Musik ist eine super Ablenkung, aber auch ein Ort der Zuflucht, an dem man sich verstanden fühlt. Beach Bunny berühren mit gehaltvollen Texten und starken Melodien. Warum wir mehr von melancholischem Bedroom-Pop brauchen, der Schwäche besingt statt Stärke zu zelebrieren.
Beach Bunny: Das sind Bass, Schlagzeug und vor allem E-Gitarre, an der Lili Trifilio steht. Dazu singt sie und schreibt bewegende Texte. Bei ihrem Clubkonzert im Neuköllner Hole⁴⁴ neulich steht Trifilio als Sängerin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; ihr mattrosa Zweiteiler reflektiert das Licht der Scheinwerfer. Die Ponyfrisur hat sie zu zwei kleinen Zöpfen gebunden. Ihr Lächeln wirkt ehrlich und bescheiden; eigentlich sieht sie den Leuten im Publikum gar nicht so unähnlich. In der Menge finden sich hauptsächlich junge Gesichter, vom Teenager bis Ende zwanzig, und bei weitem nicht nur weiblich gelesene Personen.
Zu meiner Überraschung. Der durchaus punkige Indie-Rock oder auch Bedroom-Pop, mit dem die Chicagoer Band bereits seit 2015 überzeugt, hat etwas derart Zärtlich-Echtes, was auf mich unbeschreiblich feminin wirkt. Aber nicht feminin-schwach, sondern feminin-stark. In ihrem Song Prom Queen, der (leider?) auf TikTok viral ging, geht es um verkrümmte amerikanische Schönheitsideale und Essstörungen. Painkiller thematisiert Panikattacken und Selbstverletzung. Eigentlich geht es in allen ihren Liedern um Einsamkeit und den schmerzhaften Unterschied zwischen Liebe und emotionaler Abhängigkeit. Die Protagonistin der Songs, bei der oftmals autobiographische Parallelen zu Trifilio bestehen, fühlt sich selten wie ein Tiger, manchmal wie ein maneater und ist die meiste Zeit eigentlich ziemlich traurig. Trifilio inszeniert sich nicht als „Powerfrau“, sie singt über Momente der Schwäche. Und genau das demonstriert und verleiht Stärke.
Melancholie: Marina, Mitski und Morrissey
Die Musik ist nicht traurig, sondern höchstens melancholisch – und hat somit definitiv das Potential für gute Live-Auftritte. Sie ist rockig und laut, dabei trotzdem sehr melodisch. Im Publikum wird abwechselnd gemosht und in romantischer Atmosphäre mit den Handylichtern gewedelt. Zusammen mit den starken Texten macht die Musik einen einzigartig berührenden Eindruck auf mich. Nicht umsonst trägt das neueste Album der Band den Namen Emotional Creature: Beach Bunny besitzt die Fähigkeit, negative Gefühle wie Wut, Traurigkeit und Eifersucht so zu komponieren, dass man ihnen beinahe etwas Schönes abgewinnen kann. In der authentischen Darbietung von Emotionen liegt etwas Tröstliches. Vergleichbares kenne ich nur von der britischen Synthiepop-Künstlerin MARINA, die auch letztes Jahr mit Beach Bunny ein Feature aufgenommen hat. Oder von Indie-Songwriterin Mitski. Alle drei Künstlerinnen bzw. ihre Hörerschaft verortet sich zum Teil in der „Emo“-Szene – das leuchtet wohl ein.
Es gibt viele gute männliche Songwriter und Bands, deren Lieder mich ähnlich berühren – die auch über Einsamkeit, Verlust und nagenden Liebeskummer singen, allen voran The Smiths. Gleichzeitig besteht nun mal die Tatsache, dass wir im Patriarchat leben – und Künstlerinnen ihre Erfahrungen in diesem System auch in ihr Werk einfließen lassen (sollen!). Das ist das, was ich mit „Femininität“ meine: diese spezifische Verarbeitung von Kummer. Die Entblößung von Gefühlen und Schwächen, die alle kennen und viele verschweigen. Weil sie zwar sagbar sind, aber mit Scham behaftet. Dass eine ganze Menge an Menschen diese Art von Texten laut mitsingt, berührt doppelt so sehr wie die (aus anderen Gründen wunderschönen) Hymnen an die Introversion der Smiths. Sorry, Morrissey.
Ehrlichkeit statt Powergirl
„This one is for the girls!“, kündigt Trifilio den Song Blame Game an. Kurz streift mich der Gedanke, ob es richtig ist, zu einem Lied zu tanzen, was sexuelle Belästigung und die Machtlosigkeit gegenüber den Tätern thematisiert, die – im Lied und nicht selten im echten Leben – alles dafür tun, um der Frau die Täterrolle zuzuweisen. „Guess it’s my fault my body’s fun to stare at. Sorry my clothes can’t keep your hands from grabbing“ – diese Zeile singen alle laut mit, der Sarkasmus signalisiert die Überdrüssigkeit gegenüber der traurigen Realität. An der Stelle denke ich mir: Tanzen und Singen nimmt dem Ganzen nicht seine Wichtigkeit. Im Gegenteil, es zeigt nur, wie viele betroffen sind. Powergirl-Feminismus à la Rihanna, Nelly Furtado oder Katy Perry möchte ich nicht seine Berechtigung absprechen – er wirkt aber doch sehr konstruiert und bedient sich möglicherweise sogar von Männern kreierten Narrativen. Die Inszenierung als Königin der Welt (und der Bühne) ist cool; beeindruckt und stärkt vielleicht sogar die eine oder andere. Ob man (Frau) sich damit identifizieren kann, ist aber eine andere Frage (die natürlich nicht immer gestellt werden muss).
Beach Bunny sind erfrischend und genial, denn sie brauchen gar nicht das Wort der „Selbstliebe“ in den Mund zu nehmen, sondern führen es mit. Keine nervigen Narrative von Mädchenträumen, die sich durch die magische Erkenntnis, „sich selbst gut genug zu sein“ plötzlich erfüllen. Nur eine subtil feministische Stärkung des Selbstbewusstseins. Ihre Musik macht traurige Menschen glücklich, ohne dass sie vom Glücklichsein handelt. Sie lässt Schwäche zu: Spaßige College-Parties sind meistens eine Illusion, genauso wie junge Beziehungen, in denen beide gleich viel lieben. Das zu hören, stärkt. Ein gelungenes Beispiel dafür, dass das Singen vom Scheitern mehr ermutigen kann als jede banale Ode an das Gewinnen.
Foto: Trinity Kubassek/pexels