Wohin bewegt sich eine Gesellschaft der im Zuge der Digitalisierung die Arbeit ausgeht? Das fragt sich im Theaterdiscounter Georg Scharegg und ruft in seinem neuen Stück die „Kulturrevolution“ aus.
Wir sind Zeuge einer Beerdigung. Inmitten der Klosterruine, unweit des Alexanderplatzes, verhallt das Gedenken an die Heroen der spätkapitalistischen Gesellschaft. Wir verabschieden die Industriearbeiter, die Pflegekräfte, den Transportsektor, die Mediziner und Anwälte, die Kreativen, die Medienschaffenden, die Ingenieure und Architekten, Bäcker und Einzelhändler, ja selbst die Programmierer.
Die Liste ließe sich ewig fortsetzen. Das tut an diesem Abend zum Glück niemand aus der fünf-köpfigen Schauspielertruppe. Obwohl sich berechtigterweise die Frage aufdrängt, ob nicht eine Berufsgruppe vergessen wurde. Wie eine Beerdigung den Übergang von der immanenten Welt in eine nächste, ungewisse markiert, stehen auch diese Gesellschaft und damit jeder einzelne am Scheidepunkt.
Die Digitalisierung und Automatisierung aller Erwerbsarbeit erzwingt grundlegende Umwälzungen. Die Zeit der Erwerbsarbeit, wie wir sie kannten, ist bald vorbei, ersetzt durch Maschinen und Roboter. Das ist die Prämisse des Stücks Kulturrevolution des Schweizer Regisseurs Georg Scharegg, das er im Theaterdiscounter aufführt.
Aufruf zur Kulturrevolution
Ist das ein Grund für Trauer? Nein denken sich Scharegg und sein Ensemble. Nachdem die letzte Messe gelesen ist, herrscht plötzlich Begeisterung und Aufbruchsstimmung. Das Ensemble zieht, samt Zuschauer vor das eigentliche Theater. Im wahrsten Sinne des Wortes kräftig auf die Pauke hauend, zelebriert sich lautstark die Utopie. Sie tanzt, singt und brüllt. Die Freiheit von der Erwerbsarbeit ist die Freiheit zur Entfaltung jedes einzelnen, lautet ihr Versprechen.
Der Zug endet im eigentlichen Zuschauerraum des Theaters. Dort bietet sich ein Moment der Entspannung. Das Bühnenbild verwandelt sich in eine Sauna. Hier rasten die Götter der digitalen Welt. Information, Fake-News, Shitstorm und Leistung lauten ihre Namen. Schon bald entzündet sich ein Wettstreit unter ihnen, welche Göttin die Schönste sei. Sie werben um die Gunst des Publikums, verlocken es mit Hoffnungen auf das ewige Leben, mit der Verwirklichung individueller Freiheit und gesellschaftlicher Emanzipation. Erst die Trojaner im System ruinieren die schöne Fassade. Dahinter entblößt sich eine orientierungslose und sinnsuchsende Menschheit zwischen Aufbegehren und Zweifel. Nur der Wille, dass alles anders sein müsste, bleibt.
Tanz und Trommeln im Theaterdiscounter
Ein engagiertes Ensemble leitet souverän durch diesen Abend. Mit minimalen Mitteln werden plakative Bilder auf die Bühne gebracht. Perfekt werden die Örtlichkeiten des Theaterdiscounters ausgenutzt um das Publikum in die Inszenierung einzubinden. Die Ortswechsel, die Aufforderungen zu tanzen und zu klatschen, die Gleichsetzung des Publikums mit Paris, der ein Urteil über die schönste Göttin zu fällen hat, animieren den Zuschauer sich als Subjekt des Geschehens zu begreifen.
Das große Problem des Stückes ist indes seine Ausgangsthese einer Gesellschaft ohne Arbeit. Bekanntlich gehen die Einschätzungen diesbezüglich weit auseinander. Beschwören die einen Stimmen massenhafte Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit Arbeit neu zu denken, halten sich andere bedeckt angesichts solcher Prognosen. Neigt man der zweiten Fraktion zu, bleibt einem der Pathos der Aufführung fremd. Die Skepsis überwiegt. Das liegt auch daran, dass der Begriff Kulturrevolution trotz seines historischen Beigeschmacks nicht thematisiert wird. Hat man von der Hoffnung eines Lebens, gewidmet der Kunst, in Einklang mit Natur und Mensch längst nicht oft genug gehört? Mit welchen Folgen? So bemüht sich Kulturrevolution zwar um Subversion, aber nicht um neue Erkenntnis.
Kulturrevolution, 01., 02.Oktober, 20:00, im Theaterdiscounter, theaterdiscounter.de