Lutz Leichsenring ist Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Clubcommission in Berlin. Der Verband setzt sich für die Interessen der Clubkultur in Berlin ein. Mit dem Hintergrund der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin haben wir mit ihm über Herausforderungen, Bedrohungen und Chancen der Clubbranche gesprochen.

UnAuf: Was sind die Hauptaufgaben der Clubcommission?

Lutz: Die Clubcommission ist ein Verband, ein Netzwerk für Clubkultur in Berlin mit um die 330 Mitglieder*innen, Veranstalter*innen, Clubbetreiber*innen und Leuten, die uns unterstützen, oder für die Clubkultur wichtig sind. Wir sehen unsere Rolle vor allem darin uns einmal zu vernetzen, aber auch uns weiterzubilden, Know- How Austausch herzustellen, und wir sind natürlich auch eine Lobby-Gruppe. Wir machen Öffentlichkeitsarbeit, wir machen Kampagnen und wir versuchen auch über Fördergelder durch politische Unterstützung der Clubkultur weiterzuhelfen.

Wir führen verschiedene Projekte durch: Wir haben beispielsweise eine Awareness-Academy oder ein Projekt, dass sich mit Schallschutz beschäftigt, einen Schallschutzfond. Wir sind aktuell sehr viel im Bereich öffentliche Flächen und, Freiflächen tätig. Das sind alles Beispiele für Projekte, die wir auch im Auftrag von der Stadt umsetzen. Teilweise konzipieren wir diese und bekommen dafür Fördergelder. Wir sind in einer holokratischen Struktur organisiert. Das bedeutet, dass wir verschiedene Arbeitskreise haben, die auch selbstbestimmte Entscheidungen treffen: Wir haben beispielsweise einen Festival-Arbeitskreis und ein Arbeitskreis zum Thema Awareness und einen Arbeitskreis zum Thema Raum, Fallräume, solche Sachen.

UnAuf: Was sind Bedrohungen für die Clubkultur in Berlin? Warum gibt es euch überhaupt?

Lutz: Bedrohungen, die wir jetzt schon seit sehr vielen Jahren haben sind eine stark veränderte Stadt, eine Stadt die sehr stark unter Marktzwängen leidet. Das heißt es gibt bestimmte Mieten, die man vereinnahmen kann. Die Clubs können nicht die hohen Mieten zahlen, die von ihnen verlangt werden. Wenn man das mit dem Wohnungsbau oder lukrativen Projekten, wie Shopping-Malls oder Einkaufszentren vergleicht, können wir, was die Miete angeht, nicht mithalten. In den 90ern war das Thema Fläche und Freifläche noch nicht das Problem, aber zunehmend wird die Stadt enger bebaut, dichter bebaut, dann kommt es eher auch zu Konflikten mit Nachbarn.

Dabei sind wir auch ein bisschen Opfer des eigenen Erfolgs, weil wir natürlich auch eine Stadt attraktiver machen, was eben dann auch dafür sorgt, dass mehr Leute herziehen. Diese entwickeln dann Projekte, verkaufen teurere und sind eben auch Teil der Gentrifizierung, das sehen wir tatsächlich auch. Wir haben natürlich den Anspruch an uns selbst nicht nur monetär zu arbeiten und auf Gewinnmaximierung aus zu sein, sondern wir sind eben auch ein sozialer und kultureller Ort. Das ist für viele nicht so richtig verständlich, wie das zusammenpassen kann auf dem freien Markt. Da müssen wir sehr viel Erklärungsarbeit und Überzeugungsarbeit leisten.

Lutz Leichsenring
Foto: privat

UnAuf: Welche konkreten Forderungen hat die Clubcommission an die Politik?

Lutz: Zum einen geht es jetzt um Unterstützung, dass wir durch die Pandemie kommen. Diese hat uns mit unter in der Gesellschaft am heftigsten getroffen. Unser Geschäftsmodell besteht darin, Menschen zusammen zu bringen, das ist ja gerade nicht gefragt in einer Pandemie. Grundsätzlich geht es aber eben darum, das enge Korsett an Gesetzen, Regelungen und Regelwerken aufzubrechen.

Wir sind zum Beispiel auch sehr daran interessiert, dass man so was, wie einen Uferwanderweg nicht einfach freihält. Dieser soll stattdessen auch Gruppen, Gastronomiebetrieben oder Clubkulturakteuren zur Verfügung gestellt werden, sodass die Stadt nicht aus Betonwüsten besteht, auch wenn diese öffentlich zugänglich sind. Wenn man da in der prallen Sonne auf einem Stück Gras und Beton sitzt, dann ist es vielleicht auch nicht die Stadt, die man sich wünscht.

Das ist ein enges Zusammenspiel aus Leuten, die einen Ort gestalten und mit Leben füllen, dem ganzen eine Seele geben und den Rahmenbedingungen, die die Stadt eben gibt. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören Fördergelder, aber auch ein Austausch und Dialog. Dazu gehören Regelungen und Gesetze, die entsprechend angepasst werden, bis hin zum öffentlichen Personenverkehr, der eben auch Nachts fahren muss. Wenn Busse und die Bahnen alle Nachts aufhören würden, dann wäre das Nachtleben auch nicht so, wie es gerade ist.

UnAuf: Wenn du diese Forderungen in zwei bis drei Sätzen zusammenfassen würdest, wie würdest du das ausdrucken, für was steht die Clubcommission und was sind die konkreten Forderungen?

Lutz: Das ist fast nicht möglich das in zwei, drei Sätzen zu sagen. Es geht nicht mehr so um das Große “Hört uns zu”, sondern wir sitzen an den Tischen. Uns geht es eben auch um sehr viel Kleinteiligkeit und das Erarbeiten von Lösungen, die dann im einzelnen auch weiterhelfen. Zum Beispiel geht es auch um die TR Lärm, also: wie weit sind die Dezibel-Grenzwerte? Wo wird etwa gemessen? Momentan wird in Deutschland bei offenem Fenster, ein Meter hinter dem offenen Fenster im Innenraum gemessen, in den anderen Ländern in Europa wird vor geschlossenen Fenstern gemessen. Es gibt so viele kleine Regelungen, wo wir uns Verbesserungen erhoffen. Es geht aber auch grundsätzlich darum, die Arbeit der Clubcommission weiter zu unterstützen, Netzwerkarbeit unterstützen. Dabei sollte auch verstanden werden, dass so etwas wie Fördergelder im kulturellen Bereich eben auch möglich sein sollen und nicht nur die Ausnahmen der Pandemie sind. Wir wollen, dass man eben auch sagt, dass Programmarbeit, Kulturarbeit auch etwas ist, was in den Clubs vorkommt. Dann kann man eben auch mit entsprechenden Fördergeldern oder Programmen unterstützen.

UnAuf: Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat?

Lutz: Es gibt halt nicht den Zusammenhalt mit dem Berliner Senat, sondern es gibt bestimmte Politiker*innen, es gibt bestimmte Senatsverwaltungen, denen man mehr oder weniger zugetan ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen mit dem Senat für Wirtschaft. Wir sehen uns aber viel mehr als kultureller Akteur. Deswegen haben wir jetzt einen sehr guten Draht zur Senatsverwaltung für Kultur, die auch sehr viel unsere Arbeit unterstützt. Wir haben zum Beispiel den Tag für Clubkultur ins Leben gerufen, wir haben das Draußen Stadtprojekt, das mit der Unterstützung des Kultursenats initiiert wurde, aber auch vom Wirtschaftssenat mitfinanziert wird. Wir haben jetzt gerade die langen Impfnächte mit dem Gesundheitssenat umgesetzt.

Wir merken aber auch, dass wir immer wieder auch an Grenzen stoßen. Beispielsweise jetzt gerade in den Sommermonaten hätten wir uns erhofft, dass die Bezirke auch viel toleranter und viel mehr ihren Ermessensspielraum nutzen, damit auch draußen Dinge stattfinden können. Wir sehen jetzt gerade in den letzten Tagen, dass wieder 3-4 Clubs Außenflächen schließen mussten, polizeilich angeordnet, weil es Beschwerden gab. Ich verstehe zwar, dass es auch Druck gibt von Anwohnern, dass es auch mal lauter wird im Sommer, aber wir hatten auch 18 Monate ziemliche Stille in der Stadt. Deswegen hätten wir uns erhofft, dass eben auch mal zu unseren Gunsten Entscheidungen getroffen werden. Wir sehen schon sehr kritisch, dass hier die Ordnungs- und Umweltämter so stark reglementieren.

UnAuf: Welchen Einfluss hat der Beschluss des Senats, Clubs als Kulturstätten zu kategorisieren?

Lutz: Das muss sich tatsächlich noch herausstellen. Wir haben diesen Beschluss sehr begrüßt. Wir haben uns auch gefreut, dass das erstmal nach Initiative der Opposition abgelehnt wurde, es dann nochmal einen eigenen Entwurf von der Koalition gab, der dann auch nach ein paar Monaten verabschiedet wurde. Es ist erstmal ein Statement, dass man auch nicht erwartet hätte in der Stadt. Das gibt es, glaube ich, in keiner anderen Stadt Europas, dass so ein Statement verfasst worden ist. Andererseits muss man auch sehen, wie das dann in der Tagespolitik umgesetzt wird, also in der Umsetzung der Verwaltung. Da sehen wir noch sehr viel Handlungsbedarf. Aber es ist erstmal ein wichtiges Zeichen, hoffen wir, dass sich das erstmal in den nächsten Jahren entsprechend auswirkt.

UnAuf: Wird damit die Gefahr der Verdrängung durch Investor*innen oder der Stadtautobahn faktisch verringert?

Lutz: Diese Anerkennung als kulturelle Anlage ist erstmal keine Berliner Entscheidung, sondern eine Bundesentscheidung, die im Bundestag getroffen wurde. Da steht noch kein Gesetz, da weiß man noch nicht, wie stark oder schwach dieses ausformuliert wird. Was wir uns erhoffen ist, dass wir auf lange Sicht mehr Flexibilität haben. Momentan sind Vergnügungsstätten nur sehr eingeschränkt möglich: das sind vorwiegend Casinos, Bordelle, aber auch Clubs. Die sind sehr reglementiert und auch nur in Kerngebieten und unter Auflagen in Mischgebieten erlaubt. Das ist noch sehr schwierig.

Wenn wir jetzt die Chance haben, dass eine Bar sich umwandeln möchte in eine kulturelle Anlagen, weil sie sehr viel Programm bietet, dann wäre das vielleicht vorher nicht möglich gewesen. Dann hätte sie sich in eine Vergnügungsstätte hätte umwandeln müssen und die ist halt vielleicht nicht mehr zulässig. Als kulturelle Anlage wäre das vielleicht wieder möglich. Das müssen wir jetzt herausfinden, ob das so ist. Es wird aber nicht so sein, dass das rückwirkend oder sehr kurzfristig wirken kann, sondern was für die nächsten 10-15 Jahre Stadtentwicklung relevant ist. Da sehe ich dann wieder positive Zeichen. Was die Autobahn angeht, oder Aquarien, die gebaut werden, die Genehmigungen sind eigentlich schon durch, das abzusagen oder zu verändern ist sehr teuer oder muss vor Gericht gebracht werden. Aber das ist nichts was wir mit dieser speziellen Initiative erreichen können.

UnAuf: Was sind die konkreten Auswirkungen der neuen Kategorisierung von Clubs?

Lutz: Wenn Clubs als Kulturorte anerkannt werden, gibt es drei verschiedene Ebenen, auf denen das relevant ist: Einmal die baurechtliche Ebene. Also: wie kann man von dieser Kategorie Club – einer Vergnügungsstätte – in eine kulturelle Anlage jetzt mehr Möglichkeiten haben und mehr Kulturarbeit leisten in verschiedenen Teilen der Stadt, wo es eben vorher nicht möglich war?

Dann gibt es die kulturpolitische Anerkennung. Das sehen wir schon seit einer ganzen Weile. Es gibt die Initiative Musik auf Bundesebene, es gibt das musicboard, die auch wieder im Kultursenat angesiedelt sind, es gab den Kulturstättenprogrammpreis, der ausgeschrieben worden ist vom Kultusministerium. Es gab jetzt während Corona sehr viele Förderprogramme, die aus dem Kulturbereich kommen. Das ist auch etwas, dass man anerkennen muss, sonst hätten wir nur aus dem Wirtschaftsministerium Fördergelder bekommen.

Die dritte Dimension ist die steuerpolitische Anerkennung, da gibt es das sogenannte Berghainurteil. Das ist relevant, weil es bis vor kurzem strittig war, ob man ein Clubevent auch als Konzert ansieht. Konzert heißt übersetzt Kulturveranstaltung. Das ist laut dem Berghainurteil möglich. Das heißt, man zahlt auf den Ticketpreis nicht mehr 19 Prozent, sondern nur noch 7 Prozent Mehrwertsteuer.

Das sind alles unterschiedliche Aspekte. Wir sind sehr froh, dass wir diese baurechtliche Anerkennung hier so gut wie haben, weil das war wirklich ein dickes Brett und das wir das jetzt bekommen, war vielleicht auch ein bisschen Dank Corona. Dadurch hat man eben auch wahrgenommen, dass wir in einer sehr misslichen Situation sind.


Alles Neu? Das haben sich die Redaktionen des Campusradio couchFM und der UnAufgefordert zum Wahljahr 2021 gefragt. Die beiden gemeinsam produzierten Fernsehsendungen zur Bundestagswahl und zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses gibt es bei Alex Berlin zu sehen.

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Foto: Daniel Lonn/ unsplash.com