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“Stoner” ist ein außergewöhnlicher Roman – und das nicht nur, weil er ursprünglich schon 1965 veröffentlicht wurde. Autor John Williams gelingt es, aus einem durchschnittlichen Menschen einen ganz besonderen zu machen. Eine Leseempfehlung für alle, die auf der Suche nach einem Buch über das Leben sind.

Es gibt viele Romane, die nach ihrer Veröffentlichung und einer kurzen, noch nicht einmal allgemeinen, Aufmerksamkeit in das immer größer werdende Reich der vergessenen Bücher verschwinden. Stoner, erstmals 1965 von John Williams veröffentlicht, ist einer der seltenen Romane, die dieses Reich wieder verlassen haben. Jahre später wurde er wiederentdeckt und als großer Erfolg gefeiert.

Bereits kurz nach der Veröffentlichung war der Roman nicht mehr erhältlich und geriet für etwa 40 Jahre in fast vollständige Vergessenheit. Erst als er 2006 im Rahmen des New York Review of Book Classics erneut publiziert wurde, erhielt er internationale Aufmerksamkeit, wurde in mehrere Sprachen übersetzt (2013 erschien die deutsche Erstauflage) und erntete begeisterte Kritiken. Die New York Times bezeichnete ihn treffenderweise als „The greatest novel you’ve never read“.

Auf den ersten Blick erscheint das Leben des Protagonisten William Stoner recht unspektakulär. Ende des 19. Jahrhunderts wird er als einziger Sohn hart arbeitender Farmer geboren und nach der High School von seinem Vater an die University of Missouri in Columbia geschickt. Eigentlich soll er dort Landwirtschaft studieren. Stattdessen entdeckt er seine Leidenschaft für die englische Literatur. Stoner wechselt das Studienfach und entscheidet sich letztendlich dafür, als Lehrer an der Universität zu bleiben. Er heiratet eine Frau, die nicht die richtige ist und führt ein leises Leben ohne große Erfolge. Nach seinem Tod – das wird schon am Anfang des Romans deutlich – erinnern sich nur noch Wenige an ihn.

Williams Sprache ist nüchtern, große Gefühle sucht man vergeblich. Trotzdem schafft er es, den Leser in diese Lebensgeschichte hineinzuziehen und Anteil nehmen zu lassen. Hat man sich auf den trockenen Ton eingelassen, eröffnet sich eine besondere und in ihrer Art sehr seltene Perspektive auf das Erzählte. Williams drängt dem Leser keine Emotionen auf. Dadurch lässt er den Freiraum, ganz alleine einen Weg in die Geschichte zu finden. Selten bekommt man den Eindruck, wirklich und unverfälscht am Leben des Protagonisten teilzuhaben.

Als Leser begleitet man Stoner an Universität – eine für ihn zunächst vollkommen fremde Welt. Man beobachtet, wie er langsam beginnt, dort seinen Platz zu finden. Wie sehr er sich dabei von seiner Herkunft entfremdet, zeigen die wenigen Begegnungen mit seinen Eltern. Fast immer verlaufen sie wortlos, die Gefühle bleiben unausgesprochen. Ein besonders eindrücklicher Moment: Stoner teilt seiner Familie mit, dass er an der Universität bleiben wird. Das können weder sein Vater noch seine Mutter verstehen, deren Leben immer nur aus harter Arbeit und der eigenen kleinen Familie bestanden hatte. Sie lassen ihn trotzdem ziehen, in dem Wissen, dass der Sohn bei ihnen nicht glücklich würde und in der Hoffnung, dass er das an der Universität schaffen wird.

Mit dem Glück allerdings ist es nicht so einfach. Das macht Williams besonders in Bezug auf die Liebe deutlich.  Und auch hier ist der Roman anders, bricht mit bekannten Erzählmustern. Nüchtern schildert Williams, wie Stoner um seine vermeintliche große Liebe wirbt, die, was wahre Gefühle angeht, genauso unerfahren ist wie er. Dass sie nicht die Richtige ist, spürt man spätestens nach der zweiten Begegnung. Und doch folgt man gespannt, wie Stoner versucht einen Weg zu finden, friedlich mit ihr zu leben.

Offen und manchmal schmerzhaft ehrlich schildert Williams die Geschichte seines Protagonisten. Fast nimmt er dem Leser damit die Möglichkeit zur Spekulation, alles könnte sich noch überraschend wenden. Trotzdem kommt keine Langeweile auf. Begierig erwartet man die nächste Szene, hofft auf einen noch tieferen Einblick in den Charakter von Stoner.

Stoner wird keine großen Spuren in der Welt hinterlassen. Das macht Williams dem Leser immer wieder klar. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum man ihn als zutiefst menschlich empfindet. Er ist auf der Suche nach seinem Weg, trifft Entscheidungen, versucht glücklich zu sein und seinen Prinzipien zu folgen. Das ist mal einfacher und mal komplizierter – wie im wahren Leben. Und genau das unterscheidet Stoner von so vielen anderen Romanen: Der Leser wird zum Beobachter eines scheinbar willkürlich ausgewählten Lebens. Wie in einem Dokumentarfilm läuft es vorbei. Dabei geht es nicht nur um die Liebe oder das Leben im Mikrokosmos Universität. Es ist die Mischung aus all diesen Dingen, die die Geschichte eines Menschen letztendlich ausmacht.