Wir befinden uns sechs Monate vor Beginn des russischen Angriffskrieges, mitten in der südukrainischen Provinz. Hier lebt der 27-jährige Yura gemeinsam mit seiner Mutter, einer arbeitslosen Tourismusmanagerin. Auf der Suche nach einem als ausgestorben geltendem Murmeltier, dessen Fund die südukrainische Steppe Teil der Initiative European Green Belt machen würde, wird der junge Biologe Zeuge einer Brandstiftung. Mit Beweisfotos zieht er vor seine Chefin, doch diese blockt ab. Ihr ist die anstehende Pension wichtiger als das Schicksal eines Nagetiers – und als das ihres Mitarbeiters. Denn als Yura Beschwerde einlegt, wird er nicht nur vor die Tür gesetzt, sondern auch seine Wohnung wird prompt durchsucht. Nur der Freund seiner Mutter, selbst bei der Stadt tätig, verhindert Schlimmeres. Entsetzt beschließt Yura sich an die Presse zu wenden, und landet so bei einem sensationsversessenen Lokalblatt, welches ihn spontan als Social-Media Manager anstellt. Doch anstatt die Bilder der Brandstifter zu publizieren, nimmt der Chefredakteur lieber großzügige Spenden von zwielichtigen Geschäftsmännern entgegen und lässt Yura im Gegenzug Videos von tanzenden Lokalpolitiker*innen posten.

In Roman Bondarchuks Redaktsiya gibt es kaum einen ruhigen Moment. Eine Absurdität jagt die nächste. Und immer, wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, wird doch noch eine Schippe draufgelegt. In einem Interview erklärt Bondarchuk, der Film basiere auch auf eigenen Erfahrungen, die er in Redaktionen gesammelt habe. Mit Redaktsiya wolle er aber nicht nur zum kritischen Denken bewegen, sondern rückblickend auch seiner Heimat, Cherson, ein Denkmal setzen. Denn in der südukrainischen Provinz steht nach unzähligen russischen Bombenangriffen und einem zerstörten Staudamm kaum mehr ein Stein auf dem anderen. Bondarchuk erklärt: „Das Cherson wie in diesem Film gibt es nicht mehr. Dieser Film ist jetzt ein historisches Dokument“. Er selbst sieht die Lage in der Ukraine kritisch. Es fehle an allem, vor allem aber an der Unterstützung des Westens.

Und trotzdem, aufgeben sei auch keine Option. Auch nicht für Yura. Er forscht weiter und gerät dabei immer tiefer in ein Geflecht aus Vetternwirtschaft und kriminellen Machenschaften, welche ihn schließlich in ein sektenähnliches Camp führen, in welchem der Freund seiner Mutter an der Erweckung des im Koma liegenden Bürgermeisters arbeitet. Der soll schließlich die anstehenden Wahlen gewinnen und damit die Erhaltung des status quo ermöglichen.

Bondarchuks Medien- und Politsatire ist alles andere als subtil. Aber das will sie vermutlich auch gar nicht sein. Oder wie sonst lässt sich die zerrissene Ukraine-Fahne erklären, die symbolisch über der Stadt schwebt? Oder die Beschwörung der Möwe „Jonathan“, die offensichtlich nicht nur an die gleichnamige Erzählung des amerikanischen Autors Richard Bach anknüpft, sondern auch an Yura erinnert. Der strebt zwar nicht nach Perfektion, dafür aber immerhin nach Wahrheit und stößt damit auf alles andere als Verständnis. Alle anderen scheinen sich längst mit den korrupten Verhältnissen abgefunden zu haben – oder wollen sie zumindest so gut wie möglich für sich selbst nutzen.

Nicht jeder Witz, der in Redaktsiya gemacht wird, geht auf. Manche entlocken dem Publikum eher einen müden Lacher als ein großes Gelächter. Trotzdem unterstützen sie alle die Absurdität der Handlung – und lassen einen am Ende etwas betroffen zurück. Denn  klar, die Sekte, die ohnehin wie aus einem Ari-Aster-Film gefallen wirkt, ist nicht echt. Aber was ist eigentlich mit dem Rest? Wie viel Wahrheit versteckt sich hinter dieser Satire? Und was bedeutet es eigentlich, wenn am Ende des Films Wolodymyr Selenskyj, Olaf Scholz und Boris Johnson vor Kameras gemeinsam Bäume auf den ehemaligen Minenfeldern pflanzen? Vermutlich, dass die Inszenierung weitergeht. Mit oder ohne Yura.


Foto: © Moon Man filmproduction @Berlinale Stills