Unsere Autorin ist kurz vor dem zweiten Lockdown nach Berlin gezogen. Wie es sich anfühlt, während der Pandemie neu anzukommen.

Ende September erhalte ich die lang ersehnte Nachricht: Du hast das Zimmer. Erleichterung überkommt mich. Dass die Wohnungssuche in Berlin kein Zuckerschlecken ist, hatte ich davor schon von allen Seiten gehört, doch dass wg-gesucht derart meine Frustrationstoleranz auf die Probe stellen würde, hatte ich nicht erwartet. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Nachrichten – jeweils liebevoll individuell angepasst – ich ins große Nichts des Unbeantworteten geschickt habe. Viele auf jeden Fall. Kam doch einmal eine Antwort zurück, hat die Pandemie das Unterfangen WG-Casting noch unangenehmer gemacht, als es sowieso schon ist. Im Sommer war die Situation in Bezug auf das Infektionsgeschehen nämlich zwar bereits soweit entspannt, dass kaum eine WG noch Skype-Castings machen wollte, sodass ich immer extra nach Berlin fahren musste, aber noch immer so angespannt, dass stets alle Beteiligten verkrampft mit Maske in der WG-Küche saßen und ich inständig hoffte, dass die obere Hälfte meines Gesichts ausreichen würde, um den Sympathiecheck zu bestehen. Zum Glück hat sie das letztlich, sodass ich nun froh bin, nicht mehr zwischen 8m² Zimmern zu horrenden Preisen und creepy Mittvierzigern, die explizit eine junge, weibliche Mitbewohnerin suchen, herum scrollen zu müssen.

Zwei Wochen nach meinem Umzug nach Berlin geht die Uni los. Online natürlich. Die allermeisten meiner Kommiliton*innen kenne ich demnach nur als kleine Kacheln auf Zoom. Leider. Allerdings tut die Fachschaft ihr Bestes, um uns zumindest ein wenig Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln, und organisiert virtuelle Orientierungstage, eine virtuelle Weihnachtsfeier und virtuelle Stammtische. Wer hätte gedacht, dass Socializing einmal bedeuten würde, in einer Zoom-Konferenz vorm Laptop herumzuhüpfen und Stopptanz zu spielen. 

Viel wilder wird es selten. Mit dem Semester beginnt auch der zweite Lockdown, die Clubs sind zu und kämpfen ums Überleben; das Berghain ist zum Corona-Testzentrum geworden. Das sagenumwobene Berliner Nachtleben bleibt für mich erst einmal ein nicht-greifbarer Mythos in weiter Ferne, sodass andere, Corona-konforme Beschäftigungen hermüssen. Zwar habe ich nach einem ganzen Semester noch keinen Club Berlins von innen gesehen, bin dafür aber schon fast jeden Park innerhalb des Stadtgebiets mehrmals abgelaufen. Nicht mehr Tanzen, sondern Spazierengehen ist das Hobby der Stunde. Demnach drehe ich jeden Tag meine Runde, meist mit einer Freundin oder einem Freund an meiner Seite und einem Kaffee in der Hand und genieße es, ein paar Sonnenstrahlen einzufangen und mal raus zu kommen.

Ich habe nämlich täglich das starke Bedürfnis, zumindest für ein paar Stunden das Haus zu verlassen. Denn mein Leben spielt sich ansonsten auf den elf Quadratmetern meines WG-Zimmers ab. Schlafen, Arbeiten, Uni, Sport und Freizeit – alles wenige Meter voneinander entfernt. Nichts da mit Work-Life-Balance oder Trennung von Studium und Privatleben. Mir fehlt es, zur Uni zu fahren. Mir fehlt es, den winzigen Kosmos meines WG-Zimmers zu verlassen, mit Kommiliton*innen in der Mensa zu essen und nach dem Seminar gemeinsam einen Kaffee auf dem Campus zu trinken. Mir fehlt die Bib. Insbesondere in der vorlesungsfreien Zeit, in welcher ein paar Hausarbeiten geschrieben werden wollen, vermisse ich sie schmerzlich.

Trotz allem bin ich froh, hier zu sein. Auch wenn es ein wenig kitschig klingt, es gibt keinen Ort in Deutschland, an dem ich gerade lieber leben würde. Und mit Vorfreude sehe ich dem Sommer in Berlin entgegen, Picknicks auf dem Tempelhofer Feld und Späti-Wein am Maybachufer. Mit vorsichtiger Vorfreude zumindest.