Die akademischen Ferien rücken näher und mit ihnen ein Rückblick auf die erste Hälfte des Präsenzsemesters. Hier berichten unsere Autor*innen, wie sie die Rückkehr auf den Campus der HU erlebten.
Zu spät
Vor Corona hatte ich das unauffällige Zu-spät-kommen schon fast optimiert. Tür öffnen und schließen hat kaum einer gehört. Die Schritte in die letzte Reihe waren fast so leise wie auf Socken. Die Jacke landete auf dem Weg quasi von alleine am Kleiderhaken.
Jetzt öffne ich vorsichtig die Tür zum Seminarraum und sehe erstmal gar nichts, weil meine Brille sofort beschlägt. Der Nebel lichtet sich. Alle Köpfe sind in meine Richtung gedreht. “Bitte füllen Sie diesen Zettel für die Anwesenheitsdokumentation zur Nachverfolgung möglicher Infektionsketten aus. Außerdem müsste ich einmal Ihren Impf- oder Testnachweis sehen.” Die Tür fällt von alleine zu.
Egal, wie leise ich in die letzte Reihe tapse. Egal, ob ich die Jacke auf dem Weg noch aufhänge, oder über die Rückenlehne lege. Unauffällig geht anders.
Fenja Severing
Kommunikation fehlgeschlagen
Nach so vielen Monaten der Online-Lehre hatten wir uns alle gefreut, die Uni wieder von innen zu sehen. Fast so aufgeregt wie vor Beginn des ersten Bachelorsemesters fühlte ich mich, wenn bei der Kursbuchung „Veranstaltungsformat : Präsenz“ angegeben war. Etwas resigniert haben wir „Online“ hingenommen – Zoom kennen wir – bei „Blended Course“ hingegen tauchte die ein oder andere Unsicherheit auf – was genau soll das denn jetzt sein?
Schließlich war der große Tag gekommen: Die Tore und Türen der HU öffneten sich wieder! Anfänglich waren die Flure des Institutgebäudes am Hegelplatz noch etwas leer, doch das änderte sich schnell im Laufe der ersten Woche. Mein Stundenplan gestaltete sich als eine Mischung aus Präsenz- und Online-Veranstaltungen, worüber ich auch ganz froh bin – schließlich muss ich mich doch erstmal wieder neu gewöhnen an die großen Hallen und die vielen Menschen…
Eine der im Vorlesungsverzeichnis als „Online“ gekennzeichneten Veranstaltungen ist ein Seminar über Gärten in der Englischen Literatur. Klingt spannend, dachte ich. Doch dass online nicht gleich Zoom bedeutet, wusste ich nicht. Mit Erstaunen musste ich feststellen, dass dieses Seminar ausschließlich über einen schriftlichen Austausch im Moodle-Forum stattfinden sollte und keine virtuellen oder realen Treffen beinhalten werde.
Vorher angekündigt – etwa im Vorlesungsverzeichnis – wurde das nicht. Schade finde ich, da ja nicht jede Form der Lehre für jede*n Studierende*n gleich gut funktioniert. Die Transparenz an dieser Stelle hat mir gefehlt. Mir wirft sich nun aber auch die Frage auf: Ist wirkliche Kommunikation in so einem Rahmen überhaupt möglich? Da zu Kommunikation viele Dinge gehören – und nicht nur ein anonymer Schriftaustausch – neige ich eher dazu, diese Frage zu verneinen.
Merle*
Warten auf Liebesbriefe von Agnes
Umso näher der Semesterbeginn rückte, umso öfter aktualisierte ich mein E-Mail-Postfach. Mit fiebriger Unruhe wartete ich auf gute Nachrichten von Agnes. In den letzten Monaten hatte ich ihre Launenhaftigkeit und unsere daraus resultierenden Probleme fast vergessen. Da traf es mich umso härter, dass sie mich dieses Semester nur zu einer einzigen Veranstaltung zugelassen hatte – und die noch dazu eine Online-Vorlesung war. Vergebene Liebesmüh war der Vormittag gewesen, den ich zwischen den Registerkarten des Vorlesungsverzeichnisses gestöbert hatte, um interessante Seminare und weniger interessante Back-ups rauszusuchen und sie in einen Stundenplan goss, der es mir ermöglichen sollte, nebenbei auch genügend Zeit für meinen Job zu haben. Vielleicht, denke ich mir jetzt, vielleicht gefiel Agnes auch diese Zweigleisigkeit nicht – denn auf der Arbeit komme ich mit Vivi einer anderen Software ziemlich nahe.
Aber sie hat es mir heimgezahlt. Anstatt also in der ersten Woche in den Genuss von Präsenz-Seminaren und sozialer Interaktion zu kommen, saß ich vor meinem Laptop und tippte E-Mails. E-Mails, in denen ich die Lehrenden darum anbettelte, doch noch an ihren Veranstaltungen teilnehmen zu dürfen. Viele zeigten zwar guten Willen, verwiesen in ihren Antworten aber darauf, dass ihnen selbst die Hände gebunden seien – denn während Agnes nur der Gatekeeper sei, habe das letzte Wort Corona. Und die gute Dame sorgte dafür, dass die Teilnehmerzahl von Präsenz-Seminaren diesen Herbst streng limitiert war.
Am Ende konnte ich nach dutzenden Mails hinter Agnes’ Rücken in vier weiteren Kursen einen der begehrten Plätze ergattern. Davon finden sogar zwei in Präsenz statt und einer als blended course. Warum die Platzvergabe trotzdem jedes Semester wieder an der Launenhaftigkeit der alten Dame hängen muss, nur damit sie mal um mal von Lehrenden und Studierenden hintergangen wird, darauf habe ich bisher noch keine Antwort in meinem Postfach gefunden.
Sarah Vojta
Der Herr Studiosus
Manchmal habe ich das Gefühl, die drei Semester Online-Lehre wären nur ein langer Traum gewesen. Jetzt stehe ich wieder vor dem prachtvollen Jurdidcum am Bebelplatz, wo ich als Erstsemester flanierte und erinnere mich daran, wie stolz auch war mich ,,Humboldtianer’’ nennen zu dürfen. Ist es eine Ewigkeit her oder war es erst gestern, dass ich zum ersten Mal am König-Friedrich-Standbild vorbeihetzte und das pappige Kartoffelgratin in der Mensa kostete?
Apropos Mensa: Universität würde nicht funktionieren ohne die unzähligen tüchtigen Helfer:innen, die diesen riesigen Apparat am Laufen halten. Früher bin ich jeden Tag im Grimm-Zentrum gewesen, jetzt freue ich mich über jeden Morgen, an dem ich wieder hier sein kann. Am Schönsten aber ist, dass ich selbst offenbar nicht ganz in Vergessenheit geraten bin. Als ich zum ersten Mal seit Jahren wieder viel zu spät am Abend an der Kaffeebar des Grimm-Zentrums vorbeischaue, grinst mich die Dame an der Kasse mit dem Hygienehütchen aus Papier an. Dann folgt wie aus der Pistole geschossen: ,,Wie imma eene Bockwurst für eens siebzich und n Kaffee für den Herrn Studiosus, wa?’’
Justus Jansen
Minimalprinzip: Mit möglichst wenig Aufwand viel rausholen
Wenn ich bedenke, dass ich vor meinem Bachelorabschluss bewusst zwei Wartesemester eingeplant hatte, in der Hoffnung, dass danach sicherlich die Normalität wieder einkehrt, war das hybride Semester wie ein Versöhnungsangebot – mehr aber nicht. Am Anfang war ich enttäuscht darüber, dass keine komplette Umstellung auf Präsenzlehre stattfinden konnte. Ich vermisste die Zeit, als ich mit meinem billigen Automatenkaffee mich morgens in die Seminarräume begeben und nach einem genuschelten “Guten Morgen” zu den Kommilitoninnen auf meinen Sitz fallen ließ. Ich vermisste auch die Diskussionen im Seminar, das gemeinsame Lästern über Dozent*innen und die lockere Atmosphäre am Campus. Zu dem Zeitpunkt hätte ich nicht ahnen können, wie wertvoll diese Banalitäten für mich sein würden und wie sehr ich mir irgendwann diese Zeit herbeisehnen würde, während ich auf die schwarzen Kacheln meines Displays starre.
ch hatte mich für fast jede einzelne Einführungsveranstaltung angemeldet, weil ich diesen Mal nicht nur in eine fremde Stadt ziehen, sondern auch an einer Uni studieren würde, an der ich niemanden kannte. An meiner alten Uni rieten die Dozenten uns dazu, möglichst schnell Anschluss zu finden, weil man zusammen weniger dumm sei. Dieser Anschluss fiel zwar in der ersten Woche weg, allerdings bildeten sich sehr schnell die ersten Whatsapp-Gruppen, wo Studierende ihre Verzweiflung kundtun und zusammen Fragen stellen und beantworten konnten.
Die ersten Breakout Sessions in Zoom Calls wurden anfangs hauptsächlich dazu genutzt, um einander bekannt zu werden und auch die Dozent*innen drückten ein Auge zu, wenn die Bearbeitung der Aufgabenstellungen deswegen etwas länger dauerte. Ich fand es besonders lobenswert, dass einige mit uns offen darüber verhandelten, ob Präsenz- oder Online-Veranstaltungen für uns in Frage kämen. So konnte ich in einer Veranstaltung nicht in Präsenz teilnehmen, weil mein Stundenplan an dem Tag lückenlos mit Veranstaltungen gefüllt war und ich allein für die Anfahrt zu der Uni mehr als eine halbe Stunde brauchte. Der Dozent bot mir daraufhin alternative Online-Termine an, um meine Teilnahme zu sichern.
Ich muss zugeben: Ich hatte anfangs ein sehr idealisiertes Bild von dem Universitätscampus. Schließlich war eine der beiden Humboldt-Brüder ein sehr bedeutender Bildungstheoretiker, dessen Schriften ich mehrmals in meinem Studium rezipieren durfte. Ich finde den Vorhof und Campus weiterhin sehr schön, und ansprechend, allerdings hatte ich nicht mit einer riesigen Baustelle gerechnet, die uns in den Präsenzseminaren das Durchlüften und die akustische Verständigung (die ohnehin schon durch FFP2 Masken erschwert wird) erschweren würde. Alles in allem hat mich das hybride Semester bis hierhin gelehrt, dass es okay ist, die eigenen Ansprüche an sich selbst zu reduzieren und auf Survival-Modus umzuschalten.
Natascha*
*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
Foto:Heike Zappe