Die Risiken, in Einsamkeit zu geraten, haben sich mit den gegenwärtigen Entwicklungen verschoben. Aus den vielschichtigen Wechselwirkungen und (Langzeit-)Folgen der Covid-Pandemie, des Klimawandels und der Kriege erwächst eine fatalistische Grundstimmung. Anlass, um über Gründe und Wege aus einem einsamen Dasein zu reflektieren.

Welche vielfältigen Formen Einsamkeit annehmen kann, scheint gerade zu Beginn eines Studiums noch weit außerhalb des “Beschäftigungsradars”. Erst einmal ist alles neu: Geräusche, Gedanken, Gespräche. Allmählich legt sich die Aufregung und man findet sich allein unter vielen. So jedenfalls ergeht es zunehmend mehr jungen Menschen bis zum Abschluss ihrer akademischen Laufbahn, der Zäsur und Beginn eines neuen Lebensabschnittes markiert. Unbestritten läutet die Aufnahme eines Studiums für viele junge Menschen einen neuen und speziellen Lebensabschnitt ein, in dem man insbesondere die vielen Facetten von Autonomie kennenlernt. Gleichzeitig ist die Studienzeit unter allen Lebensphasen wohl eine der größeren Projektionsflächen für fantastische Erwartungen, Wünsche und Ziele. Das gilt im Besonderen für Berlin, dessen Image als „Partyhauptstadt Europas“ jeder Erfahrung der individuellen Lebensrealität vorauseilt. Dass zwischen vorgestellter und tatsächlicher Geborgenheit und Vernetzung in der Studienzeit eine reißende Schlucht klafft, zeigte unter anderem eine Erhebung im Auftrag der TK aus dem Juli 2023, nach der es Studierenden nach der Pandemie noch schlechter geht als vorher.

Der Käfer im Raum und wie er dort hinkam

Was in der “alten Heimat” an sozialem Umfeld, in Kindergarten, Schule und Vereinen irgendwie „von selbst mit der Zeit“ gewachsen zu sein schien, zerstreut sich. Das mag vor allem für zugezogene Studierende gelten, aber auch für Berliner*innen, die das erste Mal in ihrem Leben von zu Hause ausziehen. Und vielleicht muss man etwas schockiert feststellen, dass man als junger Erwachsener irgendwie nochmal ganz neu lernen muss, Freundschaften zu gründen. Dabei sei die Kunst des Dechiffrierens der sich auftuenden Vielfalt und Diffizilität sozialer Beziehungsformen nicht unterschätzt. Kommiliton*in, Freund*in, Kolleg*in, Mitbewohner*in, Lerngruppenmitglied, Saufkumpan*in, sympathisches Gesicht auf dem Flur zum nächsten Kurs: Welche Nähe und Rolle räume ich einer Person in meinem Leben ein? Wie viel Eigeninitiative ist gefragt und ab wann wirke ich aufdringlich, gar verzweifelt?

Neben all diesen Fragen, die an sich schon ein eigenes Studium wert wären, versucht man seinen Rhythmus zu finden. Da wäre zunächst der schnöde, zeitintensive Haushalt. Man knobelt über Waschmaschinenanleitungen und Versicherungen, man seufzt über seine unerfüllten Einrichtungsvorstellungen des 600 Euro WG-Zimmers, man fragt sich, wie der Kühlschrank zu Hause immer voll sein konnte und wundert sich, wie sehr man sich auf einmal nach Lebensmitteln sehnt, die man zuvor verpönte. Jenes omnipräsente Gefühl, als würde bei jedem Schritt vor die Tür im Hinterkopf eine Kosten-Nutzen-Kalkulation mitlaufen, kann man auch in Zahlen nachverfolgen: Ende August 2023 liegt die Inflationsrate laut Statistischem Bundesamt bei 6,1 Prozent, der Verbraucherpreis Nahrungsmittel bei 7,5% – mehr als doppelt so hoch wie noch 2021. Parallel dazu werden BAföG-Zahlungen im Haushaltsentwurf der Ampelregierung für 2024 gekürzt, obwohl jetzt schon ein Drittel der Studierenden in Deutschland als armutsgefährdet gilt. Die Teuerung der Lebenshaltung hat gravierende Folgen für Studierende, denn die Partizipation am gesellschaftlichen Miteinander fußt zu bedeutendem Anteil auf Konsum. So zum Beispiel die Bartouren der Einführungswochen, die wichtige erste Begegnungen ermöglichen können. Denn was man sich neben dem Bier vor allem einkauft, ist Ambiente beziehungsweise eine angenehme Kennenlernatmosphäre. Aber kann man sich das noch leisten? Spätestens, wenn Einladungen abgesagt werden, weil kein Gastgeschenk im Budget ist, macht man Bekanntschaft mit sozialer Isolation aufgrund ökonomischen Prekariats. Vorausgesetzt man wird überhaupt eingeladen. Manchmal führt schlicht der Verzicht auf Alkohol und Zigaretten dazu, sich abgehängt zu fühlen.

Andere Wege in die Einsamkeit bahnen sich zum Beispiel über Leistungsdruck an. Der Unialltag beginnt, ein Sturm an Informationen fegt über einen hinweg und es fehlt jeglicher Vergleichsrahmen. Manche geraten an diesem Punkt in eine Einsamkeitsfalle. Mit Versagens-, Prüfungs-, Karriereängsten steigt das Stresslevel. Mit erhöhtem Stress treten vermehrt Schlaf-, Konzentrations- und Hautprobleme auf, was wiederum nach sich ziehen kann, dass Ausgehen zur Überwindung wird. Vielleicht spielt man auf einmal mit dem Gedanken, sich durch Drogenkonsum Erleichterung verschaffen zu können. Ritalin, um länger lernen zu können, Cannabis zum Runterkommen und vieles mehr. In zwei von drei Fällen geht chronische Einsamkeit Substanzkonsum voraus. Laut einer Studie der Charité aus dem Jahr 2019 konsumieren Berliner Studis außerdem doppelt so viel wie der deutsche Bundesdurchschnitt der 18- bis 25-Jährigen. Obwohl das erhöhte Konsumverhalten in Berlin zu Teilen auf das Partyimage zurückzuführen sein dürfte, ist es nicht abwegig davon auszugehen, dass auch Einsamkeit hier eine Rolle spielen kann. Expert*innen sprechen in diesem Zusammenhang von “Komorbidität” – einer Anfälligkeit für Begleiterkrankungen, besonders wenn Einsamkeit bereits chronisch geworden ist.

Es gibt viele weitere Gründe und Kausalverkettungen, die zu Einsamkeit führen können. Am Ende ist sie schließlich als ein gesellschaftliches wie auch als Individualphänomen zu würdigen und kann uns alle zu jeder Zeit – sogar unabhängig von der Größe des Freundes- und Bekanntenkreises – ereilen. Doch ganz gleich, in welcher Form und Intensität man Einsamkeit als Phänomen unter die Lupe nimmt: Es gibt viele Angebote und Möglichkeiten für Studierende, sich aus einer unbefriedigend empfundenen Lage zu befreien.

Wege aus dem Kellerloch?

1. Mensen sind nicht nur preislich die beste Alternative zu selbst zubereiteten Mahlzeiten, sondern auch ideale Orte, um Menschen unterschiedlicher Fachrichtungen und Altersgruppen zu treffen: gewissermaßen die inoffizielle „Universitätssportart“ schlechthin.

2. Der Hochschulsport bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die mentale und körperliche    Gesundheit zu fördern. Von Yoga über Tanzen bis hin zu Ballsportarten, Reiten,        n Schwimmen, Fitness und Kampfsport bietet das Sportprogramm der HU vergünstigte  Kurse  für verschiedene Leistungsniveaus an.

3. Lern- und Interessengruppen sind eine großartige Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen. Ob es um Hochschulpolitik, Literaturclubs, Kunstkollektive, Sprachkurse, Chöre oder die Mitarbeit an der Unizeitung geht, es gibt Gruppen für fast jedes Interessengebiet. Wenn regelmäßige Treffen in festen Gruppen nicht dein Ding sind, bieten von Studierenden betriebene Instituts-Cafés flexible Begegnungsmöglichkeiten. Wenn du Religiosität im Studium Raum geben möchtest, gibt es regelmäßig stattfindende Unigottesdienste.

4. Die meisten Institute und Lehrstühle, wie zum Beispiel Geschichte, organisieren eigene Veranstaltungen wie Feiern, Exkursionen, Mentoring-Programme, Vortragsreihen oder Kolloquien. Du kannst die Mailinglisten deines Instituts abonnieren und das schwarze Brett nutzen, um über aktuelle Ereignisse auf dem Laufenden zu bleiben. Hier findest du auch Ausschreibungen für HiWi-Jobs, die nicht nur ein kleines Einkommen bieten, sondern auch Einblicke in spezifische Forschungsbereiche und universitäre Arbeitsweisen ermöglichen.

5. Es gibt kostenlose soziale Dienste und psychologische Beratungsmöglichkeiten, die über die Hochschule hinausgehen. Neben den psychologischen Beratungsdiensten der Hochschulen, die online oder persönlich verfügbar sind, gibt es eine Vielzahl von externen Angeboten, wie zum Beispiel U25, nebenan.de und Mehrgenerationenhäuser. Es ist jedoch bemerkenswert, dass sich die Initiative gegen Einsamkeit des Bundesfamilienministeriums von Lisa Paus bisher hauptsächlich auf die ältere Bevölkerungsgruppe konzentriert. Ein nationales Ministerium gegen Einsamkeit, wie es in Großbritannien existiert, ist in Deutschland bisher nicht in Sicht.


Collage: Laura Brauer