Die Briefe beginnen meist mit einem zärtlichen “Lieber Adili…” und enden mit einem treuen “Heil Hitler!”. Ist es Wahn? Paranoia? Liebe? Viele Fragen wirft die ca. 90-minütige szenische Lesung “Liebesbriefe an Adolf Hitler. Briefe in den Tod” auf. Vom 28.11. bis zum 01.12.2013 erzählten jeden Abend acht Schauspielerinnen in der Brotfabrik im Prenzlauer Berg eine genauso triviale wie verstörende Facette der nationalsozialistischen Geschichte.

Die Produktion des teAtrumVII unter der Regie von Sascha Weipert inszeniert Liebesbriefe, die 1946 von einem amerikanischen Soldaten in der Reichskanzlei Berlin entdeckt wurden. Sie bieten Material für ein Theaterstück, in dem die Darstellerinnen auf spielerische sowie auf musikalisch künstlerische Weise die perversen Auswüchse der nationalsozialistischen Ideologie aus ungewohnter Perspektive beleuchten.

Es ist die Geschichte von deutschen Frauen aus einfachen Lebenswirklichkeiten, die mal häufiger, mal seltener Liebesbriefe an den “Führer”, an Adolf Hitler, schreiben. Thematisch drehen sich die Briefe um die alltäglichen Gefühle, den deutschen Krieg – und natürlich um Hitler. Praktische Probleme stehen im Vordergrund: Immer wieder taucht die Frage auf, warum Hitler nicht antwortet. Oder: Eine Frau entschuldigt sich, weil sie zu wenig Geld für ein Bahnticket nach Berlin hat, wo sie ihren Verehrer treffen wollte. Wieder eine andere hadert mit sich selbst, verliert sich in Versagensängsten und endet in hilfloser Verzweiflung. Die Frauen wollen unterhalten, sind gutgläubig und hoffnungsvoll. Ihre Briefe sind ideologisch aufgeladen, teilweise widersprüchlich und naiv. Im Laufe des Krieges werden die Darstellungen immer pessimistischer, bis sie schließlich teils aus Frust und Resignation, teils aus geschichtlicher Notwendigkeit aufhören. Die Briefe machen dabei die Diskrepanz zwischen der eigenen Contenance und der hemmungslosen Hingabe, der kindlichen Naivität und der ernsthaften inneren Zerrissenheit, schließlich zwischen der ehrlichen Zuneigung und dem selbstverneinenden Fanatismus deutlich.

Die ganz in schwarz gekleideten und stets anonym bleibenden Absenderinnen lesen die Briefe allerdings nicht einfach vor. Musikalische Einlagen – a cappella sowie Klavierstücke – und vielfältige Bühnenkonstellationen sorgen für Abwechslung. An vielen Stellen wird an den Duktus der nationalsozialistischen Lebensweise erinnert: Harte Gesichtsausdrücke, scharfe Befehle und aufrechter Gleichschritt geben einen Eindruck davon, wie das Militär nahezu alle Lebensbereiche durchzog.

Schwächen hat die Inszenierung vor allem in der Zuordnung von Raum, Zeit und handelnden Personen. An vielen Stellen ist nicht offensichtlich, wer gerade welchen Brief vorliest. Der pausenlose Wechsel der Reden, die vielen zeitlichen Daten und ständigen Zwischeneinlagen lassen den roten Faden manchmal verblassen. Oft werden bewusst Spielräume zur eigenen Interpretation gelassen, jedoch führt das in einigen Fällen zu offenen und daher ungeklärten Fragen beim Zuschauer.

Dennoch wird die Inszenierung ihrem Ziel letztlich gerecht. Sie provoziert bewusst, ohne dabei zu übertreiben, und regt somit zum Nachdenken an. Die große Frage, was diese Frauen dazu treibt, nächtelang und bis zu körperlichen Schmerzen einen aussichtslosen Kampf mit sich selbst, ihrer Umgebung und ihrem Glauben zu führen, wird ins Licht gerückt und vielfach erörtert. Insbesondere Susana Abdulmajid, Sophie Altmann und Michaela Menda überzeugen und schaffen eine intime Atmosphäre jugendlicher Liebe im ständigen Wechsel mit blinder Unterwerfung. Die Szene, in der Abdulmajid ihre sexuelle Erregung zum Höhepunkt steigert, bildet die dramaturgische Spitze der Inszenierung. Die Selbstbefriedrigung bringt eindrucksvoll auf den Punkt, dass es den Verehrerinnen bei der ganzen Hysterie um Hitler letztlich um sie selbst geht. Alix Dudel und Verena Berger überzeugen mit ihrer Erfahrung und geben dem Stück die nötige Fülle und Tiefe. So entsteht ein stimmiges Gesamtbild, welches an einigen Stellen eine klare Kontextualisierung der Szenen vermissen lässt, dafür aber umso mehr Expressivität und Gefühle produziert.

Die Grenze zwischen geistiger Verwirrtheit und rationalem Handeln wird bewusst verwischt. Oftmals weiß man als Zuschauer nicht, ob man wirklich mitfühlen soll, wenn Vorstellungen ins Absurde gesteigert werden. Man ist irritiert, wenn der Irrtum und die Verfehlung so offensichtlich sind, stattdessen aber blinde Hingabe jegliches Urteilsvermögen erlahmen lässt. Dass uns dies aus heutiger Sicht so fern und weltfremd vorkommt, sollte uns eine Warnung sein. Politische Ideologien hören beim Privatleben nicht auf. Im Gegenteil: Sie können selbst die Liebe zu Wahn und Paranoia werden lassen – und dabei jegliche Selbstreflexion vernichten.

 

“Liebesbriefe an Adolf Hitler. Briefe in den Tod”

28.11.-01.12.2013

Brotfabrik

Caligariplatz 1

Berlin-Weißensee

teAtrumVII

Regie: Sascha Weipert

Darstellerinnen: Alix Dudel, Anna Luise Villinger, Anna Hofbauer, Michaela Menda, Ria Schindler, Sophie Altmann, Susana Abdulmajid, Verena Berger