Ich habe zwei große Leidenschaften: Männer und Feminismus. In den letzten zwei Jahren habe ich meine beiden liebsten Freizeitbeschäftigungen in einer Art Feldstudie vereint, mich mit 21 Männern getroffen und irgendwann endlich aufgehört, mich kleiner zu machen, als ich bin.

Das war’s mit Dating. Durch dieses ganze Nachdenken über Genderrollen kann ich vor lauter Wald die einzelnen Bäume gar nicht mehr erkennen: Ich sehe keine individuellen, sondern in allem nur noch strukturelle Dynamiken. Ist das lediglich eine Charaktereigenschaft, die mir an meinem Gegenüber nicht gefällt, oder ist das toxisch-männliches Verhalten? Darf ich als Feministin überhaupt auf die großen, lustigen, erfolgreichen Alpha-Typen stehen? Was bin wirklich ich, wo versuche ich, einem internalisierten Weiblichkeitskonzept zu entsprechen? Wo sträube ich mich gegen diese normative Rolle und verhalte mich bewusst kontra-intuitiv? Mir raucht der Kopf. Also habe ich Tinder gelöscht. Das war’s mit Dating.

Leider hat mir das Universum jemanden quasi in den Schoß gelegt. Leo* und ich haben uns ganz zufällig im echten Leben kennengelernt.

Leos Lebensrealität ist eine ganz andere als meine. Er ist acht Jahre älter als ich und das Gegenteil eines Digital-Natives. Den Begriff Feminismus findet er abschreckend, er zahlt gerne beim Date und erklärt mit auch mal das ein oder andere. Die Kolumne findet er zwar spannend, versteht den Knackpunkt aber nicht. Den inneren Widerspruch zwischen sexistischer Sozialisierung und dem, wie ich mich eigentlich verhalten will, kann er nicht nachvollziehen. Denn Leo selbst entspricht genau der heteronormativen Rolle, die das Patriarchat für ihn vorgesehen hat.

Mit Leo ist mir direkt aufgefallen, dass ich gar nicht erst darüber nachdenke, wie viel ich einfordern kann, wie wütend ich werden darf, wie oft ich schreiben kann, wie viel Raum mir zusteht. Während der inneren Konflikt zwischen internalisierten Rollenbildern und feministischer Selbstermächtigung sonst mein Dating bestimmt, sagt Leo: „Ich weiß gar nicht, was du hast. Du bist gar nicht so dominant, wie du immer denkst. Du bist ganz normal.“ Und ich frage mich, ob das etwas ist, worüber ich mich freuen kann.

Denn nun stellt sich natürlich die Frage, ob es de facto keine Rollen zwischen uns gibt, oder ob diese so eindeutig festgelegt sind, dass wir nicht daran rütteln können, egal, wie weit ich meine mich von der mir vorgeschriebenen Rolle zu entfernen. Allein durch den Altersunterschied fühle ich mich in gewissen Hinsichten unterlegen und muss mich anders als sonst nicht damit auseinandersetzen, ob ich zu viel, sondern ob ich genug für jemanden bin. Und direkt ist da diese Stimme in meinem Kopf, die schreit, dass mir das nicht gefallen darf, weil das verinnerlichter Sexismus ist. Direkt antwortet eine andere Stimme, dass es im selben Zug doch aber auch misogyn ist, wenn ich mich so vehement gegen alles in mir wehre, das zart und süß ist. Ich drehe mich im Kreis.

Ich will normative Genderrollen nicht mehr mein Dating bestimmen lassen und genau deshalb kommen wir hier nicht weiter. Wir müssen uns bewusst werden, dass und wie sexistische Stereotype uns in der Art, wie wir daten, einschränken. Gesellschaftlicher Wandel kann aber nur bedingt entstehen, wenn wir sie immer weiter betonen. Feministisches Dating ohne Einflüsse heteronormative Binaritäten funktioniert nur, wenn wir die sexistische Stereotype wirklich hinter uns lassen. Es ist deshalb egal, ob und inwiefern wir in unserer Beziehung normative Rollen einnehmen, solange sie uns nicht daran hindern, all unsere Facetten, die lauten, die ruhigen, die aktiven, die toughen, die sanften, und die wütenden, rauszulassen.

Wahrscheinlich ist der Schlüssel zu feministischem Dating ganz einfach: Alles ist erlaubt.


*Name von der Redaktion geändert

Illustration von Isabelle Aust

Alle Texte der Kolumne Tinder vs. Feminismus lest ihr hier.