„Immer wenn ich sage, was ich denke, ist schlechte Stimmung.”

Der österreichische Kabarettist, Autor, Schauspieler und neuerdings auch Regisseur Josef Hader feiert im diesjährigen Berlinale Wettbewerb mit „Wilde Maus“ sein Regiedebüt.

Er selbst spielt die Hauptrolle Georg Endl. Eines Tages verliert der anerkannte Musikjournalist einer Wiener Tageszeitung seinen Job und sein ganzes Leben gerät plötzlich aus den Fugen.

Mit der UnAuf sprach Josef Hader über seine Studienzeit, Leidenschaften, die Komik und den Wahnsinn in die „Wilde Maus“.

UnAuf: Herr Hader, Sie haben Germanistik und Geschichte auf Lehramt studiert. Was verbinden Sie mit Ihrer Studienzeit?

Josef Hader: Das war hochspannend. Ich bin ja vorher in einer Kleinstadt zur Schule gegangen, auf einem Bauernhof aufgewachsen. Uni bedeutete Großstadt und Abenteuer. Ich hab die ersten Jahre tagsüber recht flott studiert und abends bin ich bis in die Nachtstunden unterwegs gewesen. Im Theater oder in Konzerten und danach in irgendwelchen Kneipen. Studieren hat mich begeistert.

Was genau?

Ich war begeistert von manchen Professoren und mir stand es damals frei, bei wem ich studierte, also suchte ich mir die Dozenten aus, die mich interessierten.

Wen haben Sie zu der Zeit am liebsten gelesen?

Kleist und Musil. Mein Lieblingsautor ist allerdings Flaubert. Vor allem weil ich das Historische daran so interessant finde. In L‘Education sentimentale kommt ein junger Mensch nach Paris und erlebt die Revolution von 1848. Mit Flaubert konnte ich meine beiden Leidenschaften, nämlich Literatur und Geschichte verbinden. Außerdem schreibt Flaubert so sinnlich, als würde man einen Film anschauen.

Sie wollten wirklich Lehrer werden?

Ja, ich wollte so ein richtig cooler Lehrer werden, der spannenden Unterricht macht.

Sie haben ihr Studium abgebrochen und wurden nicht Lehrer, sondern Kabarettist, Schauspieler und Regisseur.

Heute stehe ich auch vor Publikum. Der Vorteil ist, dass sie jetzt Eintritt dafür zahlen und freiwillig hier sind, das ist natürlich ein besseres Publikum als in der Schule.

Ihr Regiedebüt „Wilde Maus“ ist auf der Berlinale jetzt schon ein Publikumserfolg. Haben Sie das erwartet?

Ich fühle mich derzeit ein bisschen überschätzt. Es ist mein erster Film und ich möchte noch viel lernen, aber ich nehme das jetzt mal so wie es kommt.

Sie sind überrascht? Der Film läuft schließlich im Wettbewerb.

Wettbewerb ist eben ein bisschen hoch gegriffen. Ich weiß nicht, ob der Film den Journalisten oder der Jury gefällt. Aber vielleicht sind wir im Wettbewerb als Pausenclown engagiert, damit sich alle dazwischen mal ein wenig entspannen können.

Wir können Sie beruhigen. In der Pressevorführung wurde viel gelacht. Warum ist der Film eigentlich lustig?

Das müsste ich eigentlich euch fragen. Ich weiß das gar nicht so genau (lacht). Ich denke ja nicht über meinen Humor nach. Ich weiß nur, was rauskommt ist immer halb tragisch und halb komisch. Das ist wahrscheinlich so, weil ich die Welt so empfinde.

Woran denken Sie denn beim Schreiben?

Das ist ein sehr intuitiver Vorgang, nichts, was ich kontrollieren kann. Ich sitze dann da und schreibe erst mal für mich. Peinlicherweise lache ich dabei häufig, ich bin sozusagen mein erstes Publikum. Aber das ist dann auch das erste und letzte Mal, dass ich darüber lache.

Der Humor im Film ist also ihr Humor?

Schon. Es ist etwas, das nie aus einem witzigen Dialog kommt, sondern aus einer Situation. Wenn die Tragik in das Komische kippt oder das Komische in die Tragik. Das sind vielleicht die zwei Urkräfte, die uns im Leben begleiten.

Ihre Hauptfigur Georg Endl hält diese Spannung irgendwann nicht mehr aus und dreht durch. Warum?

Naja, er ist einer dieser narzisstisch veranlagten Männer, die ja derzeit höchste Staatsämter bekleiden und die berufliche Misserfolge nur sehr schwer verkraften können. Seine Karriere ist so stark mit seinem Selbstwertgefühl verbunden, dass er das Gefühl hat, ein Teil seines Lebens geht kaputt, wenn er arbeitslos wird.

Georg Endl ist Musikkritiker für eine Zeitung und wird von einem auf den anderen Tag entlassen.

Ein Teil seiner Person geht damit zugrunde. Dazu kommt noch, dass er insgesamt als Mann infrage steht, weil er ja seit einiger Zeit seiner Frau ein Kind machen soll und das funktioniert auch nicht.

Georg erzählt seiner Frau nicht, dass er seinen Job verloren hat.

Das ist gar nicht so selten. Männer funktionieren da nicht wie Frauen, die über Probleme meistens reden wollen. Männer neigen dazu, das in sich zu vergraben. Es verursacht dann immer mehr Druck, wie in einem Dampfdruckkochtopf. Das hab ich selber mit meiner Hauptfigur gemeinsam, ich brauch auch Zeit, bis ich mit was Unangenehmen rausrücke.

Wie viel Josef Hader steckt noch in Georg Endl?

Vielleicht noch die Eigenschaft, dass ich ebenfalls ein bisschen dünnhäutig bin und man mich relativ rasch kränken kann. Aber meistens verarbeite ich das besser als Georg. Ich würde zwei, drei Tage meine Wunden lecken und dann entsteht bei mir ein gesunder Trotz. Mit mir als Hauptfigur wäre der Film nicht möglich.

Georg tickt nämlich komplett aus. DieWilde Maus“ ist eine Metapher. Die Achterbahn, wenn man sie denn so bezeichnen kann, fährt nicht so rasant auf und ab, sondern lebt von dem Reiz, man könne aus der Bahn geworfen werden.

Ja, diese scharfen Kurven…

Niemand fällt wirklich. Es ist eine Illusion. Georg sitzt ja eigentlich noch recht fest im Sattel. Warum geht er nicht zu einer anderen Zeitung? Warum schreibt er kein Buch? Er fühlt sich sofort in seiner Existenz bedroht. Geht es der Mittelschicht einfach zu gut?

Der Mittelstand spielt natürlich eine Rolle in diesem Film. Ich würde nicht sagen, die Mitte der Gesellschaft bricht weg, aber sie wird dünner. Egal ob Restaurants, Hotels oder Flüge: Es gibt alles nur mehr in ganz teuer oder in ganz billig. Da ist also eine Veränderung im Gang in unserer Gesellschaft und auch weltweit hat man das Gefühl, es bricht eine alte Ordnung zusammen. Und ich habe mich gefragt, wie reagiere ich darauf? Wie reagiert mein Milieu darauf? Wie reagiert der Mittelstand auf Veränderungen?

Was haben Sie herausgefunden?

Wir reagieren gar nicht. So als ob nichts wäre.  Wir leben gesund, essen ethisch hochwertiges Fleisch oder sind Veganer und versuchen im täglichen Leben alles richtig zu machen.

Ist das verwerflich?

Nein. Was aber in der Welt vor sich geht, das hören wir zwar, wir verstehen es aber eigentlich nicht. Wenn man eine Umfrage machen würde, warum  genau in Syrien gekämpft wird, wüssten es nur wenige zu beantworten. Wir wissen nicht einmal, wer die Bösen oder die Guten sind, die da kämpfen. Wir hören ganz viele Nachrichten, wir sind hervorragend informiert, aber wir können das gar nicht einordnen.

Was macht das mit uns?

Wir stumpfen ab. Diese Nachrichten gehen irgendwann nur noch durch uns hindurch. Wir denken von uns, wir wären politisch interessiert, aber das hat überhaupt keine Konsequenzen. Die Frage, die auch der Film stellt, ist, ob wir nicht im Grunde genauso politisch desinteressierte, versülzte und verfettete Bürger sind, wie die Generation vorher. Nur dass wir uns viel hipper dabei vorkommen.

Georg und seine Frau sind nun auch schon etwas älter. Ist das so ein Midlife-Crisis Phänomen?

Die sind schon im Stadium nach der Midlife-Crisis. Für Georg geschieht das alles zu einem Zeitpunkt, an dem er überhaupt nicht mehr damit rechnet, dass er seinen Beruf verlieren könnte. Das Interessante ist eben, dass er viel mehr Möglichkeiten hätte als zum Beispiel ein Arbeiter, der entlassen wurde. Er reagiert aber so, als hätte er keine Möglichkeiten. Er ist vollkommen gelähmt von diesem Bedeutungsverlust. Er könnte viele Dinge machen, tut sie aber nicht.

Er tut schon etwas. Zum Beispiel zerkratzt er seinem ehemaligen Chef das Auto. Etwas komisch ist das schon.

Also ich kenne solche Männer (lacht). So narzisstische Ich – AGs. Sehr lächerliche Figuren, vor allem wenn sie älter werden, da wird dieses männliche Gehabe immer weniger sympathisch. Als Junger sind sie wilde Hunde, die sich um nichts scheißen, aber später sehen sie dann so aus wie Putin oder Trump. Männliche Spätpubertät kann sehr hässlich ausschauen, da ist der Georg in meinem Film ja geradezu ein Sympathieträger.

Was sind Sie eigentlich von Beruf? Sie kommen aus dem Kabarett, haben viel als Schauspieler gearbeitet, jetzt auch Regie geführt. Was ist Ihre Leidenschaft?

Ich glaube am meisten Spaß macht mir das Schreiben. Kabarettprogramm oder Filmdrehbuch, ganz egal. Ich hoffe, es war auch nicht mein letzter Film, das ist ein schöner Beruf. Daneben Kabarett zu spielen ist mir sehr wichtig. Da bin ich unabhängig. Ich kann heute etwas hinschreiben und es morgen auf der Bühne vortragen. Dafür brauche ich keinen Groschen. Rum tingeln und nie in Rente gehen, arbeiten, so lange ich fit bin, das würde ich gerne machen.

Sind Sie sich sicher?

Ja, das Schöne ist eigentlich die Arbeit. Beim Erfolg bin ich mir nicht sicher. Seit ich auf der Berlinale bin, habe ich gesagt bekommen, ich solle das hier genießen. Aber ich kann das ja nicht genießen, das ist ja nur Stress. Ich denke, dass Erfolg sehr schwer zu genießen ist. Ich genieße lieber meine Arbeit.

Eine Szene haben Sie bei den Dreharbeiten bestimmt besonders genossen. Ihr Georg Endl läuft nur in Unterhose bekleidet durch den meterhohen Schnee.

Ich hatte in der Apotheke gefragt, was man da machen kann. Die haben gesagt, Vaseline drüber schmieren, aber das geht nicht, das glänzt ja. Da haben sie mir was gegeben, wo ich mir nicht sicher war: Wollfett. Das ist das, was die Schafe zwischen ihren Haaren haben. Eine unglaublich zähe Flüssigkeit, die sehr weh tut, wenn man sie aufträgt, weil sie die Haare so zieht. Das hab ich dann aber trotzdem für die Szene gemacht. Ob es geholfen hat, weiß ich nicht.

Warum muss Georg da durch?

Georg hatte am Anfang so ein gesichertes Leben, er hatte Bedeutung, eine Frau, er verliert im Laufe des Filmes alles und ich finde das ganz schlüssig, dass er am Schluss auch noch die Kleider verliert,

Georg arbeitet als Journalist, sollte also mit Sprache umgehen können. Aber hat Schwierigkeiten verstanden zu werden. Ein mal sagt er: „Immer wenn ich sage, was ich denke, ist schlechte Stimmung.”

Alle würden sich wünschen, dass er zu reden beginnt. Seine Frau würde sich wünschen, dass er über seinen Wahnsinn redet. Er hat aber das Gefühl, er muss sich verstecken. Ich glaube in dem Moment, in dem Kommunikation verbindlich wird und eine bestimmte Intimität erreicht, kann er einfach nicht. Er kann ja auch wunderbar Italienisch reden mit dem rumänischen Mädchen im Prater. Er hat kein Problem über Unverbindliches zu sprechen. Aber er hat ein großes Problem mit verbindlicher Kommunikation. Da müsste er etwas von sich preisgeben und das will er niemandem zumuten.

Warum wollten Sie einen Film über so einen Wahnsinn machen?

Wahnsinn ist ein gutes Thema für eine Komödie. Ein Mann, der seine Arbeit verliert und vollkommen eskaliert. Das ist ein Stoff, der rau ist und sich zunächst der Komödie verweigert. Aber komische Momente entstehen ja von selber.

Kann es sein, dass die komischen Momente gerade jetzt, in einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass die Welt bedrohlich wankt, nochmal mehr zum Lachen bringen?

Es kann auch sein, dass man genau deswegen jetzt weniger lacht. Ich habe nur bemerkt, dass das die Aktualität von der ersten Drehbuchfassung bis heute nicht abgenommen hat. Im Gegenteil.

Das Interview führten Sophia Sorge und Claudio Rizzello

 

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