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Ghostwriting im Studium: Geistesblitz gegen Geld

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Helena ist Ghostwriterin. Sie schreibt Essays, Hausarbeiten und Abschlussarbeiten für Studierende verschiedener Fachrichtungen. Der UnAuf erzählt sie von weinenden Menschen und dem Schmücken mit fremden Federn

UnAuf: Wie kamst du dazu, Ghostwriterin zu werden?

Helena: Das war Zufall. Ich habe mir nach dem Studium ein Jahr gegeben, um herauszufinden was ich jetzt machen möchte in meinem Leben. Ich dachte lange Zeit, ich würde in eine komplett andere Richtung, zur Polizei oder Bundeswehr, gehen. Wenn man sich als Germanistin irgendwo bewirbt, ist es nicht so, dass alle Menschen sagen „Woah cool, was hast du denn studiert. Hier hast du einen Job.“ Irgendwann kam dann die Realität und Unternehmensberatungen fanden Interesse an mir. Ich habe das dann immer bis zum letzten Bewerbungsschritt mitgemacht, bis der Job eine realistische Chance war. Dieses Spiel habe ich ein Jahr lang getrieben, bis ich gemerkt habe, dass diese Hierarchie mit Vorgesetzten nichts für mich ist. Dann muss ich irgendwann Ghostwriting gegoogelt haben. Der Ghostwriting-Markt ist für Externe schwer zu fassen. Ich habe dann erstmal bei einer total schrägen Agentur angefangen und Schabernack für drei Euro die Seite geschrieben, um reinzukommen. Als die Projekte größer wurden, habe ich mich auf dem Markt umgeschaut und verschiedene Agenturen ausprobiert. Nach einem dreiviertel Jahr kam ich dann zu Acad Write. Seit drei Jahren bin ich dort Vollzeit-Ghostwriterin.

“Seit drei Jahren bin ich Vollzeit-Ghostwriterin” 

U: Schreibst du ausschließlich für die Fächer, die du selbst studiert hast?

H: Ich habe Germanistik und Geschichte auf Gymnasiallehramt studiert und das Erste Staatsexamen gemacht, habe im Studium aber schon viel interdisziplinär gearbeitet und hatte somit immer Berührung mit Fächern wie Philosophie oder Politologie. Durch mein Lehramtsstudium hatte ich auch Psychologie und Pädagogik. In den Kultur- und Geisteswissenschaften bin ich dadurch breit aufgestellt. Ich arbeite aber tatsächlich nur auf diesem Gebiet. Ich mache keine Naturwissenschaften und habe mir noch nie Jura oder Medizin angeschaut. Es kommt aber immer auf das Thema und den Anspruchsgrad an. Bei Theologie weiß ich zum Beispiel einfach, dass ich davon ab einem gewissen Niveau die Finger lassen sollte.

U: Was halten deine Familie und Freunde von deinem Job?

H: Meine Familie und Freunde wissen davon, das interessiert die aber gar nicht. Klar, am Anfang ist es immer etwas anstrengend, wenn die Leute fragen, was man macht. Da überlegt man sich dann Strategien, denn wenn man Ghostwriter sagt, wird man mit Fragen bombardiert. Deswegen sage ich immer langweilige Sachen. Meistens sage ich, dass ich Autorin bin. Dann fragt keiner mehr weiter nach. Höchstens noch, ob man schon mal ein Buch geschrieben hat.

U: Du bekommst einen Auftrag von der Agentur. Wie sieht die Vorbereitung vor dem Schreiben aus?

H: Bei Acad Write starten wir immer mit einer Telefonkonferenz. Auf die kann ich mich lediglich mit dem gegebenen Material vorbereiten. Danach folgt eine Arbeitsgliederung oder ein Exposé. Wenn man sich einig ist, beginne ich mit der Literatursuche.

U: Wie funktioniert die Kommunikation zwischen dem Kunden und dir?

H: Acad Write hat ein Onlinetool, Acad Office, dort können wir direkt miteinander anonym kommunizieren. Man hat dadurch keinen Filter, der sinnlos wichtige Informationen rausstreicht. Informationsmangel kann dazu führen, dass Projekte nicht schön abgewickelt werden, denn wenn mir gewisse Informationen fehlen, kommt das Format ins Stolpern.

U: Wie lang brauchst du für eine circa 20-seitige Hausarbeit?

H: Das kommt ganz auf das Thema an. Bei komplexen Themen sitze ich auch mal Monate dran. Wenn es aber eine nullachtfünfzehn Literaturarbeit ist, schreibe ich das in anderthalb Wochen. Im Jahr komme ich auf so 50-60 Projekte. Meistens habe ich zwischen fünf und zehn Aufträge parallel, das funktioniert. 

U: Erfährst du, welche Note deine Arbeit bekommen hat?

H: Bei Privatkunden wusste ich das, aber die Anbindung an die Uni habe ich mittlerweile nicht mehr. Mit der Abgabe der Arbeit haben die Kunden bei Acad Write noch zwei, drei Wochen Zeit für Korrekturen und danach ist meine Kommunikation mit den Kunden vorbei. Im Ghostwriting ist es so, wenn man nie wieder etwas von den Kunden hört, dann war es erfolgreich. Ansonsten hört man nur von denen, wenn es eine Reklamation gibt, weil sie durchgefallen sind.

U: Aber das ist bei dir noch nie vorgefallen?

H: Nein, ich weiß, was ich tue. Der Prüfer müsste schon echt ganz anderer Meinung von den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens sein als ich. Manchmal hat man auch keinen Einfluss darauf, beispielsweise wenn die Chemie zwischen Prüfer und Studierendem schon nicht stimmt. Diese Erfahrung habe ich bei Privatkunden schon gemacht. Das sind natürlich auch für mich schlechte Voraussetzungen. Mein Rat an die Kunden ist immer, dass sie meine Arbeit nur als Basis nehmen sollen, insbesondere wenn noch eine Verteidigung ansteht. Ich kann sie noch ein bisschen coachen, aber meine Arbeit endet am Schreibtisch.

“Ich weiß, was ich tue” 

U: Welche Fehler bemerkst du am häufigsten bei Arbeiten von Studierenden?

H: Sie haben Angst und kein Selbstbewusstsein zum eigenen geschriebenen Wort zu stehen. Das muss sich auch erst herausbilden durch Schreiberfahrung. Oftmals können sie nicht strukturieren und wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen. Sie halten die ganze verfügbare Literatur für wichtig und haben nicht das Selbstbewusstsein, eine selektive Entscheidung zu treffen. Das richtige Zitieren mit Fußnoten können viele auch nicht.

U: Liegt das an unserem System an der Universität?

H: Definitiv. In den Literaturwissenschaften lernt man das vom ersten Semester, aber schau dir den Lehrplan von BWL oder Medizin an. Die gehen passiv in Vorlesungen, lernen auswendig und spucken das in der Klausur wieder aus. Wann sollen die denn lernen wie man schreibt, wenn sie am Ende ihren Abschluss machen müssen? Ein zweistündiges Schreibseminar für ein Semester wird denen nicht das nötige Selbstbewusstsein geben oder sie lehren, was ein Schreibprozess ist. Es gibt kein Patentrezept, es ist ein Handwerk. Bei Acad Write bieten wir deshalb auch Schreibbetreuung an. Man kommentiert das Geschriebene, spricht darüber und schreibt hier und da auch selbst mal eine Seite. Der Kunde muss sich einfach entscheiden, welchen Mehrwert er daraus ziehen möchte.

U: Fühlt es sich komisch für dich an, wenn sich jemand fremdes mit deiner Arbeit schmückt?

H: Das ist mir völlig egal. Ich versuche immer, dem Anforderungsprofil angemessen zu schreiben. Es ist ein Unterschied für jemanden anderes zu schreiben, als für sich selbst. Diesen Textstolz, den hat man bei diesen Texten von vorneherein nicht. Es ist einfach nur ein Job. Die Branche ist von außen mysteriös, aber eigentlich super langweilig. Wer findet Schreiben schon spannend? 

U: Hast du manchmal ein schlechtes Gewissen?

H: Am Anfang ein bisschen, vor allem weil ich früher eine enge Anbindung an die Uni hatte und eine universitäre Karriere angepeilt habe. Aber das universitäre System in Deutschland spuckt dich aus, wenn du fertig bist und bezahlt dich dabei noch schlecht, deshalb habe ich das sein lassen. Den meisten Kunden hilft man, da sie es selbst aus den unterschiedlichsten Gründen nicht hinbekommen. Das ist nicht, weil sie dumm sind, sondern weil sie unsicher sind, es nicht beigebracht bekommen haben, gerade Eltern geworden sind oder weil sie während ihres Jobs noch die Masterarbeit schreiben müssen. Als Ghostwriter macht man unfassbar viel psychologische Betreuung und hat häufig mit weinenden Menschen zu tun.

U: Vielen Dank für das Gespräch. 

 

1 COMMENT

  1. Interessantes Interview! Ich habe den Job ebenfalls über einen gewissen Zeitraum nebenher ausgeführt. Wenn man sich die Seitenpreise, die bei den Autoren übrig bleiben, und alle damit zusammenhängenden Risiken in Bezug auf die eigene Absicherung anschaut, dann relativiert sich die Attraktivität des Jobs ein wenig. Vor allem ist es oftmals sehr harte Arbeit, denn kein Autor kann die Vielfalt der Themen ohne mehr oder weniger intensive Einarbeitung beherrschen. Ein weiteres Problem ist, dass man kaum jemandem über seine Arbeit berichten kann – zumindest nicht, wenn das eigene Umfeld seriösen Tätigkeiten nachgeht.

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