Jahrelang haben Aktivist*innen für die Umbenennung der Berliner Mohrenstraße (nachfolgend M-Straße) und anderer Orte in der Hauptstadt gekämpft. Nach einem Sommer hitziger und teils gewalttätiger Proteste fallen plötzlich alte Barrieren – und junge Schwarze in Deutschland sehen neue Möglichkeiten, sich in die Debatte einzubringen.
Berlin, U-Bahnhof M-straße, Ecke Wilhelmstraße zwischen Finanzministerium und dem Kult-Supermarkt Hit Ullrich. Nur wer genauer hinsieht, entdeckt die Spuren, die Wochen des Protests an der Station hinterlassen haben: Ein dunkler Rußfleck auf dem Berliner U-Bahn-Blau, die Fetzen abgerissener Plakate, auf denen gerade noch das Wort „Rassismus“ zu erkennen ist. Im Vorbeigehen lässt sich allenfalls erahnen, dass diese Station im Mittelpunkt der Debatte um Kolonialgeschichte und Alltagsrassismus steht, die im Nachgang der gewalttätigen Massenproteste nach dem gewaltsamen Tod George Floyds in den USA auch hierzulande entbrannt ist.
Weil „Kammermohr“ früher eine Bezeichnung für schwarze Sklaven in Deutschland war, ist der Name „Mohrenstraße“ in Aktivistenkreisen schon lange umstritten. Trotzdem haben BVG und Bezirksverwaltung lange keinen Anlass gesehen, den Stations- oder Straßennamen zu ändern. Viele Anwohner können die Aufregung nicht nachvollziehen: „Ich wohne hier seit 30 Jahren, und habe da kein Problem mit“, sagt eine ältere Dame mit blondierten Haaren, die ihren Namen lieber für sich behalten möchte.
Aber hinter den Kulissen ist etwas ins Rutschen geraten. Nachdem die BVG die Station zunächst schnellschussartig und in Reaktion auf die Berliner Black Lives Matter-Proteste nach dem russisch-deutschen Komponisten und Namensgeber der angrenzenden Straße Glinkastraße in „U-Bahnhof Glinkastraße“ umbenennen wollte, der unter Antisemitismusverdacht steht, hat jetzt neben der BVG auch die Lokalpolitik Bereitschaft signalisiert, Station und Straße umzubenennen. Spitzenkandidat für die Umbenennung ist der schwarze Philosoph Anton Wilhelm Amo, der im Kindesalter als Sklave nach Deutschland verschleppt wurde.
Dafür, dass jetzt Anton Wilhelm Amo und doch nicht die angrenzende Glinka-Straße Patron für die Umbenennung sein soll, setzen sich Berliner Aktivist*innen seit über einem Jahrzehnt ein. „Wir kämpfen schon lange dafür, dass die Station und die Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt werden.“ Das sagt Mnayka Sururu Mboro, Rentner, der seit 2007 dem Vereinsvorstand von Berlin Postkolonial angehört, den er selbst mitbegründet hat. Der Name Amos steht für Mboro für die Möglichkeit, die problematische Geschichte der M-straße nicht unter den Teppich zu kehren und dabei trotzdem sensibel zu sein für bislang marginalisierte Repräsentationsbedürfnisse: „Es geht uns nicht darum, die Geschichte auslöschen, sondern neue Geschichten aufzeigen und bei Umbenennungen an die Kolonialgeschichte von Orten anzuknüpfen“, sagt er.
Stadtgeschichte ist Kolonialgeschichte
Die Entscheidung der BVG, die Station im Zuge der Proteste in Glinkastraße umbenennen zu wollen, hat Mboro als respektlos empfunden: „Ich interpretiere das so, dass dort die Meinung vorherrscht: Was die Schwarzen wollen, interessiert uns nicht. Es scheint so, als nähmen sie uns noch immer nicht ernst, als respektierten sie uns bis heute nicht“, sagt Mboro. Doch plötzlich lassen sich Positionen wie die Mboros in der öffentlichen Debatte nicht mehr ignorieren. Seit dem gescheiterten BVG-Vorstoß Mitte Juli setzen sich die Sozialdemokrat*innen und Grünen in Mitte für eine Umbenennung von Station und Straße gemäß dem Amo-Vorschlag ein.
Es ist so, als ob die Krise in den USA einen Knoten gelöst hätte, an dessen Auflösung viele Aktivisten jahrelang gescheitert waren. Ganz unvermittelt, so scheint es, gelten die Bedenken nicht mehr, die lange gegen die Neubenennung von Straßen und das Abräumen von Denkmälern vorgebracht worden sind. Dass es in Mitte bald eine Amo-Straße geben könnte, scheint jetzt zum Greifen nahe zu sein.
„Wenn Sie mich vor einem halben Jahr gefragt hätten, hätte ich gesagt, das wird noch lange dauern“, sagt Tahir Della, Pressesprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. Jetzt rechnet er mit einer Umbenennung der M- in Anton-Wilhelm-Amo-Straße vielleicht noch in diesem Jahr. Verantwortlich für diesen Dammbruch macht Della auch die weltweiten Anti-Rassismus-Proteste, die in den USA ihren Ursprung haben. „Mit den Protesten treten nun endlich die Perspektiven der Betroffenen in den Vordergrund“, sagt er. Deswegen würden nun viele Dinge, die vormals als unproblematisch galten, einer breiteren Öffentlichkeit in ihrem rassistischen Gehalt bekannt.
„Man hat momentan die Chance, etwas zu verändern”
„Ich hoffe, dass die BVG jetzt mit uns, anderen Initiativen und dem Bezirk ins Gespräch kommt. Straße und U-Bahnhof sollen unbedingt in Anton-Wilhelm-Amo-Straße unbenannt werden. Das knüpft auch an an die Idee, aus dem U-Bahnhof einen Lernort zu machen, an dem die Geschichte von Kolonialismus und Versklavung in Deutschland verhandelt wird“, sagt Della.
Der Durchbruch im Fall M-Straße ist aber nur einer von vielen Steinen, der weitere Steine ins Rollen gebracht hat. Dafür steht die Petition zur Umbenennung des U-Bahnhofs Onkel Toms Hütte und der gleichnamigen Onkel-Tom-Straße in Dahlem, die der Berliner Profi-Basketballer Moses Pölking Mitte Juli gestartet hat. Der bald zweihundert Jahre alte Roman „Onkel Toms Hütte“ bedient rassistische Stereotype. Pölking schlägt vor, an der Station stattdessen beispielsweise schwarze Bürgerrechtler zu ehren. „Der Erfolg nach jahrelangem Kampf um die Mohrenstraße hat mich inspiriert“, sagt der Zweiundzwanzigjährige: „Man hat momentan die Chance, etwas zu verändern.“