In diesem Jahr wurden an der HU deutlich mehr Studierende zugelassen als in den vergangenen Jahren. Viele Seminare sind überbelegt, es fehlt an Personal. Besonders drastisch ist die Situation am Institut für Sozialwissenschaften. 

Die Tür des Seminarraums geht immer wieder auf, die Plätze an den Tischen sind bereits um kurz nach 14 Uhr überfüllt. Zwei Studierende tragen weitere Stühle aus anderen Räumen herein. Mehrere Leute sitzen auf dem Boden, einige lehnen stehend an der Wand. 170 Studierende haben sich für das Seminar „Politische Theorie des Klimawandels“ am Institut für Sozialwissenschaften angemeldet, 55 wurden bisher zugelassen. Der Raum ist für etwa 40 Leute ausgelegt. 

Fast eine Stunde dauert es, über Organisation und die Kursteilnahme zu sprechen. Immer wieder bitten einzelne Studierende darum, das Seminar besuchen zu dürfen, selbst wenn sie dafür keine Leistungen erbringen und keine Punkte erhalten. Sebastian Lange, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theorie der Politik und Leiter des Seminars, schüttelt den Kopf: „Es stehen hier 120 Leute auf der Nachrückerliste. Die müsste ich dann theoretisch alle teilnehmen lassen. Ihr seht ja selbst, dass dafür kein Platz ist.“ Das Thema des Seminars ist hochaktuell, dass der Titel viele Studierende anziehen würde, war zu erwarten. Doch die Problematik überbelegter Kurse ist am Institut nicht neu. 

Deutlich mehr Studierende als im letzten Jahr zugelassen  

„Ich weiß, dass das nicht Ihre Schuld ist“, meldet sich ein Student zu Wort. „Aber ich bin in diesem Semester für drei Seminare abgelehnt worden, letztes Jahr genauso. Das hindert halt einfach aktiv am Studieren.“ 

In diesem Jahr hat sich die Lage besonders verschärft, weil deutlich mehr Studierende aufgenommen wurden als in den Jahren zuvor. Am Institut für Sozialwissenschaften waren es zum Beginn des Wintersemester 240 Studierende im Vergleich zu 180 im letzten Jahr. Ein Grund, den die Leitung der HU bisher nicht bestätigt hat, könnte das frühere Versenden der Zulassungsbescheide sein. Bei einer Institutsratssitzung im Oktober erklärte Prof. Silvia von Steinsdorff, Leiterin des Lehrstuhls für vergleichende Demokratieforschung, dass bei der Versendung der Bescheide auf Basis von Erfahrungswerten der vergangenen Jahre miteinkalkuliert werde, dass eine gewisse Anzahl an Bewerber*innen die Zulassung nicht annimmt. In der Vergangenheit habe es Kritik daran gegeben, dass die Humboldt-Universität die Bescheide im Vergleich zu anderen Unis sehr spät verschickt. Möglicherweise habe das frühere Versenden nun dazu geführt, dass sich mehr Studierende als sonst für die HU entschieden haben. 

Noch keine finanziellen Mittel für Mehrarbeit

Das Problem überfüllter Seminarräume besteht auch in anderen Fakultäten. Ein Student der Philosophie erzählt, wie er in der ersten Woche in einem Seminar saß, zu dem 200 Leute gekommen waren – in einem Raum, der für 35 Personen ausgelegt sei: „Der Professor hat die Einführung dann in mehreren Etappen gemacht, sodass immer 30 Leute auf einmal reingelassen wurden. Total absurd.“ 

Am Institut für Sozialwissenschaften ist die Situation gerade in den Grundlagenkursen besonders problematisch. So saßen die Teilnehmer*innen der Statistik-Vorlesung in mehreren Reihen auf dem Boden. Innerhalb der ersten Oktoberwoche haben kurzfristig vier studentische Hilfskräfte von 40 auf 60 Stunden im Monat aufgestockt, um zwei EDV-Tutorien mehr anbieten zu können. Einige Studierende wurden dennoch für keinen der insgesamt zehn Kurse zugelassen und die vorhandenen 25 PCs reichen für die Anwesenden nach wie vor in keinem der Tutorien aus.

Für andere Veranstaltungen hingegen hat das Institut aus eigener Initiative kurzfristig Lehraufträge vergeben, um beispielsweise einen weiteren Grundkurs in „Soziologische Theorien“ anbieten zu können. Diese haben bisher noch keinen Arbeitsvertrag und keine zugesicherte Bezahlung, wie Kai Kappel, Studiendekan der Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät, auf Nachfrage der UnAuf gegenüber allerdings weder bestätigte noch dementierte, sondern lediglich zusicherte, dass sich das Dekanat „gemeinsam mit dem Institut und der Universitätsleitung intensiv um Lösungen bemühen“ würde. 

Erschwerte Bedingungen vor allem für Lehrbeauftragte

Mit der zunehmenden Anzahl an Studierenden steige aber auch der Arbeitsaufwand der bereits beschäftigten Dozentinnen und Dozenten am Institut, wie Sebastian Lange berichtet. Ein Lehrbeauftragter, der seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht nennen möchte, spricht von einem potentiellen „Fass ohne Boden“. In seinem Seminar haben sich ca. 80 Teilnehmer*innen angemeldet, deswegen habe er sich gezwungen gesehen, die Teilnahme an Bedingungen zu knüpfen – auch wenn er „jedes mögliche Kriterium für falsch“ halte. Der steigende Arbeitsaufwand sei auch deswegen ein Problem, weil er mit der Bezahlung in keinem Verhältnis stehe: „Wir Lehrbeauftragte arbeiten unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen“. 

Deren Bezahlung unterscheide sich deutlich von der der festangestellten Mitarbeiter*innen. Pro Semesterwochenstunde erhalte er 35€; für ein zweistündiges wöchentliches Seminar bedeute das eine Bezahlung von 70€, die Vor- und Nachbereitung, die Kommunikation mit Studierenden, Beratung, die Korrektur von Arbeitsleistungen und Organisatorisches beinhalte. Für Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung müsse er als Selbstständiger selbst aufkommen, ebenso für Steuerabgaben. Ansprüche auf Urlaub und Zahlungen im Krankheitsfall habe er keine: „Die miesen Bedingungen zwingen also dazu, ein rigideres Zeitmanagement zu verfolgen, als man es sich wünschen würde. Man wandert auf einem Grat: Ich habe Freude an der Lehre und möchte den Studierenden ein gutes Seminar ermöglichen. Gleichzeitig muss ich meine Ziele und meine Miete im Blick behalten“. 

Leitung der Universität in der Verantwortung

Dass das durch die erhöhte Anzahl an Studierenden entstandene Chaos einigermaßen eingedämmt und so kurzfristig Personal organisiert werden konnte, liege auch an der kollektiven Anstrengung des Sowi-Instituts, wie beim Treffen einer durch die Fachschaft spontan ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe zur Überbelegung hervorgehoben wurde. Dabei wurde auch kritisiert, dass hier eigentlich nicht das Institut, sondern vor allem die Leitung der Universität in der Verantwortung stehe, die Qualität der Lehre auch bei steigender Studierendenzahl zu sichern. Finanzielle Mittel seien immer wieder zugesichert worden, aber getan habe sich bisher nichts. Die Fachschaft möchte daher die kommenden Wochen weiter Druck ausüben und das Thema beispielsweise bei der Versammlung der Fachschaftsräteinitiativen am Mittwoch ansprechen.