“Wir schaffen die Zoom-Hand ab und reden einfach drauflos!”, lädt uns der Dozent ein. Was so einfach klingt, ist es in Wahrheit aber gar nicht. Am missglückten Versuch, eine freiere Diskussion zu schaffen, werden die patriarchalen Strukturen sichtbar, die Frauen* schweigen und Männer* reden lassen.

In der Schule habe ich angefangen zu lernen, zuzuhören. Seitdem mich Wuppi, ein kleiner grüner König mit großen Fühlern, die aufmerksam lauschen, mindestens fünf Mal in meiner Grundschulzeit besucht hat, weiß ich: Zuhören bringt Punkte. Zuhören bringt gute Noten. Zuhören ist Teil unserer Gesellschaft, jedenfalls für Teile der Gesellschaft. Denn so, wie es die gibt, die zuhören, gibt es eben auch die, die sprechen. Aber die müssen mich gar nicht interessieren, denn ich bin lieb und lausche.

Seitdem höre ich zu, viele Stunden täglich, angefangen bei Kika, über die Wilden Hühner zu Reden auf Demonstrationen zu Bahngesprächen mit den Fremden, die ich nie ansprechen sollte. Podcasts, Tagesschau und jetzt auch Uni-Vorlesungen.

Mein Zuhörverhalten hat sich seit der Schulzeit ziemlich verändert. Im Auslandsjahr nach der Schule versuchte ich, das Loch, das das Ende der Schulzeit hinterlassen hatte, mit Audioguides und Museumsbesuchen zu stopfen. Ich wollte diskutieren, über alles sprechen, was ich neu lernte.

Seit dem Studium aber, an der Uni, in der alle schreien, obwohl doch auf den Gängen theoretisch „Ruhe bitte“ herrscht, obwohl doch im Zoom-Raum alle stummgeschaltet sind, bekomme ich Kopfschmerzen. Höre zu und spreche nicht, sondern werde stumm. Ich rede nicht, weil es sich nicht ergibt, weil ich immer wieder denke, nicht das geeignete Stimmrohr zu besitzen, nicht das richtige gelesen zu haben, nicht angemessen rhetorisch aufgestellt zu sein. „Mein Problem“, könnt ihr sagen. Und ihr habt Recht: Mein anerzogenes Zuhörverhalten war lange Zeit nur „mein Problem“. Dabei ist es das Problem von so vielen mehr.

Das System stellt Frauen gewollt stumm und lehrt Jungs reden

Meine “Leidensgenoss*innen” haben in weiten Teilen dieselben Floskeln der Erziehung mitbekommen: “Immer den Regeln folgen, denn dann gibt es Punkte. Ja nicht laut werden oder dazwischen plappern. Und nicht so schrill werden, Kleine.” Diese Floskeln wirken harmlos. Doch in Wahrheit halten sie ein System aufrecht, das Frauen* gewollt stumm stellt und Jungs reden lehrt.

Wie es dazu kam, dass ich meine persönliche Zuhörgeschichte rekapitulierte, ereignete sich so: Ein Dozent in einem meiner Seminare hat sich eine neue Methode ausgedacht, von der er sich erhoffte, dass sie die Diskussion ins Rollen bringt. Er stellte uns frei, ihn einfach zu unterbrechen, um Fragen zu stellen. Die gelbe Hand sollte umgangen und somit die Zoom-Regeln, die so viele Schritte vorgeben: Idee haben, Hand finden, anklicken, drangenommen werden, entmuten ohne vorher entmutet zu werden, Idee aussprechen, wieder stummstellen. Wie kompliziert. Neue Regel sollte sein: Einfach sprechen.

Aber so einfach ist das nicht. Die Einladung, die für alle gemeint war, wurde nicht von allen gehört. Denn so wie ich es gelernt habe, zuzuhören, wurde anderen beigebracht, zu sprechen. Die Einladung des Dozenten ging, und ich nehme nicht an, dass er das intendiert hatte, exklusiv an den Klub der cis-Männer. Da diese daran gewöhnt sind, gehört zu werden, sprechen sie auch, wie Wasserfälle und schrecken nicht einmal dann davor zurück, dazwischen zu grätschen, wenn es am wenigsten angebracht ist. Wie selbstverständlich wird ohne Umstände “ihre” Bühne annektiert.

Das Machtvakuum, das der Dozent kurzfristig freigegeben hat, wurde ohne Umwege vom Patriarchat übernommen. Die Idee des Dozenten, eine demokratische Diskussionsbasis zu erstellen, war nett gemeint. Wer aber denkt, Macht abzugeben, würde sie zerstören, ist naiv oder hat Foucault nicht gelesen oder beides – nichts davon ist per se schlimm, aber bei dieser Debatte ist es hilfreich, nicht naiv zu sein und Foucault heranzuziehen.

Die Position des Dozenten als Redeleiter hat eine Schlüsselfunktion inne: Im streng hierarchisch geregelten Raum der Universität kann er für einen fairen Diskussionsrahmen sorgen. Diese Festigkeit gilt es zu überwinden, aber nicht auf die Art, die versucht wurde. Wenn seine Position als Moderator wegfällt, bleiben als Entscheidungsfaktoren dafür, wer spricht, Dreistigkeit und eine laute Stimme – und eben diese Charaktereigenschaften wurden uns Frauen ausgeredet.

Unterdrückung drückt sich durch das Geschlecht aus

Unterdrückung setzt sich fort – wo vorher ein geregeltes Machtverhältnis zwischen Dozenten als lehrende Person gegenüber den Studierenden als Lernende bestand, drückt sich die Macht nun, in dieser scheinbar offeneren Welt, durch das Geschlecht aus.

Die Zoom-Hände werden auch von niemandem vermisst, scheint es – sie werden einfach ignoriert, der Raum ist doch offen und so bleiben die Hände von Studentinnen und queeren Personen oben, ohne dass sie etwas beitragen (können).

Dabei wäre es sicherlich mehr als notwendig, dass ein paar Student*innen etwas beitragen, denn die cis-Männer, die sich profilieren, sprechen nicht unbedingt, weil sie mehr Ahnung haben oder bessere Beiträge hätten. “I´m here just for the trolls”, sagte einer der cis-Kommilitonen. Lol rofl XD. Alle, die behaupten, dass cis-Männer sprechen, weil sie qualifizierter wären, „natürlicherweise“, sollen jetzt bitte einsehen, dass das Humbug ist.

Es ist nicht mal ansatzweise in Ordnung, dass “das eine” Geschlecht spricht und “das andere” schweigt. Die Macht, die sich in jeder Gruppe von Menschen auf die eine oder andere Weise darstellt, kann nicht einfach so durch das Wegdenken der gelben Hand verschwinden, das habe ich hoffentlich eindeutig bewiesen. Aber die Macht muss verschoben, verdreht und in Frage gestellt werden.

Vielleicht muss ich nicht laut werden und mit denselben Waffen schießen wie der cis-Männer-Klub. Vielleicht kann ich auch einen Artikel schreiben und ihn in der Unizeitung zu veröffentlichen. Vielleicht gelingt es mir zu zeigen, dass es auch leise geht, bedacht, höflich und wütend. All das schließt sich nicht aus. Lasst uns schreiend schweigen und die Macht verdrehen.