Aktuell erlebt der Pro-Choice-Feminismus mit den Stay at Home Girlfriends erneuten Aufschwung. Die Debatte darum gewinnt an Relevanz. Als junge Feministin bringt mich dieser Trend in einen schwer lösbaren inneren Konflikt.

 

„Das Private ist politisch“ – eines der Leitmotive des sogenannten zweiten Welle Feminismus der 1960er scheint heute aktueller denn je. Vor einigen Jahrzehnten galt es noch als revolutionär, Politik in die eigene Privat- und Intimsphäre zu holen, aus heutiger Perspektive erscheint das bloß noch als ein leerdiskutierter Slogan.

Doch nur durch das Einreißen normativer Wände konnte sichtbar werden was uns heute mehr denn je beschäftigt: die Aufteilung von Care-Arbeit und Lohnarbeit in monogamen cis-heteronormativen Partnerschaften. So wurden strukturelle Probleme anerkannt, die im Schutz romantischer Beziehungen reproduziert werden. Gerade sie sind als soziales Konstrukt tief verankert und erscheinen aufgrund historischer Pfadabhängigkeit am schwierigsten veränderbar. 

 

Zurück zu konservativen Traditionen

 

Dieser Eindruck manifestiert sich seit einiger Zeit in einer neuen Social Media Content-Bubble. Vor allem auf TikTok findet sich eine etablierte Community an Frauen, die ganz bewusst das Leben einer stereotypischen Hausfrau führen. Diese widmet sich der Hausarbeit und Fürsorge ihres männlichen Partners, welcher die Rolle des alleinigen finanziellen Versorgers einnimmt. 

Die sogenannten „stay at home girlfriends“ vermitteln ein Frauenbild, das mit wirtschaftlicher Autonomie und Unabhängigkeit wenig zu tun hat. Die kurzen Videos kreieren eine sanfte, leichte und vollkommen stressfreie Atmosphäre. Eine normschöne Frau verbringt ihre Stunden mit Kochen, Wäsche waschen, Workouts, Online Shopping und ausgedehnten Self Care Routinen. All das begleitet von rührender Aufopferung für ihren Partner und deren gemeinsames Leben. 

Aus der Perspektive einer jungen Feministin empfinde ich intuitiv Ablehnung und große Skepsis. Abgesehen von der Ebene der individuellen Entscheidungsfreiheit, läuft diese lebensstilistische Strömung entgegen meinem Streben nach einer gleichberechtigten Gesellschaft. Ich frage mich ob mir diese stumme, teils verurteilende Kritik zusteht, denn schließlich ist es ihr Leben, ihre freie Entscheidung und niemand hat das Recht, sich in diese Sphäre einzumischen. 

 

Romantisierung statt Realität

 

Dennoch, wir brauchen definitiv keine Romantisierung der traditionellen Hausfrauenrolle. Vor allem nicht, wenn bei vielen heterosexellen Paaren ein ökonomisches Hierarchiegefälle entsteht, da Frauen unbezahlte Fürsorgearbeit leisten anstatt Vollzeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.  

Der Rückzug in die eigenen vier Wände bedeutet weniger Sichtbarkeit von Frauen in öffentlichen Räumen. So nimmt der allgemeine Einfluss nicht-männlicher Stimmen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ab, wodurch pluralistische Perspektiven in wichtigen Entscheidungsprozessen fehlen.

 

Individuelle Freiheit als unantastbare Priorität

 

Gesamtgesellschaftlich schadet uns das, doch die Autonomie des Individuums, die mit dem Streben nach Selbstverwirklichung einhergeht, steht an oberster Stelle des westlichen Wertesystems. Dieser Idee bedient sich auch der Choice Feminismus, einer der vielen Strömungen, die heutzutage koexistieren. Die zugrundeliegende Annahme jede Handlung einer Frau, zu der sie nicht (in)direkt gezwungen wurde, sei automatisch selbstbestimmt und dadurch feministisch, lässt kollektive politische Handlung gegen ein etabliertes patriarchales System als überflüssig erscheinen.

Denn sie impliziert ein Weltbild vollkommener Chancengleichheit sowie Handlungsfreiheit. Daraus resultiert die Illusion, dass jede*r beliebig aus einer unbegrenzten Bandbreite an Lebensstilen wählen kann. So wird Feminismus entpolitisiert, denn die Forderung nach mehr Gerechtigkeit, die ihn seit jeher antreibt, verstummt.

Die Kritisierbarkeit der Privatsphäre abzuwehren schafft einen unantastbaren Raum, in dem sexistische, queerfeindliche, ableistische und rassistische Strukturen ungestört weiter bestehen können. Es gilt ständig abzuwägen, inwiefern wir persönliche Entscheidungen politisieren sollten ohne gleichzeitig die Verantwortung auf individueller Ebene zu suchen. Systemische Veränderungen müssen sich nach wie vor auf institutionelle Strukturen beziehen, dennoch bedarf es in diesem Prozess der Reflexion des eigenen Verhaltens. 

 

Wir sollten die das inszenierte Frauenbild des Stay at home Girlfriends kritisch beurteilen. Es gibt auf jeden Fall Menschen, die es genießen ein Leben in traditionellen Hetero-Partnerschaftsrollen zu führen. Es gilt jedoch stets dieses Modell zu hinterfragen, und die Frage ob Choice Feminismus wirklich feministisch ist immer wieder neu zu verhandeln. 

 


Illustration: Céline Bengi Bolkan