Ein Wochenende beim Pornfilmfestival Berlin (PFF): Der Film „House of Whoreship“ verbindet die Auswahl der „Lesbian Drama Shorts“ und „Sex Work Shorts“ aus dem Kurzfilmprogramm der 18. Ausgabe des PFF. Eine Kinoerfahrung der besonderen Art.

Ein Raum im schummrigen Licht, knallrote und pinke Farben zwischen dunklen Tönen. An den Wänden hängen Plakate, auf denen Analketten, Dildos, Vibratoren, Butt Plugs und Peitschen abgebildet sind, auf einem Tresen liegen Werbekarten für handgemachte Strap-Ons, auf einer Bank wurden Aufkleber mit dem Schriftzug „What is sex?“ ausgelegt.
Nein, es handelt sich hier nicht um einen  Laden für Sex Toys, sondern um die Lounge des Moviemento Kinos in Kreuzberg. Ein kleines, sympathisches Kino, das dieses Jahr wieder eine der Spielstätten des Pornfilmfestivals (PFF) war und wo am Samstag die Lesbian Drama Shorts und am Sonntag die Sex Work Shorts aus dem Kurzfilmprogramm liefen.

Saal 1, dunkelblaue Wände, hellblaue Decke, rote und ausgeblichene Samtsitze. Um 12:15 Uhr wurden die Lesbian Drama Shorts gezeigt. Menschen kamen alleine oder mit Freund*innen ins Kino, eine gesprächige und ausgelassene Stimmung füllte den ausverkauften Saal. Ich saß in der mittleren Reihe und fühlte mich erstaunlich wohl. Der Gedanke, mitten am Tag ins Kino zu gehen, um Pornos zu schauen, hatte verlockend geklungen und mich doch zunächst eingeschüchtert. Aber als ich dann gesehen hatte, dass Paulita Pappel im Kuratorium des Festivals war, wirkte ihre Anwesenheit wie eine Bestätigung, auf jeden Fall hinzugehen. Paulita Pappel ist Produzentin, Autorin, Regisseurin, Performerin und Sexarbeiterin. Sie leitet Workshops zu den Themen Inklusion und ethische Produktionen und ist Intimitätskoordinatorin für Mainstream-Filmproduktionen. In den letzten Jahren wurde sie zu einer gefragten Person für Interviews über feministische Pornos. Und Paulita hat mich nicht im Stich gelassen: Das PFF war großartig! Auch wenn es der Name des Festivals anders vermuten lässt, wurden hier nicht nur Pornos im Sinne expliziter Sexszenen gezeigt. Insgesamt bietet das PFF eine vielfältige Auswahl an Filmen zu den Themen Sexualität, Politik, Feminismus, Genderdiversität, Post-Porn und Bodypolitics. Hier wird klar, dass Pornos viel mehr können, als uns einfach nur geil zu machen.

Popcorn ohne Cockporn: Lesbische Leidenschaft im Kino

Die Kurzfilmauswahl Lesbian Drama Shorts beginnt mit dem Film Summer Night’s Fantasy (Guby Moon, Spanien, 2022). Ungefähr 1.000 handgefertigte Zeichnungen wurden in einer Collage aus Musik, Hintergrundbildern und poetischer Sprache zusammengesetzt. Der zweite Film Stalking Athens (Officer Flower, DE/GR, 2023) zeigt ein lesbisches Sexabenteuer in einem verlassenen und verwucherten Stadion in Griechenland. Eine sportliche Leistung der anderen Art lässt den Ort mit neuer Energie aufleben. Wenn die Choreografin Pina Bausch Pornos gedreht hätte, dann sähen sie vermutlich so aus wie dieser Film. In PDV (POV) (Hedonistas, AR, 2023) wird Masturbation trotz räumlicher Distanz zum gemeinsamen Erlebnis. Goudou Auto (Julie Folly, CH, 2022) ist ein Roadtrip à la Arthouse mit sehr geilem Anfang, saftigen Orangen beim Picknick – „I think I found a piece of orange in my vagina.“ – und einer wunderschönen Bondage-Szene im Grünen. Für A flor de Piel (NL, 2022) setzte Andor Polgar 1.000 analoge Fotografien wie ein Daumenkino zusammen. Der Film zeigt lesbischen kinky Sex, ein Doppeldildo, aus dem Sperma in Form von Blütenblättern kommt und Kondome als (un-)praktische Blumenvasen. Der letzte Film namens Uma paciência selvagem me trouxe até aqui (A wild patience has taken me here) (Éri Sarmet, BR, 2021) charakterisiert zwei Generationen von Lesben als politische Botschaft. Die vermeintlichen Gegensätze Alter und Jugend, Vorsicht und Unbeschwertheit, Skepsis und Naivität, Eingrenzung und Freiheit werden zunächst durch klischeehafte Bilder verdeutlicht: Die alte Lesbe, die alleine ist, Motorrad fährt, eine Katze hat und abgebrüht wirkt, lernt eine Gruppe junger, queerer Menschen kennen, die polyamor leben, Party machen und sich mit Leichtigkeit auf der Straße selbstbewusst positionieren. Doch die dahinter stehenden Unterschiede verschwimmen spätestens dann, als sich alle zusammen in leidenschaftlichem Sex vereinen. In einem Küchengespräch über die Möglichkeiten der jungen Generation sagt die Motorradlesbe: „In my days this wasn’t possible“, worauf eine Person der jungen Gruppe fragt: „Aren’t these your days too?“. Der Film macht ebenfalls deutlich, dass trotz wichtiger und positiver Veränderungen sexistische und anti-feministische Gewalt immer noch den Alltag vieler Menschen bestimmen.

“Money. Comes. Easy. To me.” Die Sex Work Shorts

Blowjob ohne Kondom? Natürlich nicht. Periode und Sex? Mit einem Menstruationsschwamm kein Problem. Die Dusche putzen, wenn der Kunde gegangen ist? Muss halt gemacht werden. Herzschmerz, weil die Ex zur selben Zeit im Bordell Schicht hat? Ganz doll! Der Schwamm rutscht zu weit hoch, steckt fest, der Kunde wartet, die einzige Person, die gerade helfen kann, ist deine Ex? Ah, fuck it! Eine Schicht im Bordell der Sexarbeiterin Violet ist Schauplatz von House of Whoreship (Holly Bates, AU, 2022). „Money. Comes. Easy. To me.“, sagt sich Violet selbst, als sie im Auto sitzt, in den Spiegel schaut und die Schicht noch vor sich hat. Doch “easy” wird die Schicht nicht. Der Film ermöglicht einen intimen und humorvollen Einblick in den Alltag eines Bordells. Ebenso konnte er die Kurzfilmauswahl aus Lesbian Drama Shorts und Sex Work Shorts verbinden, da House of Whoreship in beiden Programmen lief. Die Regisseurin Holly Bates drehte den Film als Abschlussarbeit ihres Masters “Film & Television”. Da fiktive Inhalte über Sexarbeit selten von Sexarbeiter*innen geschrieben und gedreht werden, möchte sie mit House of Whoreship die individuelle Realität von Sexarbeit zeigen und eine authentische Repräsentation ihrer Erfahrungen als Heilungsprozess darlegen, wie sie im anschließenden Q&A erzählte.

Ein wunderschöner Film ist L’Ethique (Matock, FR, 2023). Darin wird ein Gespräch zwischen zwei Männern inszeniert. Der Film ist eine philosophische Hommage an Sexualität, Zärtlichkeit und Verletzlichkeit. Metaphorische Momentaufnahmen und ein berührender erotischer Tanz der beiden charakterisieren den Film. LaMetro und Lomo Manias entwerfen Manifiesto Zorripio (Skunk Manifiesto) (SP, 2023) als starkes Statement gegen die Diskriminierung und Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen in Spanien. Tricks for gold (Frida Giulia Franceschini, Sophie Vitelli, DE, 2022) thematsiert die Webcam-Sexarbeit in mehreren, mit Computer-animierten Räumen.

Der Film Irresistible (Barbora Kleinhamplová, MEX, 2021) bleibt zum einen durch seine Zitat-würdigen Aussagen im Kopf. „Under capitalism all of us sell our bodies one or the other way.“ Oder: „I am a vehicle to transform the energy of our collective trauma.“. Zum anderen durch die bildgewaltige Inszenierung von Dominatrix Mistress Velvet. They zeigt, dass BDSM ein Teil dekolonialer Prozesse und auch Aktivismus sein kann. Rassistische oder unreflektierte Zitate der Weißen Kunden werden zwischendurch eingesprochen. „So I make them read black feminism.“, sagt Mistress Velvet daraufhin. Irresistible, der letzte Film der Sex Work Shorts, wurde unfreiwillig zum Gedenken an Mistress Velvet, they starb kurz nach Erscheinen des Films im Alter von 33 Jahren.

Yes, gib’s mir! Online geht es weiter

Es ist unglaublich wertvoll, ein kuratiertes Programm zu diesen Themen besuchen zu können. Wie bei einem multiplen Orgasmus oder einer Orgie, findet beim PFF alles gleichzeitig statt: Inspiration, Aufklärung, Information, Unterhaltung, Berührung, Identifikation. Porno ist ein Genre, welches viele Funktionen übernehmen kann und ebenso wertgeschätzt werden sollte wie andere Genres. Die Vorfreude aufs nächste Jahr kann noch bis zum 15. November 2023 durch das Online-Angebot des PFF gesteigert werden. Dort gibt es zum Beispiel die Fun Porn Shorts und die Queer Porn Shorts zu sehen.


Bild: Amelie Gante