Im digitalen Universum glitzert ein letzter seidener Faden, der mich vor dem Abreißen bewahrt. Er markiert die metaphysische Grenze zwischen Weltschmerz und feministischer Scheinutopie.

Mein Handy hat keine Hülle. Nachdem alle seine Vorgänger schwere Glasbrüche erlitten haben, habe ich aufgegeben, es mit Sorgsamkeit zu behandeln. Ich habe es zu einem zerkratzten, leblosen Metallding verkommen lassen, das Musik abspielt und mir den Weg durch Berlin weist, wenn mich meine Orientierung gnadenlos im Stich lässt. 

Instagram beraubt mich meiner Gleichgültigkeit: Mehrmals täglich verfalle ich seinen berauschenden Dopaminkicks, die mich mit gedankenausgesaugter Leere und ein wenig Reue zurücklassen. Ich schwanke auf ewig zwischen App deinstallieren und mich im zeitlosen Raum der Storys und Reels auflösen. Das Metaversum verspricht Grenzenlosigkeit – unendlich viel Platz für Kreativität, aber eben auch Gedankenmüll, Selbstdarstellung und Hass. 

Die Vorstellung einer virtuellen Welterweiterung schien wenig verlockend, als eine Freundin mir von einem neuen sozialen Netzwerk erzählte.
„Kennst du schon die neue Twitter-App von Instagram? ‘Threads’ heißt die“ – ein ziemlich ungnädiger Name für deutschsprachige Münder – ich verweigerte den Download vehement. „Doch, wirklich, hol sie dir, alle sind da so lieb und nennen sich die ganze Zeit ‚Mausi‘!“ 

Ein kleiner Traum formt sich: Flucht vor den schweren politischen Themen meiner feministischen Instagram Bubble, in eine noch kleinere, noch kurzweiligere und ungefilterte neue Echokammer… ewig auf der Suche nach digitalem Frieden, wenn er in der echten Welt schon nicht zu finden ist.

Ja ja, ich weiß, gegen Rechtsruck und Hass hilft, wenn überhaupt, konstruktives Diskutieren, aber ganz ehrlich, das ist manchmal zu anstrengend. Im Gegensatz dazu scheint es wunderbar einfach einen Threads-Account zu erstellen. Den muss ich nur kurz mit Instagram verknüpfen, bevor ich wieder aufs Neue versuche eine virtuelle Kommune ohne all die bereits bestehenden online-Halbbekanntschaften aufzubauen, ummeinem Handy neuen Sinn zu verleihen. So wie es die Funktion “Enge Freunde” auf Instagram tun sollte. Oder “Be Real”. Beide Konzepte haben versagt, aber diesmal klappt es bestimmt. Solange sich nur alle wie versprochen “Mausi” nennen. 

Ich lese so viele satirische Threads über “Menners”, dass ich diese neu etablierte Bezeichnung für “Männer” sogar einmal in meine Hausarbeit einschleuse. Eine popkulturelle Perle für meinen Professor, die es mir wert ist, dem akademischen Perfektionismus zuwider zu handeln.
Alles fühlt sich gemeinschaftlich an, meine Freundinnen (hier ausdrücklich nur in weiblicher Form) und ich wabern in derselben Filterblase. Sie ist nicht unpolitisch, ganz im Gegenteil, sie ist gelebte Utopie: konsensualer intersektionaler Feminismus, alle vegan, alle gegen rechts. Perfekt umgesetzt in Abwesenheit kontroverser Gegenmeinungen, die wir hier auch gar nicht wollen. Den sich anbahnenden inneren Konflikt ebenso wenig. Wie passt es zusammen, die Wirkweise von Filterbubbles als diskursverunstaltend zu kritisieren und sich gleichzeitig in Threads zu flüchten? 

Ganz einfach: Wir brauchen einen Comic Relief für unsere weltschmerzgeplagten Seelen. Das wahrgenommene Leid auf der ganzen Welt überrollt uns. Wir verlieren die Orientierung im Meer aus Eindrücken und Information über immer neue Krisen, die ineinandergreifen und Überforderung garantieren. Threads nimmt unseren Problemen durch satirische Kommentare über Sexismuserfahrung im Alltag und eigene Unsicherheiten die Schwere. Sie werden ohne Skrupel geteilt, ohne den Zwang einer besseren Scheinversion seiner Selbst entsprechen zu müssen. Es gibt noch keine sozialen Spielregeln, die bestimmen, was vermeintlich cool ist oder wie ein schillerndes Leben in Berlin auszusehen hat. Die Reduktion aller Sorgen des Alltags auf Ironie und metaphysische Materie scheint eine lohnenswerte Fluchtstrategie zu sein – für ein paar Gedanken so tun, als wäre alles mausig.


Collage: Felicitas Hock