Foto: Leipziger Messe GmbH

Wenn sich in Leipzig junge Nachwuchsautoren und deren potentielle Verleger treffen, finden überall in der Stadt Lesungen, Konzerte und Partys statt. Unsere Redakteurin machte sich auf den Weg, um die Literaturszene einmal näher kennenzulernen – und die Menschen, die dort Geschichten schreiben.

Es ist Samstag. Es ist Nacht. Die Stadt hat sich in Dunkelheit gehüllt und ihre feierwütigen Bewohner in Abendgarderobe. Draußen vor dem imposanten Gebäude steht Sven Marquardt an eine Säule gelehnt. Im Stadtverordnetensaal des Neuen Rathauses in Leipzig hat der Künstler vor ein paar Stunden seinen neuen Bildband vorgestellt. Und während er in sein Taxi steigt, geht drinnen die Party weiter. Genauer gesagt: die Sputnik LitPop, die Literaturparty zur Leipziger Buchmesse.

Einmal im Jahr gibt sich der Literaturbetrieb ein Stelldichein in der sächsischen Stadt, die einst Zentrum des Buchhandels und Verlagswesens war. 251 000 Besucher haben vom 12. bis zum 15. März 2015 den Weg in die Messehallen und den zahlreichen Veranstaltungsorten gefunden. Eine gute Gelegenheit, ein Wochenende lang umtriebig zu sein in der Szenestadt, die nicht nur zur Buchmesse aufstrebende Schriftsteller, Literaturinteressierte und Journalisten anzieht.

Auf der Facebookseite der LitPop wird ein Mix aus Literatur und Popkultur angekündigt, der am Samstag das Neue Rathaus einnehmen soll. Die altehrwürdigen Hallen erstrahlen in Magenta und neben Sven Marquardt grinsen auch Manuel Möglich, Sami Slimani und Friedrich Liechtenstein ins Publikum. Nach ein paar Bier ergeben vor allem die Worte des Musikers LOT Sinn, der mit seiner Band um 23.30 Uhr auf der Bühne steht. Der Leipziger singt von der Liebe und seiner Stadt, deren Nächte sich so schlecht zum Schlafen eignen: „Wir dreh’n den Sound auf 130 und man hört uns bis ans Ende von Leipzig!“

Nicht am Ende von Leipzig, sondern mittendrin befindet sich das Café Waldi, das mit altmodischen Lampenschirmen und knarrenden Holztüren eher lauschigen Charme versprüht. Hier findet die Offene Bühne statt, veranstaltet vom Bundesverband junger Autoren und Autorinnen (BVjA). Bei der Spontanlesung dürfen alle mitmachen, die ihre Texte bis spätestens 30 Minuten vor Beginn eingereicht haben. Am Ende winkt nicht nur ein goldenes Mikrophon als Preis für den besten Beitrag. Es geht vor allem darum, erste Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen.

Nach vier Stunden und 19 Textbeiträgen steht das goldene Mikrophon zwischen Aschenbechern und bayerischem Flaschenbier auf einem Holztisch im Raucherbereich des Café Waldi. Gewinner Axel Kores hat seinen Text zum ersten Mal einem so großen Publikum vorgestellt und scheint vom Konzept noch immer hellauf begeistert, was nicht zuletzt von einer beneidenswerten Kondition zeugt. „Die Reaktionen der Zuhörer zu beobachten war wunderbar“, schwärmt der 39-jährige Grafiker aus Halle. „Das will ich weitermachen!“

Der Organisator der Lesebühne und Vorstandssprecher des BVjA, Tobias Kiwitt, erklärt: „Es ist nicht einfach, einen seriösen Verlag zu finden.“ Dennoch rät er Autoren, „nicht ungeduldig zu werden, immer wieder anzuklopfen, immer wieder auf sich aufmerksam zu machen.“

Fabian Hischmann hat den Einstieg ins Literaturgeschäft bereits geschafft. Sein Debütroman „Am Ende schmeißen wir mit Gold“, der 2014 im Berlin Verlag erschienen ist, wurde im vergangenen Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert – spätestens seitdem ist der Autor im Gespräch. Hischmann hat unter anderem am Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) studiert – einem von nur vier Stadtorten im deutschsprachigen Raum, an denen junge Autoren kreatives Schreiben im universitären Rahmen studieren können.

Leipzig scheint nicht nur aufgrund vieler Lesungen, Ausstellungen und Konzerte ein guter Ort zum Leben zu sein, wie Fabian Hischmann es beschreibt, sondern auch wegen der besonderen Ausbildungsmöglichkeiten für junge Autoren. „Schriftsteller sollen genuine Autodidakten sein“, umreißt der 31-Jährige die Stimmung in Deutschland, „aber Chirurgen wirft man doch auch nicht vor, dass sie keine Autodidakten sind. Ich wollte schreiben und studieren und einen Abschluss. Leipzig passte gut in den Plan.“

Die 28-jährige Theaterpreisträgerin Saskia Nitsche bestätigt: „In Leipzig entwickeln sich durch die Präsenz des Literaturinstituts, aber auch durch die Szene um die Hochschule für Grafik und Buchkunst immer wieder interessante Veranstaltungsformate für junge Autoren und Künstler“. Nitsches erstes Stück „Bitten an Karl“ wurde in Werkstattinszenierungen zum Beispiel am Maxim Gorki Theater Berlin vorgestellt und vom SWR als Hörspiel produziert. Auch sie hat am DLL studiert, und war im Herausgeberteam für die „Tippgemeinschaft 2014“ aktiv, der Jahresanthologie der Studierenden des DLL, die jedes Jahr zur Leipziger Buchmesse erscheint.

In dessen Eingangsbereich trifft man zunächst auf Scharen verkleideter Teenager, die den Weg in Halle 1 suchen, wo wie jedes Jahr die Manga-Comic-Convention mit Merchandise, asiatischem Fastfood und einer großen Showbühne lockt. Die übrigen Hallen bieten Lesebühnen, Fernsehstudios, Stände mit Hörbüchern, Kinderbüchern, Sachbüchern, Lesezeichen, Lesestühlen, Grafikkunst, Antiquitäten und bekannte Gesichter.

Axel Kores sitzt auf der Terrasse „Alta Vista“ und raucht eine Zigarette. Unterm Arm trägt er einen Stapel Exposés und Manuskripte, die er im besten Fall gleich irgendwo an den Mann bringen möchte. Er hat Blut geleckt. „Die erste Motivation zu schreiben, sind einfach die Geschichten, die einem aus dem Kopf sprudeln. Irgendwann kommt dann auch der Wunsch nach einem Adressaten“, hat er den Grund für sein Engagement bereits beim Bier im Café Waldi beschrieben. Er wünsche sich einen Verlag, der ihn aufbaut und ihm unterstützend zur Seite steht. „Ich will schreiben, ich will arbeiten, das ist der Antrieb.“

Das wollen viele. Tobias Kiwitt ist auch heute wieder für sie da. Er hat in der Kongresshalle eine Art Speeddating organisiert, bei dem 90 Autoren auf 22 seriöse Verlagsvertreter und Literaturagenten treffen und sieben Minuten Zeit haben, sich und ihre Arbeit vorzustellen. „Viele gehen naiv daran“, beschreibt er die Verlagssuche von Nachwuchsschriftstellern. Laut BVjA spielen besonders sogenannte Pseudo- oder Druckkostenzuschussverlage mit den Hoffnungen junger Autoren, von denen sie Geld für ihre verlegerische Tätigkeit fordern. Kiwitt bedauert, dass auch auf der diesjährigen Messe wieder Werbestände solcher Unternehmen vertreten seien, die mit Slogans wie „Verlag sucht Autor“ oder „Manuskripte gesucht“ auf sich aufmerksam machen.

Für junge Autoren sind wohl insbesondere die kleineren, unabhängigen Verlage eine gute Adresse, die es in Halle 5 zu entdecken gibt. Am Stand der Connewitzer Verlagsbuchhandlung, die 1990 im gleichnamigen Leipziger Stadtteil gegründet wurde, prangen die professionell gestalteten Cover der gesammelten „Tippgemeinschaft“-Ausgaben von den Buchständern. Die Ausgabe, die Saskia Nitsche mitgestaltet, lektoriert und herausgegeben hat, ist auch darunter. Trotz des vielfältigen Ausstellerangebots auf der Buchmesse geht die Wahlberlinerin jedoch davon aus, dass der Schritt zur Veröffentlichung nicht auf der Buchmesse vollzogen wird. „Der künstlerische und professionelle Austausch findet in Leipzig auch außerhalb des Messebetriebs statt“, sagt sie. „Die Veranstaltungen zur Zeit der Messe sind dann vielmehr eine Möglichkeit, Einblick in die so entstehenden Arbeiten zu erhalten.“

Egal, ob man sich auf der Jagd nach neuem Lesestoff zwischen dem „Kreativen Saarland“ und interaktiven Comicwelten bisweilen verlaufen hat, mit einer Gratisausgabe „Neues Deutschland“ unterm Arm am „Compact“-Stand vorbeigeschlendert oder einem Rudel Waldfeen versehentlich ins Gruppenbild gestolpert ist; egal, ob man sich mehr in Trink- als in Messehallen aufgehalten, zu Popmusik oder asiatischen Klängen getanzt hat – fest steht: Während der Büchermesse wird Leipzig zur einer reichen Fundgrube, in der es für jeden etwas zu entdecken gibt.