verbieten wollen, schreiben die Grünen, dass sie Kurzstreckenflüge bis 2030 „überflüssig machen“ wollen.
 Neben der direkteren Sprache, tritt die Linke auch mit den ehrgeizigeren Klimazielen an.

Klimaneutralität soll bereits 2035 erreicht werden. Damit orientiert sich die Linke an der von Fridays For Future in Auftrag gegebenen Studie „CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrages zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze“ des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Mit einem Investitionsvolumen von 120 Milliarden Euro pro Jahr, soll eine tiefgreifende „sozialökologische Transformation“ ermöglicht werden. Technologieschwärmerei und wirtschaftlichen Anreizen setzt die Linke verbindliche Obergrenzen für Emissionen und Ressourcenverbrauch entgegen.

Denn trotz der Entwicklung effizienterer Technologien, stieg der Ressourcenverbrauch weiter. Dieses Phänomen wird als Rebound-Effekt bezeichnet. Ein prominentes Beispiel ist das Auto: Die Motoren sind über die Jahre immer effizienter geworden, gleichzeitig sind die Leute mehr gefahren und Autos sind schneller und schwerer geworden. Trotz des technologischen Fortschritts, sind die Auto-Emissionen also gestiegen. Politisch gesetzte Deckel für Emissionen und Ressourcenverbrauch würden diesem Mechanismus entgegenwirken, wie die Linke argumentiert. Wie realistisch Klimaneutralität in 14 Jahren, ohne die CO2-Abscheidungstechnologie CCS, ohne Atomkraft und ohne CO2 Preis, denn all das lehnt die Linke ab, ist, bleibt ungewiss.

Grundlegende und schnelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderung sind nötig, um überhaupt noch eine Chance zu haben den Klimawandel unter 1,5°C zu halten, stellte der Weltklimarat (IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change) bereits 2018 fest. Daran hat sich auch heute nichts geändert, nur hat sich die Lage weiter zugespitzt. Im neuen Sachstandsberichts des Weltklimarats steht, dass bereits 2030 die 1,5°C Erderwärmung erreicht werden könnten.

Das jetzige Jahrzehnt wurde Vielfach als das klimapolitisch Wichtigste aller Zeiten bezeichnet. Die kommende Bundestagswahl wird entscheiden, ob eine Transformation eingeläutet wird oder ob sich Klimapolitik weiterhin dem deutschen Wohlstandsgedanken unterordnen muss. Wie ernst es der Linken und den Grünen mit dem Klimaschutz tatsächlich ist, wird sich bei den Koalitionsverhandlungen herausstellen.

Klar ist: Unwetter, wie vor einigen Wochen in Westdeutschland werden über die nächsten Jahre zunehmen. Wie sehr sie zunehmen werden, ist unmittelbar mit dem Ausmaß der Erderwärmung verknüpft. Jedes Zehntel Grad um das sich das Klima erwärmt oder nicht erwärmt, hat einen immensen Einfluss auf das globale Erdsystem ebenso wie das lokale Wetter.


Alles Neu? Das haben sich die Redaktionen des Campusradio couchFM und der UnAufgefordert zum Wahljahr 2021 gefragt. Die beiden gemeinsam produzierten Fernsehsendungen zur Bundestagswahl und zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses gibt es bei Alex Berlin zu sehen.

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Foto: Michael Held/ unsplash.com