Das Leben in der Hauptstadt ist rasant und vielseitig. Es gibt unzählige Möglichkeiten, um Feminismus zu leben. Ist Feminismus in kleineren Städten möglich und auf welche Hürden treffen Feminist*innen anderswo? Seit 2020 existiert in Greifswald die feministische Aktionsgruppe neonlila, die sich für die politische Umsetzung in der Stadt einsetzt und Selbstbestimmung fordert.

Die feministische Aktionsgruppe neonlila gründete sich 2020 und organisiert seitdem diverse feministische Aktionen in Greifswald und Mecklenburg-Vorpommern. Neben feministischen Themen wie sexueller Selbstbestimmung und Geschlechtergerechtigkeit engagiert sich neonlila auch in der Lokalpolitik.

moritz.magazin: Was bedeutet neonlila?

lila: Nach der Gründung von neonlila, fiel es uns tatsächlich sehr schwer einen passenden Namen für unsere Aktionsgruppe zu finden. Wir wollten auf jeden Fall einen Namen, der griffig und kurz ist – der aber auch standfest klingt und aussagt, dass wir da sind. Deswegen steht auch das neon vor dem lila. Es geht darum, Präsenz für die Themen zu zeigen, die uns wichtig sind.

Lila als althergebrachte Farbe des Feminismus gemeinsam mit Neon meint auch, frischen Wind in den Feminismus zu bringen. Trotzdem sollte man dem Namen nicht allzu viel Tiefe zurechnen. Er ist einfach lila und knallt!

Wie seid ihr zu neonlila gekommen?

neon: Eigentlich ist neonlila eher zu uns gekommen. Wir sind zwei der vier Menschen, die neonlila  2020 gegründet haben. Damals gab es in Greifswald keine feministische Aktionsgruppe, daher waren wir in Rostock auf der 8. März Demonstration. Aus einer Freundesgruppe heraus gründeten wir kurzerhand eine Aktionsgruppe in Greifswald und entwickelten wilde Pläne darüber, was aus uns werden wird, wie zum Beispiel eine Lesegruppe.

lila: Heute sind wir eine Aktionsgruppe. Das heißt: Wir versuchen, feministische Aktionen in Greifswald zu organisieren und damit einen Raum zu schaffen, um Feminismus in Greifswald zu leben. Hierbei ist es unser Anspruch, uns immer wieder neu zu definieren. Neonlila ist also keine feste Gruppe. Stattdessen probieren wir stets unterschiedliche Aktionsformate bei neonlila aus.

Wie ist es euch als feministische Aktionsgruppe in den Lockdown-Phasen ergangen?

lila: Nachdem der Name stand, kamen 2020 diverse Lockdowns auf uns zu, die nicht gerade die einfachsten Umstände für eine neu gegründete Gruppe waren. Dennoch waren wir damals der Meinung, dass wir für Greifswald notwendig waren. Das denken wir auch heute noch. Daher waren wir sehr motiviert, immer weiter zu machen.

neon: Das Greifswald uns braucht, haben wir besonders auf unserer ersten Demonstration zum „Safe Abortion Day 2020“ gemerkt. Wir waren bei der Demo völlig baff zu sehen, wie viele Menschen teilnahmen, da wir im Vorhinein nicht einschätzen konnten, ob überhaupt jemand kommt. Dann kamen aber über 200 Menschen, was für Greifswald eine Hausnummer ist und das trotz Corona! Wir waren völlig überwältigt.

Welche Menschen finden sich bei neonlila zusammen – eher Studierende oder auch jüngere beziehungsweise ältere Menschen?

neon: Gerade sind wir hauptsächlich Leute zwischen 20 und 30 Jahren. Dafür existieren verschiedene Gründe: Einerseits sind wir viel über Instagram und Social Media aktiv. Andererseits denke ich, dass dies ebenso eine Frage des Geldes und der Kapazitäten ist. Neonlila hat kein Geld, um regelmäßig Flyer zu drucken und zu verteilen. Dennoch werden wir von verschiedenen Gruppen in der Stadt wahrgenommen, wie dem Frauenbeirat oder der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt.

lila: Wir bemühen uns dennoch, ein breites Angebot zu schaffen, das für unterschiedliche Menschen attraktiv ist. Gerade auf Demos sehen wir, dass die Altersspanne wächst. Trotzdem muss man auch hinzufügen, dass die Menschen, die in Greifswald Zeit haben, um Ehrenämter ausführen zu können,  eher die jüngeren Menschen sind.

Viele Eurer Diskussionsrunden und Workshops sind an FLINTA*-Menschen gerichtet. Auch in Euren Posts und Inhalten bezieht ihr euch überwiegend auf diese Adressat*innen. Wieso habt ihr euch für diese Eingrenzung entschieden? 

lila: Ich glaube, wir haben uns gar nicht klar für diese Eingrenzung entschieden. Eigentlich versuchen wir, einen Feminismus für alle zu schaffen und möglichst viele Menschen für Feminismus zu begeistern oder zu informieren. Wichtig ist es uns, einen Safe Space zu schaffen – für Menschen, die sonst unterrepräsentiert sind, kein Gehör finden oder nicht sicher sind. In solchen geschützten Räumen, wie wir sie teilweise anbieten, finden FLINTA*-Menschen einfacher eine gehörte Stimme.

Versucht Ihr durch Eure Workshops und Veranstaltungen, in denen Ihr über linke Identitätspolitik, vergleichsweise „sichere“ Abtreibungsmöglichkeiten und sexuelle Selbstbestimmung diskutiert, auch Menschen zu erreichen, die sich bisher wenig mit diesen Themen auseinandersetzen?

lila: Wir versuchen, durch das Nutzen aller möglichen digitalen Verteiler, die die Stadt Greifswald zur Verfügung stellt, diverse Menschen zu erreichen. Häufig führen wir auch mit anderen Organisationen gemeinsame Aktionen durch oder werden angesprochen, ob wir zu bestimmten Themen Workshops machen möchten.

neon: Man muss sich aber auch klar eingestehen, dass auch dies eine Frage der Kapazitäten ist und wir uns eher an die Menschen in der Innenstadt und die tendenziell privilegierten Studileute richten. Wir organisieren leider keine Aktionen in den äußeren Bezirken wie Schönwalde. Die Innenstadt bietet viele soziale Räume, um Aktionen zu veranstalten. Außerdem existiert ein Verteiler, über den wir Menschen erreichen können. Die Infrastruktur nutzen wir natürlich gerne.

lila: Am Ende ist auch vieles eine Finanzierungsfrage, die ein generelles Problem von politischem Aktivismus ist. Wir haben keine Finanzierung und sind auch kein eingetragener Verein. Dadurch können wir keine Finanzierungsmittel im großen Stil beantragen, um Menschen zu erreichen, die sich nicht sowieso schon mit unseren Themen auseinandersetzen.

Wie wird neonlila in Greifswald aufgenommen und welche Probleme behindern euch in eurem Engagement? Denkt Ihr, dass sich diese von denen in größeren Städten unterscheiden?

neon: Ich finde, dass Greifswald gerade dadurch, dass es so klein ist, großartig ist, um politisch aktiv zu sein. Greifswald bietet die Möglichkeit, sich schnell zu vernetzen und sich niedrigschwellig auszuprobieren. In Berlin würde ich nicht einfach so eine Demo anmelden. In Greifswald hingegen ist man ein halbes Jahr aktiv und es funktioniert.

Dadurch, dass die studentische Szene diese Stadt sehr prägt, habe ich außerdem das Gefühl, dass das ein sehr guter Nährboden für alle möglichen feministischen Aktionen ist und uns sehr geholfen hat, Fuß zu fassen. Ja, was gibt es für Probleme?

lila: Schwierig ist, dass die meisten Menschen, die politisch aktiv sein wollen, schon woanders tätig sind – aber ich denke, das ist nicht unbedingt Kleinstadt-spezifisch. Mir fällt auch nichts weiteres ein, das nicht auch an einem anderen Ort problematisch wäre.

Abschließend würde ich gerne noch von Euch wissen, was es für euch persönlich bedeutet Feminist*in zu sein?

neon: Das ist eine ziemlich schwierige Frage. Ich glaube, es geht auch gar nicht darum, was ich persönlich zu dem Thema zu sagen habe, sondern mehr darum, dass klar ist: Es existiert ein Missstand und unter anderem Feminismus versucht, darauf aufmerksam zu machen. Was ich jetzt persönlich denke? Das muss ich gar nicht so groß machen. Ich bin dennoch der Meinung, dass es auch nicht darum geht, eine eigene Position konsistent zu vertreten, sondern darum, sich mit anderen über Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle Selbstbestimmung konstruktiv auszutauschen.

lila: Trotzdem können wir festhalten, dass wir als neonlila unter dem Dach des intersektionalem Feminismus agieren, der unterschiedliche Diskriminierungsstrukturen zusammen betrachtet. Ziel ist es, dass Menschen ganz unabhängig von ihren Eigenschaften, die ihnen zugeschrieben werden, selbstbestimmt leben können. Dafür müssen Macht-, Diskriminierungs- und Dominanzstrukturen aufgebrochen werden. Wir versuchen, in existierende Strukturen den Finger zu legen und Probleme anzugehen. Darum geht es uns!


Dieses Interview ist ein Gastbeitrag der Studierendenzeitung moritz.magazin.

*Namen von der Redaktion geändert

Illustration: Céline Bengi Bolkan