In der Schaubühne am Lehniner Platz wird seit dem 18.11.2021 das Stück ,,Eurotrash‘‘ gespielt. Dabei verarbeitet Regisseur Jan Bosse den gleichnamigen Romanstoff von Christian Kracht. Doch sind die Schuhe des Bestseller-Romans zu groß für Bosse. Warum das Bühnenbild das am Ehesten nennenswerte an der Inszenierung ist, lest ihr in der dieswöchigen Kulturkolumne.

Es ist die alte Geschichte vom Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, die hier erzählt wird. Wie so oft getan in der Weltliteratur, hat sich Christian Kracht hier an einem eigentlich schon auserzählten Stoff bedient. Nun wird das Spektakel auch noch für das Theater inszeniert und das Schaubühnen-Publikum wird Augenzeuge eines Prozess, der zu schnell und zu gewollt von Statten geht. Es ist einfach nicht gesund, wenn jeder Roman gleich auf die Bühne geschmissen wird. Hier greift nämlich ein Irrglaube um sich, der besagt, dass alles, was auf den Bestseller-Listen hoch im Kurs steht, auch auf den Theaterbühnen gut funktioniert. Diesem Irrglaube ist wohl auch Regisseur Bosse erlegen.

Doch worum geht es eigentlich? Nun, es ist im Allgemeinen ein tief gestörtes Mutter-Sohn-Verhältnis, das auf einer letzten gemeinsamen Reise nochmal detailreich ausgekostet wird. Das Abbild von Autor Christian Kracht, der Protagonist Christian besucht seine Mutter in Zürich, die in einer hoffnungslos verdreckten Villa mit Seeblick wohnt. Diese Mutter ernährt sich zwar von Wodka, billigen Weißwein und Tabletten, dafür hat sie aber eine Menge Geld. Dieses Geld wird flugs eingepackt, beide fahren durch die Schweiz und besuchen eine Esoterik-Nazi-Kommune genauso wie ein angeblich legendäres Forellenrestaurant. Am Ende geht es noch bergwärts, wo die Mutter Edelweiß pflücken möchte und schlussendlich schließt sich der Kreis in der Nervenheilanstalt Winterthur.

Bedeutungsvoll ist daran wenig, eine Botschaft gibt es nicht – jedenfalls ist sie nicht ersichtlich. Lustig sind einzig die Momente, wenn der Sohn den künstlichen Darmausgang der Mutter wechseln muss, mit letzterem herum jongliert, ins Taumeln gerät und der kotgefüllte Plastikbeutel an seinem Öko-Strickpulli haften bleibt. Leider verkommt die Tragik der Geschichte dabei immer wieder zum Slapstick und alles scheint mehr wie ein billiger Mr. Bean-Verschnitt. Bei einer ,,letzten Reise‘‘ (so wird es auf dem Programmzettel angekündigt) müssten sich neben einigen vergnüglichen Gegebenheiten auch Momente der gemeinsamen Rückschau, der Annäherung, der tiefen Gespräche und der Ehrlichkeit ergeben. Doch davon gibt es reichlich wenig an diesem Abend. Ein Großvater, der ein ranghoher Nazi war, Mutter und Sohn beide Opfer von sexueller Gewalt – das wäre genügend Stoff für mehr. Das Stück aber endet damit, dass Protagonist Christian seiner Mutter einen Flug nach Afrika vorgaukelt, sie aber in die Nervenklinik überstellt. Die Mutter verabschiedet sich mit den Worten ,,Ich gehe jetzt zu den Zebras‘‘, worauf sich die hintere Wand des Bühnenraums öffnet und Schauspielerin Angelika Winkler durch eine geöffnete Tür auf den nachtleeren Kurfürstendamm stolpert. Was will Regisseur Jan Bosse mit diesem Abgang sagen? Nicht die einzige Frage, die an diesem Abend offen bleibt.

Spannungslos und inhaltsleer? 

Krachts Verweise auf sich selbst sind bei allem wohl eine falsche Fährte, was besonders dann deutlich wird, wenn Hauptdarsteller Joachim Meyerhoff lustig durch verschiedene Kostümierungen wechselt, bei denen er mal wie der originale Kracht und mal wie eine schräge Kunstfigur im hellblauen Anzug aussieht. Meyerhoffs Spiel ist dabei durchaus schillernd. Er agiert wendig und bringt das Publikum immer wieder zum Schmunzeln – ja, hin und wieder ist es sogar ein Lachen, das er dem Schaubühnen-Publikum entlockt, was bei der flachen Geschichte einzig seiner Schauspielkunst zuzurechnen ist und eine große Leistung in sich darstellt. Im Großen und Ganzen wirkt die Rolle aber auf ganz absonderliche Weise leer und so präsent Meyerhoff auch ist, so sehr er sich aufspielt und seinem exaltierten Spiel freien Lauf lässt – es wirkt doch wie der Versuch ein Schloss auf Sand zu bauen. Folglich ein guter Schauspieler in einer schlechten Rolle.

Ähnliches ist auch bei Winkler zu beobachten, die Christians Mutter verkörpert. Diese Rolle ist so angelegt, dass Winkler ihre Fähigkeiten in der Rolle schlichtweg nicht entfalten kann. Wer diese Grande Dame der Bühne nun kennt, leidet den ganzen Abend mit ihr mit – es ist wie ein Schmetterling, der nicht aus seinem Kokon darf. Ja, die Rolle der Mutter scheint mehr wie eine Märchenhexe, immer schlecht gelaunt, einfach böse und fies. Dabei ist doch das Böse immer dort interessant, wo es menschelt, wo man sich auf grausame Weise gemeint fühlt, wo man mitfühlt mit einer Person, mit der man nicht mitfühlen möchte. Aber das gelingt hier in keinem Moment. Überhaupt hängt alles tragisch in der Luft. Man sucht verzweifelt nach dem doppelten Boden, nach der Ironie, nach dem Witz. Zu finden ist davon nichts. Wird das Publikum hier zum Narren gehalten oder handelt es sich einfach um ein schlechtes Stück?

Lichtblick des Abends ist einzig das Bühnenbild von Stéphane Laimé. Er komponiert einebrutalistisch-puristische Szenerie mit steingrauer Rückwand und zwei Bodenplatten, die im Verlaufe des Stückes auseinandergeschoben werden. Dass aus dem entstandenen Loch eine seetüchtige Segelyacht herausfährt, auf der Winkler und Meyerhoff hin und wieder

Christian (Joachim Meyerhoff) und seine Mutter (Angelika Winkler) begeben sich auf ihrer letzten gemeinsamen Reise. Foto: Fabian Schellhorn

herumturnen, hat seinen ganz eigenen Reiz – insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Stück in der Schweiz spielt. Ein Land, das nicht in erster Linie für seine florierende Binnenschifffahrt bekannt ist. Vielleicht ist die Enge der Schweiz und die Unmöglichkeit, mit einem Boot von dort zu fliehen, eine Metapher für die Enge der Familie, die in Eurotrash beschrieben wird? Wenn ja ist es ein sehr eindimensionaler Vergleich und dabei der einzige im ganzen Werk.

Hier wird also ein spannungsloses und inhaltsleeres Stück von großen Schauspieler*innen in einem intelligenten Bühnenbild gezeigt. Man ist gezwungen sich zu fragen, wer auf die Idee kam den Bestseller-Roman so breitzutreten und zu malträtieren. Die Intendanz der Schaubühne hätte die Kräfte, die in die Einstudierung dieses Werkes geflossen sind, besser anderweitig einsetzen können – damit hätte man Schauspielern wie dem Publikum einiges erspart. Ja, das Buch ,,Eurotrash‘‘ ist einfach besser für das Bücherregal als für die Bühne geeignet. Am Ende hat es Falk Schreiber in seiner Kritik auf nachtkritik.de herrlich auf die Formel ,,Mutter ist schuld‘‘ heruntergebrochen. Mehr wird nicht gesagt. Und das ist leider viel zu wenig.


Das Stück ,,Eurotrash‘‘ wird an der Schaubühne noch am 20., 21., 23., 24. sowie am 27., 29. und 30.01.2021 gespielt. Für diese Aufführungen sind keine Karten mehr zu haben. Ob in den folgenden Monaten noch Vorstellungen anstehen, erfahrt ihr unter hier.

Foto: Fabian Schellhorn