„Niemand ist glücklich mit der Beiratslösung“

Die Entscheidung der HU, drei Islam-Verbände in das neue Institut für Islamische Theologie zu holen, die im Zusammenhang mit antidemokratischer Agitation und Antisemitismus stehen, stellt viele Beobachter*innen vor ein Rätsel. Gründungsdirektor Michael Borgolte gibt zu, dass auch er mit dieser Lösung unglücklich ist. Die aktuelle Ausgestaltung sei aber „unumgänglich“ gewesen

Jedes neu gegründete theologische Institut muss einen so offensichtlichen wie unvermeidbaren Widerspruch aushalten: Als universitäre Einrichtung ist es der Wissenschaft verpflichtet, als religiöse Dogmenschmiede kann es diese Verpflichtung nicht einlösen. Das Berliner Institut für Islamische Theologie (BIT), das zum Wintersemester 2019/2020 den Lehrbetrieb an der HU als eigenständiges Zentralinstitut erweitern soll, hat sich bereits vor seiner Eröffnung mit einem zweiten Widerspruch beladen, der, obwohl genauso offensichtlich, vielleicht nicht unvermeidlich war: Der Besetzung des religiösen Beirats, dem Kritiker*innen Antisemitismus und Verfassungsfeindschaft vorwerfen.

„Man lässt zu, dass zum Teil vom Verfassungsschutz beobachtete Verbände die Lehre an einer deutschen Hochschule mitbestimmen. Das ist an sich schon ein Skandal”,  so Seyran Ateş, BIT-Kritikerin und Initiatorin der Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die sich unter anderem um einen geschlechtergerechten Islam bemüht.

„Der Beirat und die Verbände bestimmen nicht die Lehrinhalte des Instituts, sondern das werden die Professorinnen und Professoren mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tun. Der Beirat hat zwar ein Zustimmungs-, aber kein Vetorecht”, erwidert Gründungsdirektor Michael Borgolte. Die erste Ausschreibung des Instituts, die Einrichtung einer Nachwuchsgruppe „Islam und Gesellschaft”, die sich Feldern wie sexueller Diversität oder Antisemitismus annehmen wolle, widerspreche der Annahme, dass die Verbände entsprechend negative Einflussnahme üben würden.

Das Institut ist von Anfang an Politikum

Seit Planungsbeginn ist die Debatte um Einrichtung, Ausgestaltung und Zielsetzung des Instituts für Islamische Theologie politisch aufgeladen. HU-Präsidentin Sabine Kunst erklärte bereits vor zwei Jahren, dass die „Einrichtung eines solchen Institutes für eine multikulturelle und multireligiöse Stadt wie Berlin notwendig” sei. Aus einem frühen Eckpunktepapier des Wissenschaftssenats geht hervor, dass das Berliner Institut, ähnlich der Funktion der zentralistisch organisierten katholischen Theologie, als Leuchtturm eines moderierenden, aufgeklärten Islams in Berlin und Deutschland dienen soll. Für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist das Institut von „hoher Priorität”, Institutsleiter Michael Borgolte ist eine „Theologie der Vielfalt“ wichtig, außerdem soll das neue Institut „politischen Bedürfnissen Rechnung [tragen] und in die Stadtgesellschaft ausstrahlen.“

Diesem Anspruch steht die Besetzung des Institutsbeirats diametral gegenüber, der durch sein Zustimmungsrecht bei der Professurenvergabe über einige Gestaltungsmacht verfügt und als religiöse Autorität am Institut eine der lautesten Stimme haben wird. Drei Islam-Verbände werden Vertreter*innen in den Beirat entsenden: der Zentralrat der Muslime in Deutschland, die Islamische Föderation Berlin und die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS).

Die IGS, die der iranischen Regierung nahesteht, nimmt seit Jahren an der Berliner Al-Quds-Demonstration teil, die jährlich gegen die jüdische Gemeinschaft und das Existenzrecht des israelischen Staates mobilisiert. Auf der Al-Quds-Demo werden Rufe wie „Zionisten ins Gas” skandiert; bisher findet der antisemitische Protestmarsch ungehindert statt. Die Islamische Gemeinschaft distanzierte sich auf Nachfrage des ehemaligen MdBs Volker Beck ausdrücklich nicht von der Demo. Die antisemitische Ausrichtung des IGS ist ohnehin kein Geheimnis: Die Bundesregierung schätzt IGS als „extremistisch beeinflusst” ein, Verflechtungen mit dem Revolutionsregime im Iran, der Ideologie von Ajatollah Chomeini oder antilaizistische Bestrebungen sind in öffentlichen Verfassungsschutzberichten nachzulesen.

Judenhass an der HU

Zusammen mit dem Zentralrat der Muslime in Deutschland steht die IGS mit dem Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) in Verbindung, das als Anti-Leuchtturm der Integration und Verfassungstreue in die Hamburger Stadtgesellschaft strahlt; laut Berichten der Hamburger Innenbehörden fördert das IZH den „Export der islamischen Revolution”. Besser steht es auch nicht um die Islamische Föderation Berlin, dem dritten Verband im Beirat, die als Dachverband der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) übergeordnet ist.

In einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Müller von Seyran Ateş hieß es dazu: „Die Juden – so die Millî Görüş-Ideologie – würden den ‘gottlosen Westen’ und den größten Teil der Welt beherrschen […] Man bedenke an dieser Stelle noch einmal, dass der Beirat des geplanten Instituts über die Einstellung von Lehrpersonal und Professuren entscheidet.”

Veto der Studierenden wird übergangen

Ateş Brief ist nur ein Beispiel für die überbordende Kritik, die dem Institutsbeirat in den vergangenen Monaten zuteilwurde. Universitätsleitung und Senat ließen allerdings nicht nur Kritik von außen außer Acht. Ein Statusgruppenveto der studentischen Vertreter*innen im Akademischen Senat wurde übergangen, zudem ignorierten Müller, Kunst und Gründungsdirektor Borgolte eine einstimmige Erklärung des Studierendenparlaments vom 2. Juli. Dort hieß es:  “Ein Institut, an dessen Gründung reaktionär-konservative Islamverbände beteiligt sind, in diesem Falle sogar ausschließlich, ist inakzeptabel”. Die Zusammensetzung des BIT-Beirats steht den Abgeordneten zufolge in direktem Widerspruch zum HU-Leitbild, in dem jede Form von Diskriminierung und Anti-Gleichstellung scharf verurteilt wird.

Widerspruch zum Leitbild der HU

Offener Judenhass, Beobachtung durch den Verfassungsschutz, einstimmige Verurteilung durch die Presse und in der verfassten Studierendenschaft – warum hat die Universität den Beirat in seiner aktuellen Zusammensetzung trotzdem durchgesetzt?

„Niemand ist glücklich mit der Beiratslösung”, gibt Michael Borgolte zu. „Der Wissenschaftsrat hat aber 2010 genau diese Lösung für unumgänglich gehalten, weil es eines Gremiums bedarf, das die verfassungsmäßig vorgeschriebene Selbstbestimmung der Glaubens- beziehungsweise Religionsgemeinschaften wahrnimmt”, so Borgolte weiter. Der Wissenschaftsrat soll Bund und Länder in hochschulpolitischen Fragen neutral beraten. Dort wurde unter anderem das Prinzip der Exzellenzinitiative entwickelt. Aus dessen „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen” von 2010 gehe Borgolte zufolge hervor, dass der Staat keine religiösen Lehrinhalte von sich aus dekretieren dürfe.

Wie also darüber entscheiden, welche Islamverbände im Beirat sitzen dürfen und welche nicht? Wenn der Staat keine Präferenz bei den religiösen Lehrinhalten zeigen darf, wird die Größe der Verbände zum alles entscheidenden Faktor: „Wenn man sich entschließt, eine möglichst große ‘Sozialmächtigkeit’ der Muslime im Beirat zur Geltung zu bringen, hat man rebus sic stantibus keine Wahl”, so Borgolte. Das sei der aktuelle Stand der verfassungsrechtlichen Diskussion. „Folgt man diesem Ansatz weiter, dann darf sich der Staat nicht die Verbände aussuchen, die ihm politisch oder lebensweltlich am sympathischsten sind, sondern muss nach dem Kriterium der Quantität entscheiden”, sagt Borgolte. Kopfstärkere Verbände müssten deshalb zuerst gefragt werden, ob sie sich beteiligen wollen. Verfassungsrechtlich unhaltbar wäre es demgegenüber, so Borgolte, einen Verband, der sechs Moscheen vertritt, einem anderen vorzuziehen, der mehrere hundert Mitglieder hat.

Quantität geht vor inhaltliche Ausrichtung

Doch selbst die mitgliedsstärksten Islamverbände in Deutschland können zahlentechnisch nicht als „Repräsentanten“ der deutschen Muslim*innen gelten.  „Es ist bekannt, dass alle Verbände zusammengenommen wohl nicht mehr als 25 Prozent der Muslime in Deutschland vertreten, jeder einzelne Verband entsprechend geringere Anteile. Es ist auch bekannt, dass die Verbände keine theologischen Einrichtungen sind, sondern Interessenvertretungen. Es gibt aber zu ihnen keine Alternativen”, sagt Borgolte.

Dieser Argumentation folgt auch der Landesverband des Zentralrats der Muslime, der größte Verband im Beirat. „Unsere Mitwirkung ergibt sich aus den Vorgaben unserer Verfassung und den Empfehlungen des Wissenschaftsrates“, so dessen Pressestelle. Es gehe bei der Rolle des Zentralrats nicht um Festlegung von Profilen oder Schwerpunkten des BIT, sondern ausschließlich um die Wahrung der Grundsätze, die die Verfassung vorgebe, so die Pressestelle.

Verfassung zwinge HU, schwere Hypotheken in Kauf zu nehmen

„Bei Abwägung der Konsequenzen bin ich dafür, die schweren Hypotheken, die ich und alle anderen auf universitärer Seite Beteiligten nicht verkennen, in Kauf zu nehmen, weil es meines Erachtens eine gesellschaftspolitisch überragende Aufgabe ist, die Ausbildung von Religionslehrpersonal und Imamen in Deutschland durch ein Studium an einer staatlichen deutschen Universität zu lenken und von Importen dieses Personals aus anderen Staaten unabhängig zu werden”, schließt Borgolte.

Inwiefern die Empfehlungen des Wissenschaftsrats die Entscheidung der Universität, mit dem Zentralrat der Muslime, der Islamischen Föderation sowie der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands drei Partner ins Boot zu holen, deren Namen in Verbindung mit dem Verfassungsschutz und antijüdischer Hetze stehen, hinreichend erklärt, bleibt unklar.

Viele Verbände wurden nicht gefragt

„Gerade Berlin hätte die Chance gehabt, den in unserer Stadt sichtbaren pluralen Islam im Beirat abzubilden, in dem sie auch andere Gemeinden eingeladen hätte. Die Verbände wollten auf keinen Fall einen pluraleren Beirat und haben daher durchgesetzt, dass viele muslimische Gemeinden gar nicht erst gefragt wurden”, sagt Seyran Ateş. „Sicherlich wird das Institut in die Stadtgesellschaft ausstrahlen, denn von dort werden viele innermuslimische Debatten begleitet und angestoßen werden. Die Frage ist nur, ob man es so positiv finden kann, wenn Inhalt und Agendasetting dieser Debatten aus dem Ausland gesteuert werden und wenn eine wirkliche demokratische Pluralität im Islam nicht zugelassen wird”, so Ateş.