Karina Winter ist eine der besten Bogenschützinnen der Welt. © privat

Sportliche Höchstleistungen erfordern viel Disziplin, Einsatz und Ehrgeiz. Ein Studium auch. Lässt sich beides in einem Lebensabschnitt meistern? Eine Olympionikin der Humboldt-Universität macht es vor.

Eine echte Erfolgsstory

Karina Winter hat vor Kurzem ihr Studium abgeschlossen, sie ist 29 Jahre und in wenigen Monaten beginnen für sie die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Da drängt sich die Frage auf: Wie hat sie das nur geschafft?

Für Karina ist es keine überraschende Frage. Sie stützt ihren Ellenbogen sanft auf die Tischplatte, lächelt warm und beginnt zu erzählen. Sie spricht von Wettkämpfen an Wochenenden, Laufbahnberatungen, Leistungsdruck und einem mühsamen Linguistikkurs. Sie ist trainiert, der Text sitzt. Die Nachfrage, wieder keine Überraschung. Wie geht das? Karina Winter sagt: „Das eine ist das Ventil für das andere“ und es klingt kein bisschen nach Poesie. Es klingt nach einer echten Erfolgsstory.

Die 29-Jährige studiert Grundschulpädagogik und Deutsch an der HU und ist eine der besten Bogenschützinnen der Welt. Bei den Europaspielen im Juni in Baku gewann sie die Goldmedaille. Jetzt also Olympia. Nach neun Jahren Studium ist der Zeitpunkt ihres Abschlusses keinesfalls ein Zufall. „Die ohnehin schon intensive Vorbereitung wird noch intensiver“, sagt sie, lächelt erneut und scheint sich darauf zu freuen. Bei den 20 bis 40 Stunden Training in der Woche, so erklärt sie, sei das Studium niemals in Regelstudienzeit zu schaffen gewesen. Kurswahl nach Trainingsplan. Sport, Uni, Sport, Uni, Sport. Mehrmals am Tag tauschte Karina Bleistift und Bogen.

Kommunikation ist Schlüssel

Andy Borchert ist Projektkoordinator für Spitzensport und Studium an der HU, forscht selbst im sportwissenschaftlichen Bereich und weiß genau, wie Athleten denken. „Die wollen das bewältigen“, sagt er, die Belastung werde auf einmal zur Herausforderung. Fällt das Studium irgendwann weg, fehle plötzlich etwas. „Die Leistungen im Sport werden gar beeinflusst“, so Borchert. Karina kann das bestätigen. Hatte sie ein sportliches Tief, half ihr das Studium – musste der Kopf nach langer Lernerei wieder frei werden, trainierte sie. Da ist es, das wechelseitige Ventil. Ihr Ehrgeiz erledigte den Rest.

Kommunikation sei der Kern, sagt Detlef Pech. Der Professor für Grundschulpädagogik ist Mentor am Institut für Erziehungswissenschaften, also auch für Karina. Er glaubt, dass es darum gehe, Konfliktsituationen zu vermeiden. “Wenn früh genug kommuniziert wird, ist alles möglich.“

Ein einziges Mal habe er eine Nachricht von Karina Winter erhalten. Das Datum eines Prüfungstermins falle in ein Trainingslager. Sie müsse wissen wann genau, damit sie planen könne. Pech habe den Termin auf den gewünschten Tag gelegt.

Das sei eine gute Lösung gewesen, sagt er, dennoch erwarte er einen angemessenen Umgang mit diesem Privileg. Oft kommen solche Schwierigkeiten aber nicht vor. Pech meint: “Spitzensportler sind in der Regel super strukturiert und wissen, was sie leisten können und was nicht.”

Ein Balanceakt

Mehr als 50 Kaderathleten studieren an der HU. Über die Hälfte ist im Fach Sport eingeschrieben. Knapp jeder Vierte ist Sprach- oder Kulturwissenschaftler. Seit 2002 bietet die HU eine passgenaue Unterstützung. Ein „Studium à la carte“ mit individuellen Lösungen für die Probleme, die eine Vereinbarkeit von Studium und Spitzensport erschweren. Aber nur so lange die Probleme lösbar sind. „Wird der Sport zu dominant, hilft auch Kommunikation nicht mehr.“, sagt Detlef Pech.

Das System ist quasi für Karina konzipiert. Bogenschießen ist zwar eine olympische Sportart und doch findet sie in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Der Balanceakt gelingt. Es ist ein Musterbeispiel aus der Mitte des Systems.

„Geschenkt gab es jedenfalls nichts“, sagt die Spitzensportlerin. Karina Winter sei froh, dass sie es geschafft habe. Und dann, nach einer kleinen Pause lächelt sie und sagt noch etwas: Dass sie auch traurig sei und dass sie sich durchaus eine Promotion vorstellen könne.

„Aber erstmal kommt Rio.“

Dieser Artikel stammt aus der UnAuf 232 (Oktober 2015).