Der Begriff Intersektionalität wird mittlerweile in feministischen Diskursen und den Sozialwissenschaften regelrecht jongliert. Was dahinter steckt und welches Potenzial intersektionaler Feminismus hat. 

Ende der 1970er Jahre klagten Schwarze Frauen in US-amerikanischen Fabriken gegen ihre unrechtmäßige Entlassung aus der Fließbandarbeit. Ausgerechnet dort, in den Fabriken des US-Autoherstellers General Motors, lassen sich die Wurzeln des intersektionalen Feminismus aufspüren. Denn für Schwarze Frauen gab es zwischen Schwarzen Männern an Fließbändern und wiederum weißen Frauen in den Büros keinen Platz. Als ihre Klage abgelehnt wurde, formulierte die Juristin Kimberlé Crenshaw die Forderung nach einer verwobenen, einer intersektionalen Sichtweise auf Diskriminierung. In ihrer Theorieschrift hält sie fest, dass Rassismus und Sexismus eben keine exklusiven Phänomene sind. Sie formulierte etwas für den heutigen Feminismus Grundlegendes: Frauen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören, erleben Sexismus anders.

Intersektionalität als Prisma

Doch auch bereits bevor Kimberlé Crenshaw den Begriff Intersektionalität als Verwobenheit von race und Gender prägte, gab es intersektionale Strömungen im Feminismus. Bereits die sozialistische Frauenrechtlerin Clara Zetkin betonte, dass Klasse und Geschlecht miteinander interagieren. Sie forderte darum einen Feminismus, der nicht nur die Perspektiven bürgerlicher Frauen einnimmt.

Die Illusion von einheitlichen Unterdrückungsnarrativen ist also schon lange passé. Um der Vielschichtigkeit von gesellschaftlichen Machtstrukturen gerecht zu werden, gibt es den Begriff der Intersektionalität. Und dieser umfasst Unterdrückungsmechanismen in Bezug auf eine Vielzahl von Aspekten. Darunter: sexuelle Orientierung, Klasse, Religionszugehörigkeit, Behinderung oder Alter. Kimberlé Crenshaw gebrauchte für diese Vielschichtigkeit die Metapher eines Prismas. Wenn man es beleuchtet, brechen sich die verschiedenen Facetten und das Prisma bringt immer neue Farben hervor.

Testosterongeladene Kritik 

Das Konzept rüttelt an festgefahrenen Strukturen von Privilegien und Unterdrückung. Die Kritik daran kommt – Überraschung ‒ meist von weißen Männern. Der FAZ-Autor Rainer Henk nannte Intersektionalität 2020 im Rahmen seiner Kolumne „Wettlauf der Opfer“ und kritisierte die mehrschichtige Betrachtung von Diskriminierungsstrukturen als „Diskriminierungsolympiade“. Diese Kritik richtet sich auch an identitätspolitische Bestrebungen innerhalb der Linken und verurteilt diese als unnötig kategorisierend.

„Dass Menschen häufig Opfer und Täter zugleich sind, diese irrlichternde Erfahrung ist nicht vorgesehen.“, heißt es dann weiter. Doch das Gegenteil ist der Fall: Soll es doch gerade darum gehen, diese Verwobenheit auszuhalten und zu analysieren. Dass das Abrücken von einer reinen Täter-Opfer-Perspektive wichtig ist, zeigt nicht zuletzt der aktuelle Diskurs über sogenannte TERFS – transexklusive Radikalfeminist*innen. Denn anstatt Feminismus intersektional zu denken, treten auch hier Ausgrenzung und Täterschaft auf. So werden durch „radikalfeministische“ Positionen aktiv trans Frauen ausgeschlossen und diskriminiert. Im Zuge dieser Ausgrenzung erreichten in den vergangenen Wochen die verletzenden Debatten um die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer ihren bisherigen Höhepunkt.

Identitätspolitisches Geschwafel oder saubere Wissenschaft? 

Anstatt dem intersektionalen Feminismus also eine linke identitätspolitische Mission zu unterstellen, lohnt es sich darüber nachzudenken, ob diese Art der Kategorienanalyse nicht eine notwendige wissenschaftliche Genauigkeit ist. Sind mehrere Diskriminierungsmerkmale automatisch mit größeren Leidensdruck assoziiert? Gewinnen mehrfach diskriminierte Frauen den von der FAZ befürchteten “Wettlauf der Opfer”? Die Wissenschaft, die ja bekanntlich keiner politischen Gesinnung folgt, sagt darauf “Jein”.

Denn die Sozialwissenschaften scheinen mit dem Konzept weiterhin etwas überfragt. Da gibt es auf der einen Seite die Theorie der intersectional invisibility. Diese geht von einer andro-, hetero- und ethnozentrischen Sichtweise aus, die Unsichtbarkeiten und Unterdrückung schafft. Das impliziert, dass vor allem nicht männliche, nicht weiße, nicht heterosexuelle Menschen durch Unsichtbarkeit diskriminiert werden (Sex Roles: Purdie-Vaughns & Eibach, 2008). Auf der anderen Seite konnte eine US-amerikanischen Studie herausfinden, dass Schwarze Männer in einigen Situationen, wie zum Beispiel dem Autokauf, stärker benachteiligt werden als Schwarze und weiße Frauen (The American Economic Review: Ayres & Siegelmann, 1995). Intersektionalität fordert also (feministisches) Denken heraus.

Es kann nicht darum gehen, den „Wettlauf der Opfer“ zu entscheiden. Vielmehr gewinnt der Feminismus mit einer intersektionalen Sichtweise die Möglichkeit, interne Hegemonien zu entlarven.


Illustration: Céline Bengi Bolkan