-Eine Filmrezension-

Ob sie keinen Thymian von einem Zitronenthymian unterscheiden könnten, fragt René Redzepi. Er steht locker vor ihnen, schreit jetzt aber fast. Seine Souchefs schauen bedröppelt zu Boden. Redzepi redet sich in Rage: „Schmeckt ihr da Zitrone?“ Die beiden probieren, einer beginnt einen Satz, stottert aber nur unverständliches Zeug und schluckt ihn dann doch mit dem Rest-Thymian runter. Nein, keine Zitrone, Chef. Redzepi hat Recht. Es war der falsche Thymian, natürlich. Redzepi weiß das längst und beendet den Disput so diplomatisch er nur kann: „Fuck off!“

03_Redzepi (1)Die Dokumentation „NOMA“ von Pierre Dechamps trägt den Untertitel „Ein Blick hinter die Kulissen des besten Restaurants der Welt“, der Film könnte aber auch einfach „Das aufregende Leben des René Redzepi“ heißen, denn darum geht es eigentlich. Es ist das Portrait einer interessanten Persönlichkeit, nicht jedoch die erhoffte Geschichte des lange Zeit weltbesten Restaurants.

Das macht nichts, schließlich gilt Redzepi als die coolste Socke unter den Sterneköchen und wer die vielen Szenen sieht, in denen er mit seinen Mitarbeitern Salat putzt und sich dabei smart lächelnd die langen Haare aus der Stirn pustet, wie er sich nach getaner Arbeit mit sommerlicher Bomberjacke und schicken weißen Sneakers lässig auf sein Fahrrad schwingt, der glaubt das auch.

Wir erfahren, dass der in ärmlichen Verhältnissen in Mazedonien auf einem Bauernhof aufgewachsene Koch in Dänemark ein Restaurant übernommen hat. Sein Vater, ein Bauer und seine Mutter, eine Mitarbeiterin in einer Kantine, honorieren das, können dem Essen mit dem vielen Schnickschnack allerdings nur wenig abgewinnen. Redzepi arbeitet trotzdem hart, er hat seinen eigenen Laden, jetzt braucht er nur noch ein Konzept.

11+Apfel+auf+Eis+-+Copyright+Pierre+Deschamps (1)Er entscheidet sich für regionale Küche. Gute Idee, aber nur, wenn dein Sternerestaurant zufällig im fruchtbaren Frankreich liegt. Doch Redzepi ist, wie es sich für einen Sternekoch gehört, radikal. Er bleibt dabei, nordische Küche oder gar nichts. Alle erwarteten sein Scheitern und tatsächlich tut sich wenig im Noma. Was wächst überhaupt in Skandinavien? Eben. Redzepi sieht das Problem.
Er fährt nach Grönland, bestaunt die Polarlichter und wird prompt erleuchtet. Die Lösung ist: Saisonalität! Er erfindet das Konzept von „Zeit und Ort“, entwickelt ein Verständnis für die Jahreszeiten, nimmt nur, was die nordische Natur ihm gibt, sie diktiert ihm geradezu die Karte. Seeigel aus den Gewässern Norwegens, fermentierte Stachelbeeren, Moos, aus Birken gezapftes Wasser. Außerdem sieht er alles nicht mehr ganz so streng, schließlich muss er ja irgendwie kochen. Na gut, Olivenöl aus Italien ist erlaubt. Siehe da, es funktioniert.

Das war kein Glück. Wer Sätze sagt wie: „Die Zutaten sind unsere Buchstaben, das Gericht ist unser Gedicht“, der hat kein Glück, der ist ein Genie. Das mussten dann auch die großen Köche aus Frankreich anerkennen, die vorher noch die Nase gerümpft haben. Das Noma wurde ein Nobelrestaurant und Kopenhagen, auf der kulinarischen Weltkarte lange Zeit gar nicht vertreten, wurde plötzlich das Mekka für Foodies aus aller Welt. Redzepi hat geschafft, was keiner für möglich hielt, er gab dem Norden eine kulinarische Identität. Das Noma wurde das beste Restaurant der Welt und auf einmal feierten alle nur noch ihn.

Dechamps hat Redzepi während der drei Jahre begleitet, in denen sich all das abspielt. Von der dritten Auszeichnung zum besten Restaurant der Welt im Jahr 2012 über einen Rückschlag 2013, bis zu dem Punkt, an dem sich Redzepi 2014 zurück an die Weltspitze kocht. Die Dokumentation stellt uns Spitzenköche und gleichsam bärtige Pilzsammler, Förster in Flanellhemden und Fischer vor, die Redzepi dabei halfen.

Alles läuft also ganz grandios im Noma, bis plötzlich einige Gäste krank werden. Diagnose: Norovirus. Der Rückschlag. Ein Drama. Die Presse, die Konkurrenz, die gesamte Haute Cuisine, die Redzepi sowieso nie mochte, sie alle schmeißen sich wie Aasgeier (Redzepi nennt sie „Arschlöcher“) auf das Noma. Auf ihn. Wie konnte das passieren? Waren es die verdammten Muscheln?

Redzepi bleibt cool und spielt derweil eine Runde Squash. Ohne Gegner. Er hämmert den Ball einfach gegen die Wand, so wütend ist er. Ein Neuanfang muss her. Obwohl der Laden so erfolgreich ist? Gerade deshalb. „Erfolg limitiert“, sagt Redzepi. Er krempelt alles um, reißt die Küche ein und baut eine neue. Er macht das so selbstverständlich, wie andere den Geschirrspüler ausräumen.

08_Blumen (1)Alles neu im Noma. Doch irgendetwas ist anders, die Narben des Norovirus bleiben. An dieser Stelle könnte man Mitleid mit Redzepi haben, doch es gelingt nicht, denn Sterneköche, das ist bekannt, sind oftmals recht rücksichtslose Menschen. Sie hacken und hämmern nicht nur auf Petersilie und Putenbrust, sondern oft auch auf Menschen in ihrer Umgebung herum. Auch René Redzepi macht das und je mehr er, der sich immer gegen Kameras in der Küche ausgesprochen hat, nun so ganz direkt in die Kamera von Regisseur Duchamps spricht desto unsympathischer wirkt er.

Das Bild, das Redezpi von sich selbst zeichnet ist nicht das eines kulinarischen Revolutionärs und Haute-Cuisine-Anarchisten („Ich scheiß auf Silberbesteck“), sondern leider das, eines modernen und dennoch rücksichtslosen Sternekochs. „NOMA“ ist nicht deshalb enttäuschend, weil wir kaum etwas über das Restaurant erfahren, sondern weil René Redzepi augenscheinlich doch nicht die coolste Socke unter den Sterneköchen ist.

NOMA – Ein Blick hinter die Kulissen des besten Restaurants der Welt. Regie: Pierre Duchamps. Mit: René Redzepi, Hanne Redzepi, Ali Rami Redzepi, dem Team des Noma.

Kinostart 9. Februar

Fotos:

© Peter Brinch

©  Pierre Deschamps