Eine dunkle Geschichte lässt das Publikum in eine aktuelle Welt eintauchen und nachdenklich, aber auch mit Neugier und Fragen an den Regisseur zurück. Der einfühlsam durch Davis Simanis erzählte Film lässt an der persönlichen Geschichte und Entwicklung der Lettin Maria Leikos teilhaben.
Marijas klusums findet seinen Anfang in einem Zug auf dem Weg nach Moskau im Jahr 1937. Die Stimmung scheint ausgelassen. Schauspieler*innen, Politiker*innen und Sänger*innen rauchen und trinken zusammen. Russ*innen, Lett*innen und Deutsche unterhalten sich laut. Doch angesichts der historischen Gegebenheiten wirkt diese Szene falsch oder aufgesetzt und wie, als sei sie Teil des Publikums, erscheint eine Frau, für eine Sekunde, mit den Worten „Stop pretending“ an die übrigen Figuren im Film gerichtet. Der kritische Blick der Zuschauer*innen, aber auch der historischen Einordnung des Regisseurs Davis Simanis werden mit diesem Moment eingeführt.
Marijas klusums (Englisch: “Maria´s Silence”) erzählt die wahre Geschichte der lettischen Schauspielerin Maria Leiko, die sich ab 1917 im Theater und in Stummfilmen etabliert hatte und unter anderem mit Max Reinhardt in Berlin zusammenarbeitete. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten kehrte sie nach Lettland zurück. Davis lässt den Film an der Stelle beginnen, als Leiko nach Moskau gerufen wird, um sich von ihrer gerade verstorbenen Tochter zu verabschieden. Sie war bei der Geburt ihrer Tochter, Leikos Enkelin, gestorben – Leiko nimmt das hinterbliebene Kind an sich. Während sie in Moskau bleibt, um sich um das Kind zu kümmern, wird sie Teil des lettischen Theaters vor Ort und gerät unwissend immer tiefer in die Fänge des Stalinismus.
Davis zeigt auf der einen Seite die persönliche Lebensgeschichte Leikos, wobei er die Kunst des Theaters und die Leidenschaft, die Leiko zu ihr hegt, aufleben lässt. Auf der anderen Seite zeichnet er, zunächst in kurzen Übergangsszenen, die Armut und Einsamkeit des Stalinismus auf den Straßen Moskaus nach. Die Wahl, den Film in schwarz-weiß zu produzieren, unterstreicht diesen Effekt. Im Fortschreiten des Films überschattet das politische System, in dem sich Leiko befindet, immer mehr ihr schauspielerisches Tun und die kunstvolle Darstellung des Theaters nimmt ab.
Marijas klusums ist bedeutsam für alle, die den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine erleben und von außen beobachten. Als lettischer Regisseur und Historiker kennt Davis die schmerzhafte sowjetische Geschichte Lettlands und seiner Bürger*innen. Dem Film gelingt es, ein Stück Vergangenheit so auf die Leinwand zu bringen, dass er sie nicht in Vergessenheit geraten lässt und dem Publikum die stark ähnelnde Gegenwart erneut vor Augen führt.
Foto: © Mistrus Media @Berlinale Stills