Was bei der Eröffnungszeremonie geschah

Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt“ hat Pablo Picasso einmal gesagt. Wenn Monika Grütters, die Staatsministerin für Kultur und Medien, ihn bei der Eröffnungsgala der 67. Berlinale zitiert, dann ist das vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Geschehnisse gar nicht mal so unpassend. Dieter Kosslick, der Festivaldirektor, sieht das ähnlich. Natürlich ist die Berlinale in diesem Jahr besonders politisch. Meryl Streep, wird mehrmals erwähnt, Moderatorin Anke Engelke macht Witze über Mauern, selbst Michael Müller stichelt gegen Trump, ohne ihn dabei zu erwähnen. Der niederländische Regisseur und Drehbuchautor Paul Verhoeven, der als Jury-Präsident mit seinem Team die Filme bewerten wird, bleibt indes locker. Er freue sich einfach auf die Filme und die Geschichten, die sie erzählen. Damit ist die Berlinale eröffnet. It’s great!

– Eine Filmrezension –

Django, um es vorweg zu nehmen, ist ein gut gewählter Eröffnungsfilm. Das Künstlerportrait des berühmten Gitarristen und Komponisten Django Reinhardt, ist ein wirklich erstaunliches Filmdebüt des französischen Regisseurs Étienne Comar, der schon an mehreren Filmen mitgewirkt hat, bislang aber nie selbst hinter der Kamera stand. Er erzählt die wahre Geschichte eines Musikers, der 1910 als Sohn elsässischer Sinti in Belgien geboren wurde und in den 30er Jahren in Paris zum Star wurde.

In dem Saal, in dem Django (Reda Kateb) spielt, darf nicht getanzt werden. Schilder weisen darauf hin. Doch wenn er seine Finger über die Saiten jagt, die Ohren kitzelt und wie in Trance tremoliert, geht es einfach nicht anders. Da schwingen die steifsten Hüften. Herrlich zu sehen, wie es dazu kommt. Die Gäste wippen zunächst nur leicht mit dem Kopf, dann mit den Fingern, und den Armen, bis es sie schließlich von den Sitzen reißt und sie doch tanzen. Da war es noch nicht ganz so ernst mit den Verboten. Auch die im Saal anwesenden Nazis nicken anerkennend.

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Sie sind auf Django, den „Zigeuner“ aufmerksam geworden. Ob er nicht nach Deutschland kommen wolle, auf eine Tournee gewissermaßen. München, Berlin, Olympiastadion. Goebbels kommt, vielleicht sogar der Führer. Dafür soll „The King of Swing“ allerdings seinen Musikstil ändern, „künstlerische Reinheit“ einarbeiten, den Nazis klingt das alles noch zu sehr nach „Negermusik“. Django weiß schon, dass er das nicht tun wird, nach Deutschland reisen. Für die will er, da kann die Gage noch so hoch sein, nicht spielen. Nur war das gar keine Frage.

Regisseur Comar zeigt über atmosphärische Gegensätze ganz hervorragend, wie es für Django in der Zeit zwischen 1943 und 1945 immer gefährlicher wird. Erst berauscht er das Publikum in Paris, dann muss er mit seiner Mutter (Bim Bam Merstein) und seiner schwangeren Frau (Beata Palya) fliehen. Die deutschen haben Paris besetzt und ein sogenannter Arzt untersucht Django, diagnostiziert eine auf Inzucht zurückzuführende und rassentypische Verkrüppelung der Hand. Dabei war es ein Brand, der seine Greifhand krümmte und ihn nun noch schneller spielen lässt. Das gibt Django zu verstehen, dass selbst seine wichtigste Waffe, sein Swing, ihn nicht retten kann. Er dachte immer, die Deutschen würden ihm nichts tun, weil sie seine Musik zu schätzen wissen. Mit Hilfe von Louise (Cécile de France), die Kontakte zu den Nazis hat, Django aber verehrt, gelingt ihnen die Flucht. Vorerst.

Was dann passiert, ist eine bewegende Parabel über die Wucht der Musik. Ob er sich damit überhaupt auskenne, wird Django gefragt, als er doch für die Nazis spielen muss. „Die Musik kennt mich“, antwortet er und entlarvt damit kurzerhand, dass all die Vorschriften, die Segmentierung seines Swings nichts nützen wird.

So sind die Heiterkeit zu Beginn und die sich langsam entfaltende Angst der dominierende Kontrast in der Dramaturgie des Films. Das Feuer, das die in Wohnwagen lebenden Sinti vertreibt und der Schnee, den Django auf seiner Flucht durchwandern muss, wenn er in die Schweiz gelangen will. Der Kontrast, den Comar atmosphärisch derartig geschickt auf die Leinwand bringt, dass er die schlimmsten Szenen gar nicht zeigen muss. Sein Weglassen ist vielmehr eine filmische Ellipse, die in Erinnerung ruft, was den Sinti schreckliches widerfahren ist.

Ein beeindruckender und bewegender Film eröffnet die 67. Berlinale.

 

Bären-Potential: Django läuft im Wettbewerb, könnte also einen Bären gewinnen. Ob er mit der starken Konkurrenz mithalten kann, bleibt abzuwarten. Vermutlich eher nicht.

BZQ-Punkte: Auch wenn Comar einiges dazudichtet (Louise zum Beispiel ist frei erfunden) beruht der Film auf einer wahren Begebenheit, der Geschichte Jean Reinhardts (so der Taufname). Dass die künstlerische Umsetzung hilfreich sein kann, um die Wahrheit zu erkennen, wissen wir ja jetzt (s. Picasso-Zitat).

Prokrastinationspotential: Hoch, besonders in den Szenen mit Musik.

Kuschelfaktor: Die Liebesgeschichte spielt eine untergeordnete Rolle. Gut so. Hätte auch nicht gepasst.

UnAuf-Punkte: 3 von 5

Regie: Étienne Comar. Mit: Reda Kateb, Cècile de France, Beata Palya, Bim Bam Mersetin u.a.

 

Fotos:

© Roger Arpajou