„Meine kleine F Dur-Sinfonie“ nannte Beethoven seine Achte. In ihrem letzten Konzert klingen die Philharmoniker*innen und Kirill Petrenko mit diesem Werk gar nicht klein. Ein fulminanter Abend voller Misstöne.

Natürlich geplanter Misstöne. Oder überhaupt keine – immerhin klingt Zwölftontechnik nur für ignorante Ohren wie ein Misston. Wer sich auf die revolutionäre Kompositionstechnik von Arnold Schönberg einlässt, lernt neue, ungewohnte Arten des Genusses kennen. Aber richtig gespielt werden muss sie. Eines der ersten Werke, das auf diese Weise geschrieben wurde, sind seine Variationen für Orchester. Die Harmonien klingen für das westlich geprägte Ohr irgendwie falsch, irgendwie unpassend, immer fehl am Platz. Nichts ist jemals richtig, wie es scheint.

Und doch steckt hinter allem ein Sinn. Schönberg warf nicht sporadisch Töne zusammen und nannte das Ergebnis eine Komposition. Er entwickelte ein System, das sich dezidiert nicht an den (damals) herkömmlichen Klangvorstellungen orientiert. Das macht seine Musik so spannend. Denn unwillkürlich kommt die Frage nach der Grenze zwischen Klang und Krach auf: ist das noch Musik oder kann das weg?

Die eindeutige Antwort der Philharmoniker*innen an diesem Donnerstagabend, dem 26. Januar, lautet: Ja. Klanggewaltig ließen sie die besagten Misstöne erschallen, und wurden dabei zielsicher von ihrem Dirigenten durch die Tücken dieser Komposition geführt. Das Publikum honorierte die Leistung von Komponist, Dirigent und Orchester mit gebührendem Applaus.

Wenn Brahms verblasst

Eigentlich hätte einer der musikalischen Höhepunkte bereits vor Schönberg erklingen müssen. Brahms´ Variationen über ein Thema von Haydn. Das Thema stammt vermutlich gar nicht von Joseph Haydn, das macht es aber nicht weniger hübsch. Brahms machte daraus eine fulminante Komposition, die alles enthielt, was den großen Künstler auszeichnete: Schnelles Spiel mit den Motiven, dunkle, warme Streicher und keine übertriebene Dramatisierung. Lediglich diesem Werk gab Brahms eine Triangel bei, ansonsten hielt er sich bei dem Schlagwerk lieber zurück.

Obwohl Brahms und Beethoven Schönberg in diesem Konzertprogramm einrahmen, weswegen ein gewisser Kontrast entsteht, verschwindet Ersterer hinter letzteren Giganten. Manchmal kann es eine Überlegung wert sein, das Ohr des Publikums nicht mit zu vielen Variationen zu überfordern.

Ende gut, alles zu viel

Eine Enttäuschung ist das aber keineswegs. In der Philharmonie finden sich keine Enttäuschungen, lediglich Überraschungen. Und für Überraschungen ist Beethovens achte Sinfonie mehr als geschaffen. Dort wechselt das Tempo schneller als die Beschilderung einer Autobahn im Bau. Die Achte von Beethoven ist anders als alles, was der Komponist sonst von sich gab – steht dem Rest allerdings in ihrer Qualität nicht nach. Sie ist leichter, tänzerisch fast, spielt mit der sinfonischen Form, gibt sie beinahe auf, um sie dann doch wieder aufzugreifen. Klein, kurz, fröhlich, optimistisch. Nichts davon passt zum Komponisten: Beethoven befand sich zum Zeitpunkt der Komposition in einer tiefen Liebes- und Lebenskrise.

Wer könnte diese tänzerische, spielerische Energie besser einfangen als der virtuose Derwisch Kirill Petrenko? Wer einmal im Sitz einer Orchestermusiker*in saß, kann sich ungefähr vorstellen, wie intensiv die plötzlichen, scharfen Gesten des Taktstockmagiers wirken müssen. Mit seiner Eigenschaft, plötzlich in wilde Gestik auszubrechen, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren, erweist Petrenko der Sinfonie einen Bärendienst. Wäre da nicht noch das kleine, historische Problem: Beethovens Sinfonien leiden unter ihrer übertriebenen Romantisierung. Zu oft heroisierten deutschtümelnde Dirigenten (meist Männer) Beethoven als einen Hoch- oder Spätromantiker. Zu oft zogen sie die lyrischen Melodien in qualvolle, ewige Längen voller Vibrato und sinnloser Träumerei. Zu oft ließen sie die Pauken wirbeln, auf dass es kein Morgen gäbe. Zu oft vergaßen sie, dass Beethoven Musik für kleine Orchester komponierte. Eine Lücke, die die Berliner Philharmoniker vielleicht aufarbeiten könnten: Komponist*innen so spielen, wie sie komponierten und nicht so, wie wir sie hören wollen. 


Foto: Stephan Rabold