Der Dokumentarfilm „The other side of the river” erzählt die Geschichte der 19-jährigen Hala, die, um einer arrangierten Ehe zu entfliehen, aus ihrer syrischen Heimatstadt Minbij in die autonomen kurdischen Gebiete Rojava ging und sich dort einer Frauenverteidigungseinheit anschloss. 

Die ersten Minuten des Films zeigen eine vorbeiziehende Straße und es fühlt sich so an, als würde man zusammen mit der Kamerafrau Antonia Kilian nach Rojava reisen. Ergänzend erzählt Kilian von der Befreiung Minbijs vom IS durch die militärischen Kräfte von Rojava. Damit war Minbij die erste Stadt außerhalb der autonomen kurdischen Gebiete, die befreit wurde.

In Rojava lernt Antonia Kilian Hala auf dem Gelände einer Frauenverteidigungseinheit kennen. In ihrem ersten Gespräch erklärt Hala eindrücklich, dass es ihr Ziel sei, alle Frauen zu befreien. Dies ist der Auftakt der Geschichte einer Frau, die fest entschlossen ist, aus der patriarchalen Unterdrückung auszubrechen und Freiheit zu erlangen. Dabei gerät ihr durchsetzungsfähiger Charakter immer wieder in Konflikt mit ihren Eltern und ihrer Schwester Sosa, die sich eigentlich auch der Frauenbewegung verschrieben hat, sich aber irgendwann verliebt und in ihr Elternhaus zurückkehrt.

In Rojava werden die Frauen militärisch ausgebildet und erlernen in Seminaren feministisches Gedankengut wie zum Beispiel: „Männer wissen: Stehen Frauen auf ihren eigenen Füßen, werden sie die Welt drastisch verändern“. Was den Film, unter anderem, so besonders und die Lebensrealität dieser Frauen so greifbar macht, sind die Geschichten, die sie erzählen. Hala berichtet davon, wie ihr Vater sie an seinen Arbeitskollegen verheiraten und „wie einen Gegenstand“ verkaufen wollte oder wie eine Frau gesteinigt und der Prozess durch die Nutzung kleinerer Steine auf barbarische Weise in die Länge gezogen wurde. Man spürt Halas Wut und die der anderen. Der Film macht deutlich: Feminismus lässt sich nicht durch „andere Länder, andere Sitten“ einschränken, diese Frauen haben denselben Wunsch, wie alle anderen Frauen auf der Welt – eine Entscheidungsfreiheit über ihr Leben zu haben.

Rückkehr nach Minbij

​Nach ihrem Abschluss der Akademie kehrt Hala nach Minbij zurück und zieht mit Sosa in die örtliche Polizeistation, in der die beiden Schwestern nun arbeiten und zunächst auch leben. Kilian fängt in diesem Teil des Films ein, wie Hala anhand ihrer erlernten Fähigkeiten in der Ausbildung, nun anderen Frauen in Minbij hilft. So machen sich die Frauen der Polizeiwache zum Beispiel bewaffnet auf den Weg, um einen Mann festzunehmen, der seiner Frau gedroht haben soll, sie mit einem Messer zu töten. Auf die Frage eines Polizisten, ob er sie nicht doch lieber begleiten solle, antwortet Hala: „Nein, nicht nötig!“.

Kilian schafft es mit der Frauenverteidigungseinheit in Rojava und der Polizeiwache in Minbij Orte einzufangen, an denen Hala zumindest scheinbar die Kontrolle besitzt. Sequenzen, die in Halas Elternhaus aufgenommen wurden, vermitteln ein anderes Bild. Hier ist sie der Übermacht ihrer Eltern und vor allem der ihres Vaters ausgeliefert. Sie ist zwar immer noch die Feministin, die sie auch in der Polizeiwache oder in Rojava war, jedoch tritt nun ihr Unwohlsein inmitten ihrer Familie und nicht mehr ihre hoffnungsvolle, starke Art in den Vordergrund. Hala hat keine Kontrolle mehr. Im Gegensatz zu den restlichen Orten, an denen der Film spielt, wird hier nicht mehr Halas Welt der Hoffnung gezeigt, sondern eine Welt, in der es keinen Platz für feministisches Gedankengut und die Entscheidungsfreiheit einer Frau gibt.

Als der Abspann beginnt, sind Halas Gefühle meine Gefühle und vor allem ihre Wut meine Wut.


Foto: Greenlit Productions