Die Bilder kennen wir alle aus Instagram und IKEA-Katalogen. Neutrale, gedämpfte Farben, stimmungsvolles Licht (oder entsprechender Filter), viel Freiraum. Und Gegenstände, allerdings in einer kleinen Menge, oft symmetrisch angeordnet. Minimalismus ist jetzt in aller Munde, aber was ist das eigentlich – eine Ästhetik, ein Lifestyle oder eine Ideologie?

Die Antwort lautet: alle drei. Minimalismus wurzelt  in der Kunstgeschichte, wie er in den 1960er in den USA entwickelt wurde. Es war eine Form der abstrakten Kunst, die zur Reduktion der Ausdrucksmittel aufgerufen hat, um die Botschaft maximal hervorzuheben. So wie alles in der Kunst ist Minimalismus als Reaktion auf eine Strömung entstanden, gefolgt von einer anderen Strömung. So wurde Minimalismus von den Künstlern zu einem weiteren Ismus gemacht, der so lange relevant bleibt, bis etwas Neues kommt und ihn überschattet. Interessant, dass gerade so eine Kunstströmung, die per Definition von einer kurzen Lebensdauer geprägt wird, sich zu einer überdauernden Lebensphilosophie entwickelt hat.

Minimalismus ist gerade ein Trend und ein beliebter Lifestyle. Man kann sich natürlich fragen, ob er in dieser Form tatsächlich ernst genommen wird. Von manchen schon, denn er nimmt immer mehr Platz im politischen Diskurs ein. Politische Bewegungen, wie zum Beispiel die Klimabewegung, übernehmen das Konzept hinter dem Minimalismus; wir brauchen – nein, sogar: wir dürfen nicht so viel produzieren und so viele Ressourcen nutzen wie möglich. Denn es hat sich gezeigt, dass Fortschritt einen hohen Preis hat und „mehr jetzt“ bedeutet „drastisch weniger in der Zukunft“. Und der Bezug auf Lifestyle? Na ja, Klimafreundlichkeit ist heutzutage in, und das merkt man bei jedem Schritt. Ob Zero-Waste-Läden, Second-Hand-Shops oder wiederverwendbare Produkte, wurde klimafreundlicher Minimalismus zum Teil unseres Alltags.

Lifestyle der Zukunft?

Viel wichtiger ist, ob sich Minimalismus als Lifestyle der Zukunft auf Dauer eignet. An die Mentalität der neuen Generation scheint es perfekt angepasst zu sein: nicht nur an die allgemeine Sorge um die Umwelt, sondern auch um psychische Gesundheit, eine gesunde Work-Life-Balance und Mindfulness – Art der Achtsamkeit und Verankerung in die Gegenwart. Alle diese Werte und Trends nehmen in Anspruch die Regel „weniger ist mehr“ und machen Minimalismus zu einem Wert für sich selbst. Andererseits setzt sich Minimalismus im Grunde dem kapitalistischen Denken entgegen, der schließlich unserer Gesellschaft zu Grunde liegt und sie strukturiert. Neue Werte kann man zwar monetarisieren, sogar solche wie Minimalismus, doch die Frage besteht, ob er wirklich ein solches Durchsetzungsvermögen hat, um sich als mehr als nur ein Trend zu bewähren.

Dabei kommen wir schließlich zum Thema Privilegierung. Denn ist Minimalismus nicht nur ein Lifestyle und eine Philosophie für diejenigen, die schon etwas haben und darauf verzichten können? Ähnlich wie die Klimabewegung, schlägt er Lösungen vor, die oft nur in bestimmten Bedingungen eingeführt werden können. Das macht aber die Klimafragen nicht unwichtig, ganz im Gegenteil, die hochentwickelten Länder produzieren schließlich am meisten und tragen die größte Verantwortung für den Klimawandel. Deswegen soll es nicht überraschen, dass es besonders in unserem Fall wichtig ist, den Konsum zu reduzieren.

Minimalismus hat eindeutig eine klimarelevante Bedeutung, aber auch eine psychologische. In einer Kultur, in der materieller Status ein Erfolgsindikator ist, besteht die Gefahr, dass man nach Besetzen süchtig wird. Der Gedanke, dass man etwas nicht braucht, auch wenn man es haben könnte, kann befreiend sein. Es kann auch dieses Denken, was Glück und Erfolg bedeutet, in Frage stellen. Auch wenn Minimalismus es alleine nicht schafft, dass jemand eine Antwort findet, die seinen Bedürfnissen und Aspirationen entspricht, ist das der erste Schritt vorwärts.


Bild: Jess Bailey Designs/pexels