Jedes Jahr kommen Interessierte zum Medien Camp in der Berliner Kulturbrauerei zusammen, wo sie Lust bekommen sollen auf Journalismus und Medienarbeit. Unser Autor findet jedoch: Genau das Gegenteil ist der Fall. In den wenigen Stunden befeuern all die Themen hauptsächlich die Zukunftsängste junger Menschen.
Schon nach ein paar Veranstaltungen wird es schwer, die heiße Luft zu ertragen, die da verbreitet wird, die sich hinten und vorne nicht deckt mit dem, was noch vor zehn Minuten gesagt wurde — zum Teil mit den Vorträgen davor, im schlimmsten Fall mit derselben Präsentation. Man hetzt herum zwischen „Session”, „Panel”, „Keynote”, „Talk”; eine Wortwahl, an der man schon ablesen kann, dass es die nächsten Stunden um das Aufsteigen auf Karriereleitern gehen wird. Oder eben um das Sitzenbleiben und Abgehängt werden. Ist man schon oldschool, wenn man nicht weiß, dass AMA „Ask Me Anything” heißt?
Hat man den richtigen Raum gefunden, ist die Entspannung nur von kurzer Dauer. Amelie Marie Weber, Instagram-Presenterin bei der Tagesschau, scheint nur der Applaus des Publikums wichtig zu sein. Davor geht es eine halbe Stunde lang um das Aufbauen einer „persönlichen Marke”, Fragen gibt es irgendwie nur zur eigenen Website und Instagram. Werte des Journalismus, wie etwa die informierte Meinungsbildung, die Verteidigung des Rechtsstaats, oder die Geschichte der Öffentlich-Rechtlichen sucht man vergebens. Es schmerzt, eine halbe Stunde lang zuzuhören, auch wegen der Fragen aus dem Publikum. Das Klatschen wird gefilmt, zum Posten, klar. Yasmine M’Barek, Autorin und Podcasterin der ZEIT, fällt in den ersten Veranstaltungen vor allem durch ihre Gucci-Brille und Designer-Kleidung auf, aber hey, der Verlag will ja auch Menschen einstellen, die eine politische Diversität vertreten. Oder mit den Worten des ZEIT ONLINE-Chefredakteurs Jochen Wegner: die auch mal „nicht alles toll finden, was Robert Habeck macht.” Das scheint M’Barek zu erfüllen, die sich gekonnt jeder Kategorisierung entzieht, indem sie mit unterschiedlichsten Meinungen herhält und damit das Publikum herausfordert. Um jeden Preis aufzufallen, ist an diesem Tag jedoch nicht nur einmal die Taktik der Stunde.
Dazu kommt eine Sozialkritik, die so aufgesetzt scheint, als würde sie einer alten Fassade mit neuem Anstrich begegnen. Praktisch jede*r bezeichnet sich selbst als Arbeiterkind, und sagt das auch lieber früh als spät. Auch Wegner betont in zwei Atemzügen, aus einfachen Verhältnissen zu stammen. Das scheint zu wirken. Zumindest bis zur letzten „Session” im „Timetable”. Denn da redet M’Barek darüber, dass es nicht sinnvoll sei, alles ein wenig zu können. Man müsse sich festlegen, seine die Nische finden. Etwas unbemerkt, aber doch beachtlich, ergreift nach ein paar Karriere-Aufstiegs-Fragen eine Zuschauerin das Mikro, die mal keinen Bachelor oder Master erwähnt. Sie widerspricht M’Barek auf der Bühne: Sie arbeite fürs Radio und da sei wäre es tatsächlich wichtig, alles ein wenig zu können. Und M’Barek? Lenkt ein. Und betont plötzlich ihre erlernten Grundlagen aus der Kölner Journalistenschule.
Das Mega-Thema Diversität spielt bis zum Schluss eine große Rolle. Dazwischen gibt es auch ein paar gute Antworten und ruhige Gemüter. Die Deutsche Welle überrascht, nicht nur mit einem enthusiastischen Vortrag ihrer Mitarbeiterin Kira Schacht zum Thema Datenjournalismus, sondern eben auch mit einer Sensibilität zu Herkunft und Hintergrund ihrer Mitarbeiter*innen. Erläutert wird dies vom Leiter des Türkisch-Ressorts Erkan Arikan. Er wirft vielen Medienhäusern vor, ein paar diverse Mitarbeiter*innen einzustellen, die dann als Aushängeschild eines angeblich vielfältigen Personals herhalten müssten. Arikan nimmt bereitwillig seine Krawatte ab, als eine Volontärin meint, dass sie ihn deswegen gesiezt hat. Geduzt werden will an diesem Tag jeder, niedrigschwellig soll alles sein. Dass manche Medienhäuser aber überhaupt nicht so zugänglich sind, wie sie hier suggerieren, hat man meist schon nach der ersten Frage verstanden.
Ist das überraschend bei einer Veranstaltungsreihe, in der auch Burda, Axel Springer und, Porsche ihre Bühne bekommen und gesponsert haben? In der zwischendurch Pausen und Orte zum „Networking” eingeplant sind? Wohl eher nicht.
Zwischen Fassaden-Sozialkritik und ausufernden Marketing-Strategien wäre es trotzdem einfach gewesen, die Vorzüge des Journalismus zu betonen. Es wäre einfach gewesen, Lust auf mehr zu machen, auf das Schreiben, das Filmen, ja sogar das Posten oder die eigene Website. Es wäre einfach gewesen, den Sinn zu betonen, der in der Verantwortung der Medien liegt: eine Gesellschaft gut zu informieren. Das ist eine gewaltige Aufgabe. Doch wer an diesem Tag nach dem Mut und Zuspruch sucht, den es dafür braucht, der sucht und sucht und sucht: vergeblich.
Foto: Pedro Becerra