Berlin ist vielfältig, in dieser Stadt kommen Menschen vieler verschiedener Nationalitäten zusammen. Genauso ist es an der Humboldt-Universität zu Berlin. Inklusive Lehre ist daher an der HU ein Muss. Doch wie empfinden migrantische Student*innen diese wirklich? Ein Gespräch mit einer im Nahen Osten geborenen Studentin der Humboldt-Universität über die Lehre am Institut für Sozialwissenschaften.

Elena Slany-Garcia: Wie fühlst du dich beim Studium der Sozialwissenschaften an der HU? 

Studentin: Ich fühle mich wohl in dem Sinne, dass ich zum Beispiel nicht komisch beäugt werde. Oder dass ich ganz normal mit Menschen befreundet sein kann. Es gibt an sich keinen Abstand wegen meiner Herkunft oder meinem Aussehen. Aber ich fühle mich nicht so wohl in den Seminaren und in den Kursen, wenn es Diskussionen gibt. Weil ich oft das Gefühl habe, wenn ich nicht einer „typischen Meinung“ bin, dass ich dadurch abgestempelt werde. Typische Meinung in dem Sinne, was in diesem Institut gängig ist: typisch links. 

Was genau meinst du mit Meinung?

Es gibt dieses Ideal, dass dieses Institut nicht eurozentristisch ist und dass alle Meinungen, die andere Menschen nicht verletzen, voll okay sind. Aber oft habe ich das Gefühl, selbst wenn das theoretisch so gesagt wird, dass es trotzdem praktisch nicht unbedingt so ausgeübt wird. Also, wenn ich über traditionelle Geschlechterrollen rede, dass das irgendwie in die Richtung geht, als wäre ich rechts, obwohl meine Prinzipien oder meine Tendenzen in Bezug auf traditionelle Geschlechterrollen durch meine Herkunft bedingt sind. Diese Vorstellungen kommen nicht aus einer herablassenden Perspektive, dass ich Menschen sagen möchte, wie sie leben müssen. Nur, dass ich das für gut halte. Für mich persönlich und für meine Familie, aber nicht, weil ich mich mit rechten Bewegungen identifiziere. Trotzdem wird dieses Bild so oft damit assoziiert.  

Meinst du damit, dass du für dich gerne traditionelle Geschlechterrollen ausleben möchtest, das aber niemand anderem aufzwingen willst?

Mir fehlt oft eine präzise Differenzierung. Meiner Meinung nach sollte man immer zwischen bestimmten Fällen und Situationen unterscheiden. Beispielsweise wenn eine Frau gezwungen wird, nur zu Hause und in der Küche zu bleiben, finde ich das selbst dämlich. Solche Rollenverteilungen müssen immer einvernehmlich sein. Aber wenn man solche Rollenbilder einfach ganz pauschal kritisiert, dann finde ich das sehr problematisch, weil Menschen dadurch ausgeschlossen werden. Beispielsweise auch Deutsche mit Migrationshintergrund. Viele von ihnen glauben an traditionelle Geschlechterrollen, aber sie zwingen niemanden, diese auszuleben. 

Du hast vorhin von eurozentristischen Perspektiven geredet. Das Institut versucht in der Lehre, sich vom Eurozentrismus zu distanzieren. Wie betrachtest du das als Person, die im Nahen Osten sozialisiert wurde? 

Es kommt darauf an, über welche Aspekte wir genau reden. Ich finde zum Beispiel in Bezug auf politische Diskussionen, in politischen Seminaren und Kursen über Kriege, da ist die Lehre überhaupt nicht eurozentristisch. Es gibt die postkoloniale Perspektive, bei der man genau sagt, dass die westlichen Staaten dafür verantwortlich sind, dass es anderen Staaten auf der Welt nicht gut geht. Und dass es Kolonialismus gab und immer noch postkoloniale Effekte und Konsequenzen gibt. In diesem Sinne finde ich das Bewusstsein dafür sehr präsent und das gefällt mir sehr, weil man das leider nicht in allen Räumen in Deutschland wiederfindet. Aber in Bezug auf, wie schon gesagt, traditionelle Geschlechterrollen, wird die eurozentristische Perspektive viel zu sehr generalisiert, indem man traditionellen Bildern allgemein kritisch gegenübersteht. Theoretisch möchte man sich davon entfernen, anderen Menschen zu sagen, wie sie denken sollen, das sei sehr dogmatisch und herablassend. Trotzdem hat man teilweise das Gefühl, dass die eigene Denkweise nicht passend wäre.

Denkst du, das ist nur am Institut für Sozialwissenschaften so? Wie ist das generell an der Humboldt Universität? 

Also ich habe jetzt nicht die faktischen Quellen, mit denen ich das beweisen kann. Aber aus eigener Erfahrung und durch Freunde, weiß ich auf jeden Fall, dass es in vielen Studiengängen nicht der Fall ist, weil ja auch andere Themen behandelt werden. Und in dem Sinne werden diese politischen Themen nicht so oft adressiert. Deswegen kommt man gar nicht auf dieses Gespräch. Wenn man zum Beispiel Architektur studiert, dann ist man mit anderen Sachen beschäftigt. Dann kommt es nicht so häufig vor. Aber es liegt in der Natur dieses Studiengangs, sehr häufig über sowas zu reden, weil es ja um politische und soziologische Diskussionen geht. Aber ich glaube trotzdem auch, dass es auch an Berlin liegt, also dass Berlin generell diese hipster-linke Stimmung hat. Und das zieht Menschen an, die auch so denken. 

Was würdest du dir, als Person, die im Nahen Osten sozialisiert wurde, für die zukünftige Lehre am Institut für Sozialwissenschaften wünschen?

Ich würde gerne mehr von Theoretiker*innen lernen, die wirklich komplett aus einem anderen Teil der Welt kommen, sodass man dadurch eine komplett andere Perspektive erlernt. Weil ich finde, dass es nie Schwarz oder Weiß ist. Es gibt sehr viel Grau und diese Graustufen sollte man auch untersuchen. Ich finde, es muss wirklich vielfältiger sein. Den Studiengang muss man auch ein bisschen anders gestalten, in einer Art und Weise, in der man noch andere Menschengruppen anzieht. Es ist nicht willkürlich, dass hier nur bestimmte Menschengruppen studieren.


Illustration: Céline Bengi Bolkan