Rammstein hat sich verändert – ob das besser ist, bleibt fraglich. Kontroverse lässt die Band in ihrem neuen Album „Zeit“ größtenteils vermissen. Stattdessen widmen sich die sechs Mitglieder für sie unkonventionellen Themen, die Rammstein völlig neue Möglichkeiten eröffnen. 

Ist das das letzte Rammstein-Album? Diese Frage kam auf, als die erste ausgekoppelte Single vorab veröffentlicht wurde. Der Song “Zeit”, der sich auch als Namensgeber des ganzen Albums entpuppte, beschäftigt sich mit Vergänglichkeit und der Endlosigkeit der Zeit. Dazu gab es ein überraschend geschmackvolles und bedeutungsschwangeres Musikvideo, das die Abschluss-Spekulationen befeuerte.

Als kurz darauf die Tracklist des noch unveröffentlichten Albums geleakt wurde, gab es nach dem Zündstoff für diese Spekulationen noch ordentlich Feuerholz. Der letzte Titel, so wurde nun bekannt, lautet „Adieu“. Solche Fragen ebbten mit der zweiten Single, „Zick Zack“, schnell wieder ab. Wo „Zeit“ die Vergänglichkeit preist und verflucht, schießt „Zick Zack“ sich in gewohnter Rammstein-Manier auf den Schönheits- und Optimierungswahn urbaner Gesellschaften ein. Kein Wort vom Ende allen Lebens, keine Assoziationen von Abschluss oder Finale. Freude machte der Boulevardpresse vor allem, dass im Musikvideo der Bassist der Band, Oliver Riedel, eine frappierende Ähnlichkeit zu Harald Glöökler aufweist.

Düsternis und Headbanging

Trotz der Vielfalt des Albums, in das diese zwei Singles eingebettet sind, zieht sich Vergänglichkeit, ja Düsternis als Leitthema durch die ganze Tracklist. Mit dem radikal düsteren Eröffnungsmarsch, „Armee der Tristen“, wird Trauer als Grund, zusammenzukommen und “gemeinsam traurig” zu “sein”, präsentiert. Die Grundstimmung wird textlich über die Titel „Zeit“ und „Schwarz“ beibehalten, auch wenn sie sich musikalisch ändert. „Zeit“ erklärt die Vergänglichkeit für unausweichlich – erinnert zugleich aber an die Schönheit vergangener Momente. Das Grundthema des Albums wird hier am deutlichsten angesprochen.

Mit dem Song „Schwarz“ hellt sich die musikalische Stimmung deutlich auf – doch verharrt der Text, wie immer von Frontmann Till Lindemann in einwandfreier Versform geschrieben, in finsterer Haltung. Eine Liebeserklärung an die Nacht, so heißt es im Refrain:

„Immer, wenn es dunkel wird
Die Seele sich in Lust verirrt
Die kalte Nacht ist mir Vergnügen
Trink´ das Schwarz in tiefen Zügen“

Langzeit-Rammstein-Fans finden sich vor allem in Tracks wie „Giftig“, dem fetzigen Soundtrack einer toxischen Beziehung, oder „OK“, einer Hommage an den Geschlechtsverkehr ohne Kondom, wieder. Ähnliche Begeisterung für den alten Stil befördert auch der Titel, der keinen Zweifel über den Songinhalt lässt: „Dicke Titten“. Doch in allen Fällen bleibt eine bittere Note übrig, trotz des leicht bekömmlichen musikalischen Wummern, in dessen Takt die Haare nur so wehen. Gleichwohl stehen die beiden Tracks “OK” und “Dicke Titten” in einer Trash-Tradition, die die problematische Seite von Rammstein offenbaren. Im vorherigen Album machten die Musiker mit der Darstellung als KZ-Häftlinge für den Track “Deutschland” Furore, hier ist es die offenkundige Ablehnung von safem Sex, die zumindest irritiert.

Spiegel der Gesellschaft

Das Album kulminiert sowohl musikalisch als auch lyrisch in dem Titel, der ebenso gut wie „Zeit“ namensgebend hätte sein können. „Angst“ beschwört, in Kombination mit einem meisterhaft gruseligen Musikvideo, den Geist alter deutscher Debatten herauf.  Im Zentrum steht die „Angst vor dem schwarzen Mann“. Hier zeigt sich eine Gesellschaft, die in der dünkelhaften Prüderie, in der sie versunken ist, kaum noch einen anderen Ausweg sieht, als irrational vor allem Fremden in Angst zu schreien. Dass dabei spontan auch an die Flüchtlingssituation im Jahr 2015 zurückgedacht wird, kann kein Zufall sein. Diese Assoziation wird von dem Musikvideo bestärkt, das Angst als Kampfbegriff thematisiert. Die Bandmitglieder bauen, verkleidet als pullovertragende Vorgartenbesitzer, Mauern zwischen einander auf, ziehen Stacheldraht, schreien „Angst“.

„Und so glauben wir bis heute
Schwer bewaffnet ist die Meute
Ach, sie können es nicht lassen
Schreien Feuer in die Gassen“

Eindeutig hatte sich die Band nie politisch positioniert – von dem Statement zum Krieg in der Ukraine einmal abgesehen. Darin verurteilte die Band den völkerrechtswidrigen Angriff lapidar. Ansonsten bleibt Rammstein gerne unpolitisch, kratzt mit seinen Songthemen lieber gesellschaftliche Themen an. Dieser Linie zumindest bleiben sie bei „Zeit“ treu – treffen aber darin dennoch den Geist zeitgenössischer Debatten; Vergänglichkeit, eine größtenteils düster gehaltene Musik und Tristesse.

Sollte dieses Album jedoch das letzte der Band bleiben, wäre dies wohl eine Enttäuschung. Es beeindruckt mit geräuschvoll gerolltem “R” und kunstvollen Reimen und düster berauschender Musik. Aber um hinter diesem Album einen Schlussstrich zu ziehen, ist es nicht außergewöhnlich genug. Rammstein ist gefälliger geworden – ob das etwas Schlechtes ist, muss jedoch jede*r für sich entscheiden.


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