Brauchen wir in Berlin rekonstruierte Imperialbauten? Durch die Errichtung des Kreuzes auf der Kuppel des Humboldt Forums kochte die Kritik wieder hoch. Ein Kommentar. 

Am 29. Mai 2020 war es so weit: Im Zuge des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses wurde auch die Kuppel originalgetreu fertiggestellt. Auf dem Humboldt Forum thront, wie bei der ursprünglichen Errichtung, ein goldenes Kreuz. Auf der Kuppel darunter befindet sich folgende Inschrift: 

„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ (Apostelgeschichte 4,12 und Philipper 2,10)

Die Kuppel befand sich bei ihrer Erbauung 18451853 direkt über der Schlosskapelle. König von Preußen Friedrich Wilhelm IV. plante sie bewusst als höchsten Punkt des Gebäudes. Die Kapelle wurde nicht rekonstruiert. Als die Stiftung Humboldt Forum im Mai 2017 in einer Pressemitteilung bekannt gab, dass Kreuz und Inschrift Teil des Wiederaufbaus werden, entbrannte eine mediale Debatte. Gegner*innen sahen darin die Reproduktion eines Kolonialdenkmals, Befürworter*innen wollten das Kreuz als kritische Vergegenwärtigung der Geschichte verstehen. 

Das Humboldt Forum selbst widmet dem Diskurs ein Dossier auf seiner Website mit dem selbstironischen Titel „Was soll das? Das Kreuz auf dem Humboldt Forum“. So ist dort zu lesen: 

„Im Kreuz schneiden sich eben nicht nur auf der Bildebene eine horizontale und vertikale Linie, es ist auch Begegnungspunkt unterschiedlichster Richtungen und Positionen. Und genauso versteht sich das Humboldt Forum.“ 

Historischer Kontext

Der Kulturhistoriker Alfred Hagemann ist Leiter des Bereichs Geschichte des Ortes der Stiftung Humboldt Forum. Er ist also dafür zuständig, den Wiederaufbau historisch zu kontextualisieren.

Es gehe nicht nur darum, die alten Mauern wieder aufzubauen, sondern sie auch kritisch zu hinterfragen und aus ihrer Zeit heraus zu betrachten. So hat Hagemann recht, wenn er feststellt, dass das Kreuz nicht die private religiöse Überzeugung, sondern die gesellschaftliche, damals unhinterfragte Ordnung repräsentiert. Das Kreuz war vor allem ein politisches Symbol der Herrschaft Friedrich Wilhelms IV. Die Inschrift kann als Reaktion auf die Revolution von 1848 verstanden werden. Kreuz und Krone gingen Hand in Hand, im 19. Jahrhundert wurde der König als von Gott eingesetzter Herrscher verstanden.

Sich zum Christentum zu bekennen, oder, im Wortlaut, sich Jesus zu beugen, heißt also auch, die Herrschaft des Königs nicht anzuzweifeln. Das Bibelzitat war eher eine politische Mahnung an die preußischen Untertanen als ein Missionsaufruf. Gleichzeitig haben solche Passagen des Neuen Testaments (bzw. ihre deutschen Übersetzungen) eine unrühmliche Geschichte in der theologischen Legitimation von Kolonialisierung. Ganz zu schweigen davon, welche kolonialisierenden und missionarischen Unterfangen vom Berliner Schloss ausgingen. Selbst wenn es Friedrich Wilhelm nur um seine gottgegebene Vorherrschaftsstellung ging – beim ersten, unkommentierten Lesen ergeben sich andere Assoziationen.

Aber befindet sich das Kreuz heute in einem völlig anderen Kontext als damals? Jein. Das preußische Königreich ist vergangen, die herrschaftliche Trennung von Staat und Kirche längst festgeschrieben. Gleichzeitig bildet das (protestantische) Christentum in Deutschland immer noch die Dominanzkultur. Christliche Feiertage sind gesetzlich anerkannt, christliche Symbole dominieren den öffentlichen Raum. Wenn Chefkurator Paul Spies also vorschlägt „Wie wäre es, wenn [das Kreuz, Anm. d. Verf.] nicht permanent da wäre und wir die Kuppel zeitweilig einer anderen Religion anböten?“, dann wäre diese Geste ein Symptom des deutschen Scheinsäkularismus.

Kreuz und Inschrift – Ginge es auch anders?

Etwas anderes wäre es gewesen, die Kuppel nicht nur an nicht-christliche Religionen zeitweise zu „verleihen“, sondern ein inklusiveres Symbol zu wählen. Einen Alternativvorschlag für die Kuppel, der Menora, Halbmond und Kreuz vereint, gibt es übrigens. Er wird als Modell ausgestellt sein, während über Berlin von weitem sichtbar das goldene Kreuz erstrahlt. 

Es gibt einige Gründe für das Kreuz: Historisch korrekte Rekonstruktion, Verantwortung gegenüber der zweifelhaften Vergangenheit, ideologische Überzeugung. Will das Humboldt Forum mit dem Kreuz und der Inschrift christliche Vorherrschaft ausdrücken? Hoffentlich nicht. Die Entscheidung für eine Rekonstruktion versteht das Humboldt Forum vor allem als Verantwortung. Die Initiator*innen wollen verhindern, dass dieses Symbol wieder von Machtstrukturen missbraucht wird. Aber geht das überhaupt?

Erst durch die Inschrift erhalte das Kreuz einen Dominanzanspruch, so Rabbiner Andreas Nachama in der Jüdischen Allgemeinen. Ihm gibt auch der Berliner Landesbischof Christian Stäblein recht: „Intolerante Exklusivitätsanspürche sind – auch als historische Zitate – gefährlich und brauchen Gegenbilder.”

Kritische Auseinandersetzung?

Während das Humboldt Forum den Anspruch hegt, sich kritisch mit der Kolonialgeschichte des Ortes auseinanderzusetzen und einen „Ort der Diversität und Diskussion“ zu schaffen, steht bei der Fassade die historische Rekonstruktion im Vordergrund. Das Interieur sowie die Ostfassade sind modern gestaltet. Außerdem befindet sich auf dem Reichsapfel unter dem Kreuz die Widmung einer Geldgeberin an ihren Mann, den Versandhaus-Gründer Werner Otto. Dieser verstarb im Alter von 102 Jahren – bei der Errichtung in den 1850er-Jahren dürfte er trotzdem nicht zugegen gewesen sein. 

Sind Außen und Innen überhaupt voneinander zu trennen?  Ist es möglich, ein Symbol wie das Kreuz nur als historisches Zitat zu verstehen und die ideologische Bedeutung komplett zu lösen? Tourist*innen werden Unter den Linden entlang flanieren und fotografieren. Sie wissen vielleicht gar nicht, dass es sich beim ehemaligen Stadtschloss um einen aus dem Boden gestampften Nachbau handelt. Gegenüber steht der Berliner Dom. Wie ist erkennbar, dass es sich bei der einen Kreuzkuppel um ein kolonialkritisches, säkulares Mahnmal handelt?

Post-koloniale Kritik am Projekt

Abgesehen davon bezieht sich die post-koloniale Kritik, angetrieben von der Initiative No Humboldt21!, nicht nur auf den unschönen Schein, sondern vor allem auf das Innenleben. Auch wenn die „Ausstellungsobjekte“, bei denen es sich zum Teil um enteignete oder geraubte Gegenstände kolonialisierter Kulturen handelt, nun in ein kritisches Licht gerückt werden – sie befinden sich weiterhin in Berlin anstatt in ihren Herkunftsländern. Der Raum der Diversität und des Austauschs, der in diesen geschichtsträchtigen Mauern geschaffen wird, steht auf schiefem Boden: Anhaltende Appelle zur Restitution von Kunst- und Kulturgegenständen werden weiterhin ignoriert.

Kann dieser Raum überhaupt positiv besetzt werden? Befürworter*innen des Projekts wollen das Kreuz auch als Symbol der Nächstenliebe, als Einladung, unterschiedliche Kulturen kennenzulernen, verstanden wissen. Ist die Rekonstruktion eines preußischen Schlosses der richtige Ort dafür?

Den Widerspruch zwischen Restitution und Kolonialismus kritisiert die Kuratorin Dr.*in Mahret Ifeoma Kupka. Den auf diese Weise verhandelten Dialog findet sie „unglaubwürdig“, die Entscheidung für eine genaue Rekonstruktion eine vertane Chance. Ihrer Meinung schließt sich Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa des Landes Berlin, an – eine der wenigen kritischen Stimmen, die das Humboldt Forum auf seiner Website zitiert.

Schwamm drüber?

Das Kreuz und die Inschrift als historisches Mahnmal zu sehen, ist eine Möglichkeit. Geht dies zusammen mit dem Drang, den Ort, das Gebäude und wofür es stand, positiv zu besetzen? An dem Projekt wird grundlegend kritisiert, dass ein Ort der Vielfalt und Versöhnung geschaffen wird, indem Mauern aufgebaut werden, die für Herrschaft und Gewalt stehen.

Die Argumente der Befürworter*innen kommen selten aus ohne Verweise auf bauhistorische Korrektheit oder die ideologische Neueinschreibung des Kreuzes. Dem Kreuz muss immer etwas positives abgewonnen werden, um seine Auferstehung zu rechtfertigen. Dann passiert genau das, was Kritiker*innen befürchten: Es sollte nicht darum gehen, das Kreuz und die im Gebäude ausgestellten Raubgüter positiv zu besetzen. Sich mit der eigenen Herrschaftsgeschichte auseinanderzusetzen, heiße auch auszuhalten, wenn es wehtut.