„Robosapiens“ ist eine Theaterproduktion, die das herkömmliche Science-Fiction Genre weiterdenkt und neue Perspektiven auf altbekannte Urängste liefert. Unter der Regie von Jens Bluhm feierte das von Mensch und Maschine geprägte Stück am 12. Juni seine Premiere und eröffnete den diesjährigen Spielbetrieb der „Andere Welt Bühne“ in Strausberg.

Am Waldrand sprießt eine kleine Halle aus dem Boden, die blauen Holzlettern an der Gebäudefront buchstabieren „Robosapiens“, davor ein alter Wohnwagen als Tickethäuschen, eine Getränketheke und plaudernde Besucher. 

In diesem Moment stehe ich vor der zunächst unscheinbar wirkenden Eventlocation der heutigen Theaterpremiere und mir wird mir klar, dass dieser Ort sich als wahrer Geheimtipp herausstellen könnte. Er ist schließlich wie gemacht für Erfahrungen abseits des klassischen Theaters. Apropos Raum, direkt an der Kasse schwärmt eine Mitarbeiterin von der Einzigartigkeit der neuen Straußberger Theaterbühne: Es handelt sich um eine sogenannte Raumbühne, die erstmals vor rund 100 Jahren von Architekt Friedrich Kiesler entwickelt worden ist. Inspiriert durch dessen Modelle hat man in der ehemaligen Industriehalle eine drehbare Bühnenkonstruktion aus Holz des angrenzenden Waldes gebaut- regionaler wird’s nicht! Nachdem ich auf einem der alten, bequemen Kinosessel Platz genommen habe, bewundere ich das rustikale Bühnenbild als plötzlich vier, in futuristische Overalls gekleidete Personen ihre Plätze auf der Bühne einnehmen. Imaginärer Vorhang auf für „Robosapiens!“

In den nächsten anderthalb Stunden vergesse ich mich selbst und bin Teil eines gedanklichen Experiments: In einer sich stetig digitalisierenden Welt Mensch zu sein, was bedeutet das? Was macht dich und mich real, menschlich? Und vor allem: Wie unterscheiden wir uns von denkenden Maschinen? Was, wenn aus „Ihnen“ und „Uns“ ein „Wir“ würde? 

Die vier Protagonisten, gespielt von Cynthia Buchheim, Ines Burdow, Chris Eckert und Melanie Seeland, nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise der Möglichkeiten. In unterschiedlichen Szenen wird der (menschliche) Existentialismus auf die Probe gestellt und ungewöhnliche Blickwinkel erlauben es, die eigene Perspektive zu erweitern. Das Stück ist in manchen Momenten sehr philosophisch, manchmal wissenschaftlich, mal urkomisch oder absurd. Es portraitiert Roboter, die trotz Roboter-Slang überraschend menschlich wirken und über die eigene Existenz sinnieren, aber auch Menschen, die eine nahende Roboter Herrschaft fürchten und Verhandlung erwägen.

Science-Fiction wird hier buchstäblich mit dem Charakter des digitalen Zeitalters versehen. Tatsächlich basiert „Robosapiens“ auf einem wahren Klassiker des Genres: „R.U.R.“ („Rossum’s Universal Robots“), ein Theaterstück des tschechischen Autors Karl Čapek. Vor ziemlich genau 100 Jahren geht sein Stück als Prototyp des dystopischen Melodramas in die Geschichte des Genres ein. Es führt nicht nur das Wort „Roboter“ (vom tschechischen „robota“ für Fronarbeit) in den englischen Sprachgebrauch ein, sondern begründet auch ein zentrales, überzeitliches Sci-Fi Thema: die Roboter-Rebellion und Machtübernahme einer Technologie, die außer Kontrolle gerät. Die Uraufführung findet 1921 in Deutschland auf einer, wie sollte es auch anders sein, Kiesler-Bühne statt. Das Genre wird zum Perspektiv Bringer für Maschinen und zum Omen eines herannahenden Untergangs des Menschen.

 Zwischen Zukunft und Gegenwart

Vor Beginn der Premiere betont der junge Regisseur Jens Bluhm, dass „R.U.R.“ vermutlich nicht den Titel „bestes Theaterstück aller Zeiten“ trägt. In seinem Einfluss dagegen sei es einzigartig und liefere die Vorlage für hunderte Blockbuster. „Man liest und es entstehen Fragen, über die man auch heute noch diskutiert.“, so Bluhm. Er verweist zudem auf die stetige Debatte um künstliche Existenz und deren ethische Komponente. „Wo treffen die Fragen von damals auf die Fragen von heute?“- „Robosapiens“ ist der gemeinschaftliche Versuch des Ensembles die Jahrhundertlücke zu überwinden und Antworten auf essentielle Fragen zu suggerieren.

Sein Kollege, der Darsteller Chris Eckert, feiert neben dieser Premiere auch sein Debüt im Strausberger Theater und spricht über die Euphorie, wieder live Theater spielen zu dürfen. „Robosapiens“ ist für Eckert und seine Kollegen mehr als “nur“ Schauspiel. Das Theaterstück ist als Gemeinschaftsprojekt entstanden, zu dessen Entwicklungs- und Realisationsprozess alle Compagnie-Mitglieder maßgeblich beigetragen haben.

Bleibt nur noch die Frage nach dem ersten Publikumseindruck: Konnte das Stück in seiner Relevanz überzeugen? Im Publikum sitzt Sebastian Stragies, Soziologe, dem die Zukunft des prinzipiell analogen Menschen in einer gänzlich digitalisierten Welt fragwürdig erscheint: „Welche Rolle spielen wir Menschen, wenn das Übermenschliche uns überholt, wenn wir für den Systemerhalt überflüssig werden?“

„Robosapiens“ bedient sich gängiger Genreklischees, um sie anschließend zu brechen und alternative Möglichkeiten einer zukünftigen Technologieentwicklung aufzuzeigen. Erwogen wird unter anderem eine gänzlich neue Perspektive: Könnte es sich bei der KI auch um Wesen handeln, denen man auf Augenhöhe begegnen kann? Ist eventuell sogar Freundschaft zwischen Mensch und Maschine möglich? Die Zukunft steht in den Sternen, doch Bluhms Inszenierung lädt ein zu einer hoffnungsvollen Zukunftsbetrachtung, die das klassische Thema des Weltuntergangsszenarios grundlegend überdenkt. Wer die Fahrt hinaus nach Brandenburg auf sich nimmt, wird mit einer einzigartigen Theatererfahrung abseits des Mainstreams belohnt werden.

Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Für mich steht fest: Es sind besondere, unverhoffte Abende wie dieser, die Mensch (und Maschine?) lebendig fühlen lassen.

 

Wer gerne mehr über den Spielplan des Theaters und die Spieltermine von „Robosapiens“ herausfinden möchte, kann über den folgenden Link die Website des Theaters erreichen:

https://wasserwerk-theater.com

Da die Premiere bereits ausverkauft gewesen ist und die Aufführungen begrenzt sind (nach Plan erfolgt die letzte Aufführung bereits am 27. August 2021), ist eine Kartenreservierung im Voraus sinnvoll. Innerhalb des Theater Raums gelten die Corona-Bestimmungen (Mundschutz, Abstand, Testpflicht), doch eine neu installierte Lüftungsanlage sorgt für einen frischen Wind.