Ärzt*innen sollen bald über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen und dieser ein Bestandteil des Medizinstudiums werden. Was nach einer Selbstverständlichkeit klingt, ist in Deutschland bislang Zukunftsmusik.
Die Ampel-Koalition hat bereits einige Vorschusslorbeeren geerntet – auch dafür, dass sie ankündigte, Paragraf 219a StGB streichen zu wollen. Der Absatz stellt bisher die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe – wobei laut einem Urteil des Berliner Kammergerichts gegen die Ärztinnen Bettina Gaber und Verena Weyer bereits die Beschreibungen „medikamentös“ und „narkosefrei“ als Marketing-Gag zu werten sind. Neben 219a möchten SPD, Grüne und FDP aber auch andere Punkte der reproduktiven Selbstbestimmung angehen. In ihrem Koalitionsvertrag heißt es unter anderem: „Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein“.
Eine Straftat als Studieninhalt
Was nach einer Selbstverständlichkeit klingt, gestaltet sich in der Praxis schwierig. Denn die Paragrafen 218 und 219a StGB wirken sich nicht nur auf das Arbeitsleben der Ärzt*innen aus – sondern bereits auf ihre Ausbildung. Im Gegenstandskatalog Medizin und vom Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen ist zwar vorgesehen, dass Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der Ausbildung bis zum 1. Staatsexamen gelehrt werden, das ‚wie‘ ist darin aber nicht geregelt. Und das ist für die Medical Students for Choice Berlin (MSFC) der Knackpunkt. Weil Schwangerschaftsabbrüche durch den Paragrafen 218 in den meisten Fällen rechtswidrig sind, erschwert es den Umgang damit im Medizinstudium. Und das obwohl in Deutschland pro Jahr etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Davon fallen wiederum 96 Prozent unter die Beratungsregel, was bedeutet, dass kein medizinischer oder kriminologischer Grund für den Abbruch vorliegt. Die Schwangere ebenso wie die Ärzt*in begehen also eine Straftat, die aber nicht geahndet wird. „Es ist gefährlich, dass ein medizinischer Eingriff kriminalisiert wird – denn eigentlich darf man Studierenden ja keine Straftat lehren“, sagt Annika Kreitlow. Sie studiert Medizin im 12. Semester und ist seit knapp zwei Jahren Mitglied der Hochschulinitiative MSFC.
Mit der vorgesehenen Streichung von Paragraf 219a ist ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht – das findet auch Kreitlow. „Der Paragraf war insofern problematisch, weil dadurch der öffentliche Diskurs zu Schwangerschaftsabbrüchen stark eingeschränkt war. Ärztinnen und Ärzte konnten nicht genau abschätzen, was sie sagen durften.“ Seine Abschaffung habe vor allem symbolische Bedeutung und würde dazu beitragen, dass die Diskussion zu Schwangerschaftsabbrüchen wieder lebendiger werde. „Aber damit sich wirklich etwas tut, müsste Paragraf 218 gestrichen oder zumindest geändert werden.“
Rechtliche und Moralische Konsequenzen stehen über dem Patient*innenwohl
Denn die praktische Durchführung des Eingriffs werde an der Charité bislang nicht im Rahmen des Studiums gelehrt. Überhaupt gibt es erst seit 2019 Seminare explizit zu dem Thema, bei denen nicht die pränatale Diagnostik im Vordergrund steht – laut eigenen Aussagen auf Bestreben der MSFC. In den Seminaren gehe es aber zum Großteil um die schwierigen Rahmenbedingungen, die durch die derzeitige Gesetzeslage entstehen. „Mir fällt kein anderer medizinischer Eingriff ein, bei dem im Studium so viel über die rechtlichen und moralischen Konsequenzen gesprochen wird“, sagt Kreitlow. Das zu verallgemeinern sei aber schwierig, da es auch von den Lehrenden abhänge.
Obwohl die Lehre rund um den Schwangerschaftsabbruch an der Charité besser sei, als an vielen anderen Unikliniken, gebe es viel Luft nach oben – vor allem was den praktischen Aspekt anbelange. Aus diesem Grund bietet die MSFC zusammen mit Gynäkologinnen ehrenamtlich Papaya-Workshops an. In diesen können Studierende den Eingriff an der Frucht üben – als medizinischen Eingriff statt als moralischen und strafrechtlichen Hürdenlauf. „Wir wollen, dass diese Kurse zumindest im Rahmen eines Wahlfachs oder Tutoriums angeboten werden“, fordert Kreitlow mit Blick auf die fehlende Finanzierung.
Die Rechtslage ist gefährlich
Aber wie lernen angehende Ärzt*innen die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches, wenn nicht im Studium? „Gar nicht“, sagt Kreitlow. Zwar würden viele Eingriffe im Medizinstudium ohnehin nur theoretisch behandelt und dann im Rahmen des Praktikums oder einer Assistenzarztstelle praktisch erlernt. „Das Problem ist aber, dass wegen der schwierigen Rechtslage und der Unterfinanzierung des Eingriffs immer weniger Kliniken Schwangerschaftsabbrüche durchführen.“ Seit 2003 hat sich ihre Zahl laut dem Statistischen Bundesamt fast halbiert – auf 1.109 Praxen und Kliniken in ganz Deutschland. Kreitlow selbst hat ihre Ausbildung an der Medizinischen Hochschule Hannover gemacht, wo der Eingriff nicht durchgeführt wird. „Selbst viele der Lehrenden haben noch nie in ihrem Leben Schwangerschaftsabbrüche gemacht. Denn um fertig ausgebildete Gynäkologin oder Gynäkologe zu sein, muss ich das nicht können.“
Dabei hat die stiefmütterliche Behandlung nichts mit der Durchführung des Eingriffs zu tun. „Eigentlich ist zumindest der operative Schwangerschaftsabbruch, der gleiche Eingriff, der auch bei einer frühen Fehlgeburt durchgeführt wird und der wird im Studium sehr wohl gelehrt – das sagt einem nur keiner“, sagt Kreitlow. Und das Vorgehen bei einer frühen Fehlgeburt wird nicht im gleichen Maß stigmatisiert, weder vom Gesetzgeber noch von der Gesellschaft.
Die gesetzlich festgeschriebene moralische Behaftung von Schwangerschaftsabbrüchen führt zu Unsicherheiten und einer schlechten Versorgungslage. Dass das in der Praxis für Schwangere nicht nur kräftezehrend sondern gefährlich ist, belegen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Denn 2020 wurden noch 12 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durch die Ausschabung durchgeführt. Die Weltgesundheitsorganisation rät allerdings von dieser Methode ab – zu hoch ist das Komplikationsrisiko. Nur eines der Risiken, über das sich Frauen bisher nicht barrierefrei informieren können, da Ärzt*innen wegen des Paragrafen 219a nicht vollumfänglich aufklären dürfen. Risiken, die es eigentlich nicht geben müsste, wenn ein medizinischer Eingriff nicht wegen moralischer Einwände durch den Paragrafen 218 kriminalisiert würde.
Illustration: Laura Haselmann